Herr Weber, Sie schreiben über Umwelt und Natur, betrachtend aber auch erzählerisch, mit kleinen Geschichten, die etwa von Tieren, Pflanzen oder auch ihren Kindern handeln. Sie machen damit das auf hohem Niveau, wovon jeder heute spricht: Storytelling. Wie stehen Sie zu diesem Begriff?

Das ist wohl eher ein Symptom der Netto-Wusttheke: das Storytelling. Wobei ich damit nicht sagen will, dass ich etwas gegen Storys habe, im Gegenteil! Ich finde, wir brauchen mehr guter Geschichten; ich finde das im Prinzip gut. Aber ich finde, wenn Journalismus aufhört über die Wirklichkeit zu berichten, dann ist es Literatur. Journalismus hat einen Dienst an der Wahrheit zu verrichten. Auch eine journalistische Geschichte muss deshalb im Verhältnis zur Wirklichkeit stehen, und der Autor muss eine Haltung einnehmen. Eine Haltung, in der die Wahrheit gesagt wird. Lange Rede kurzer Sinn: Storytelling ist super, solange es sich der Wahrheit verpflichtet.

Und wie sehen Sie den Trend hin zum Erzählen – eine Gefahr, eine Chance?  

In den ganzen Redaktionen, in denen viel auf Leserbefriedigung Wert gelegt wird, steht Storytelling im Zweifelsfall höher. Das ist aber für mich falsch. Wichtiger ist jemand, der in der Lage ist, eine eigene, klug beobachtete Position aufzubauen. Der muss nicht phantastisch schreiben können, das kann man ja noch redaktionell glätten. Solche Journalisten kenne ich noch von GEO. Das waren irgendwie geile Persönlichkeiten, die Standpunkte hatten und diese in Konferenzen laut polternd zum Ausdruck brachten. Außerdem ist der Ansatz auch zu einem Supermarktprodukt geworden: persönliche Geschichten mit möglichst literarischen Anspruch erzählen. Schon vor fünfzehn Jahren gab es diese Reportagenmode. Und New Journalism hat da auch viel mit zu tun.

Welche Rolle spielt er da, der New Journalism?

Eine nur ziemlich interne. Dieses ganze New-Journalism-Ding ist für mich ziemlich intern und hat mit dem Leser wenig zu tun.  Redakteure bekommen Preise und schinden damit Eindruck, oder Redaktionen grenzen sich so voneinander ab. Die sollten besser ihre Verpflichtung gegenüber der Wirklichkeit ernster nehmen. Nur die ist eben unbequem, teuer und mühsam. Und es unterscheidet sich obendrein doch meist von wirklich guter Literatur. Es gibt wenige journalistische Geschichten, wenig Storytelling oder New Journalism, bei denen ich das Gefühl habe, dass es richtige Literatur ist. Mir kommt es mehr darauf an, dass eine Geschichte wirklich etwas bringt – dass sie eine neue Perspektive aufbaut oder jemanden zum Reden bringt, der gehört werden muss und nicht eine Autorenpersönlichkeit zeigt, die sich selbst als Schilderer von ergreifenden Umständen präsentieren möchte. Der soll dann Bücher schreiben – finde ich auch geil.

Der erhobene Zeigefinger und Selbstüberschätzung als Gefahr des Erzählens?

Ja, aber das Problem ist noch wesentlich tiefer und vielschichtiger. Denn dieser erhobene Zeigefinger ist die paternalistische Seite einer Idee, nach der wir als Menschen und Lebewesen die Welt durch Kontrolle beherrschen können. Das ist nicht anderes als bei denjenigen, die den erhobenen Zeigefinger hassen, weil sie hemmungslos ihre Freiheiten ausleben oder produzieren wollen, was auch immer sie wollen. Das ist nicht so unverwandt. Es geht eigentlich viel mehr darum, Formen von Verbundenheit zu erkunden, die dann auch ganz andere Genres zulassen würden.

Andreas Weber ist Naturphilosoph, Autor und Journalist. Er ist ein deutscher Vertreter des nature writing und plädiert in seinen Büchern für eine neue Verbundenheit mit der Natur. Aktuell in „Sein und Teilen“: http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3527-0/sein-und-teilen (Bild: Pantea Lachin)

Welche Genres bringen denn mehr Verbundenheit?

Was im Moment in Deutschland eine große Geburtswelle erlebt, ist ein angelsächsisches Genre, nämlich das nature writing. Wenn sie zum Beispiel auf die Seite von Matthes und Seitz gehen, dann sehen sie dort ganz viele Sachen. Und was ich in meinen Büchern mache, ist auch nature writing. Nature writing befindet sich zwischen Journalismus, Essay und Philosophie; es gaht darum, über die Natur heraus schreiben. Das ist persönlich, anspruchsvoll, auch spirituell oder waghalsig – aber eben keine Berichterstattung. Unter Umständen ist es vielleicht die Storytelling-Variante des Naturjournalismus.

Und wo findet sich diese Geburtswelle im Journalismus wieder?

Es existiert nicht in journalistischen Medien, und daran sehen Sie mal wie irre das alles ist. Denn nature writing, das ist wirklich erfolgreich. Als Beispiel dafür ist „H wie Habicht“, das ist auf einem Bestseller-Platz – ein Buch über eine Freundschaft mit einem Habicht, geschrieben von einer Frau, deren Vater gestorben ist. Sehr sentimental, ziemlich viel Tier – und das verkauft sich auch in Deutschland super. Und in England sowieso, als Non-Fiction-Literature geht das unheimlich. Sie können das aber in keinem Magazin machen. Das können Sie mir glauben, weil ich das immer mal wieder versuche – es geht nicht. Das machen die einfach nicht. Einfach zu konservativ.

Aber Sie glauben trotz aller Skepsis an die Chancen des Genres, warum?

Nature writing ist letztlich eine Erzählform, die viele Menschen ergreift und mitreist, die auch irgendwie Sinn macht. Und die auch dabei ist, unser Verhältnis zum anderen Lebendigen vielleicht neu auszuloten. Das gibt es im Journalismus nicht. Was man da machen kann – und was auch gerne genommen wird – ist dieses Aufhübschen mit ein paar Erzählelementen. Das muss man in Magazinen ja sogar. Wenn Sie eine Geo-Geschichte schreiben müssen Sie ja erzählen, das kann ja kein Bericht werden, sonst werden Sie da nie wieder vorgelassen.

Eng verbunden mit den Naturthemen ist der Klimawandel, eine der größeren neuen Themenwelten. Wie beurteilen Sie als Umweltautor und Naturphilosoph die Mediendebatte hierzu?

Ich würde es nicht einmal eine Debatte nennen. Für mich ist das eher ein positivistisches, technokratisches Mitverfolgen der politischen Diskussionen. Ich habe nicht das Gefühl, dass über alle Fragen, die im Klimafeld wichtig wären, auch gesprochen wird. Es ist vergleichsweise schmalspurig.

Wenn die Spur aber einmal etwas breiter wird, was hat sich aus Ihrer Sicht in der Umweltdebatte verändert?

Sie ist perspektivloser geworden. Es ist latent allen klar, dass wir unsere Produktionsabläufe und Emissionsstrukturen nicht substantiell ändern werden. Es wird aber trotzdem munter weiter über kleine Innovationen geschrieben. Was vor allem nicht geschieht ist das substantielle Andere: den herrschenden Paradigmen entgegenzustehen, also etwa Neoliberalismus, Effizienzlehre und dem Denken der kausalmechanischen Naturwissenschaft. Erweiternde oder kritischere Weltbilder werden nicht diskutiert. Es ist scheinbar völlig klar, dass wir in diesem komischen, mit dünner Luft gefüllten Container eines technokratischen Weltbildes leben, in dem der Mensch als politisches Subjekt theoretisch irgendwie in der Lage ist, freie Entscheidungen zu treffen. Wir wissen zwar alles über uns, sind aber doch nicht in der Lage irgendwas Neues hervorzubringen – Formen, wie wir Gesellschaft neu denken können. Wir wissen, dass wir da nicht raus kommen. Dementsprechend müde ist das alles auch in den Medien, sodass man letztlich keinen Bock hat, Vieles mehr zu lesen.

Aber gibt es dennoch Medien, die es anders machen in Sachen Klima und Umwelt – oder auch bei solch wirtschaftskritischen Perspektiven?

Auch Medien, die man für progressiv hielt, bewegen sich in einem ähnlichen Langeweile-Sumpf. Es gibt auch in diesen Redaktionen ein unsägliches Müssen mit festen Regelsätzen: Wir dürfen den Leser und Hörer auf keinen Fall überfordern. Wir dürfen ihn nicht mit etwas Neuem konfrontieren. Er muss alles schon kennen und darf auf keinen Fall aus seiner Wohlfühlblase geholt werden. Es ist im grundgenommen eine Art Wursttheke bei Netto mit verschiedenen bunten Plastikpackungen. Und ich sehe da keine großen Ausnahmen, keine Medien, die innovative, herzzerreißende, bedrückende oder charismatische Weise, etwas anders grundlegend machen würden.

Das ist ein radikales Fazit!

Ich sehe natürlich schon Abstufungen: Umweltnahe Medien sind mir noch ganz lieb, etwa das Greenpeace Magazin. Oder auch Oya.

Welche Aspekte gehen denn in der Klimadebatte unter, was muss ans Licht?

Dass alles dafürspricht, dass wir kein einziges Klimaziel erreichen werden. Wenn Sie so wollen, kommt die Wahrheit nicht ans Licht. Was offensichtlich ist, kommt in Medien nicht vor: man könnte darüber ja mal reden, was das eigentlich heißt, wenn wir diese Klimaziele nicht erreichen werden. Nehmen wir das Flüchtlingsthema Da werden dann alle völlig geschockt sein und keine keine Ahnung gehabt haben, weil es nicht diskutiert wurde. Einige Medien haben über Klimawandel und Migration natürlich schon berichtet, auch schon vor zwanzig Jahren. Aber jetzt sind Klimaflüchtlinge hier, und darüber wird immer noch nicht größer geredet. Im Grunde genommen müsste ein fundamentales Umdenken zu den Gesamtverhältnissen Welt stattfinden.

Wie könnten Medien es besser machen?

Was es zum Beispiel überhaupt nicht mehr gibt – auch beim Spiegel nur noch selten – ist das Verfolgen eines Themas mit mit Zeit und langem Atem. Man muss manche Geschichten ein Jahr lang recherchieren. Man muss Kontakte knüpfen, Informanten finden, warten, Rückschläge in Kauf nehmen. Das sind Sachen, die sich Medien nicht mehr leisten. Dafür gibt es fast keine Räume mehr. Es herrscht eine Form von Fantasielosigkeit vor: möglichst kein Aufsehen erregen, brav seine Sachen erledigen um dann wieder nach Hause zu gehen.

Und wie erklären Sie sich das, diese Mutlosigkeit?

Das hat mit einem Generationswechsel zu tun. Ich fing an zu schreiben, als vergleichsweise sperrige, teils etwas selbstherrliche aber auch risikobereite Redakteure und Chefredakteure am Ruder waren. Die waren alle nicht als Journalisten ausgebildet; es waren Leute, die irgendwie keinen Bock mehr hatten auf Uni. Viele von denen haben abgebrochen und sind dann Journalisten geworden. Dann kamen Journalismus-Schüler, die gelernt haben, wie man den Leser abholt, wie man so zusagen mundgerechte Häppchen zubereitet und möglichst nicht die Wahrheit sagt, wenn sie unbequem ist. Das ist der fleischgewordene Neoliberalismus, die Schere in den Köpfen.

Interview: Francine Heidt

Beiträge mit ähnlichen Themen