Der Weg steigt steil an, in das Dunkel hinein. In seiner Mitte ist er braun von Walderde, am Rand rostrot und manchmal mit dunkelgelben Punkten übersät, den noch immer liegenden Winterblättern. Davor das schimmernde Mosaik aus dunklen und helleren Grüntönen, gelegt vor allem von Buchen, kleineren Eichen und den Bleistiftbäumen ganz vorne – unseren jungen Linden gegenüber der Tür, die Äste nur in der Krone haben und sich stark dem Haus zuneigen.

Vor diesem Bild, das sich jeden Morgen auf den ersten Blick in allem gleicht und auf den zweiten in kaum mehr etwas ähnelt als der Aufstellung seiner Protagonisten, vor diesem Rahmen zuckt gerade eine Bachstelze vorüber. Wir haben kein Gewässer in direkter Nähe, weshalb ich auch noch nie eine Stelze hier gesehen habe, aber ihr zuzusehen, während ich Zähne putze, lehrte mich, ihren Rhythmus neu zu verstehen. Denn der Lauf dieses doch im Kern grauen und nur an den Rändern schwarzweißen Vogels, den ich schon immer als hektisch und ungerade betrachtet habe, ist dies nicht. Die Stelze wippt zwar nach vorne wie kaum ein anderer Vogel, sie wippt aber genauso zurück, schwankt auf und nieder wie ein leichtes Schiff in schwerer See, schnell aber ausgewogen und rhythmisch, da vorne der Kopf ebenso nach unten schießt wie der lange Schwanz hinten in die Höhe. Es ist kein stelziges Stolzieren sondern ein zackiges Wippen mit Gruß zum Himmel und zur Erde.

Sie fliegt übrigens sehr ähnlich, wippt im Ganzen, in dem sie hoch anfliegt und sich dann elegant wieder fallen lässt. Das alles aber in einem großen Tempo, wodurch auch dort der Eindruck der Hektik entsteht. Tatsächlich bewahrt der Bachstelzenflug bei großer Geschwindigkeit aber Haltung und Rhythmus – etwas, das mir selten gelingt. Ich möchte der Bachstelze weiterzusehen und setze die Zahnbürste ab, aber mit einem Schlag ist sie weggeschossen und die Waldbühne plötzlich um einen spannenden Akteur ärmer. Aber vielleicht gastiert er nun öfter hier. Ich hoffe darauf.

So wie ich hoffe, dass der Frühling irgendwann wieder melodischer wird, weil vertraute Vögel zurückgekehrt sind, die wir verloren haben. In viel größer Zahl, als Wissenschaftler dachten. Erst seit wenigen Wochen wissen wir es; ich muss immer wieder daran denken, auch jetzt, morgens im Bad, beim Blick in das Farbenmosaik des Sommerwaldes: Feldlerche: minus 35 Prozent, Braunkehlchen: minus 63, Kiebitz: minus 80, Rebhuhn: minus 84 Prozent. Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Vogelpopulation in Deutschland halbiert; jede Dritte Art nimmt im Bestand deutlich ab“, schreibt die Johanna Romberg im vogeljournalistischen Projekt „Flugbegleiter“. Eine andere Landwirtschaft, eine rücksichtsvolle Nutzung der Landschaft, ein anderes Mitleben – mit den Tieren und Pflanzen und ihrem, unserem, dem gemeinsamen Land, auch darum geht es in ihrem Text. Wieder einmal. Denn dass die industrielle Landwirtschaft längst den Tod bedeutet, ist so oft geschrieben worden. In Europa sehe es ähnlich aus wie in Deutschland, schließt Romberg an: Zwischen 1980 und 2010 sind allein aus der Agrarlandschaft 300 Millionen Brutpaare verschwunden, das entspricht etwa einem Fünftel des gesamten Vogelbestandes unseres Kontinents.

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