„Vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen“ – so könnte man kurz und treffend die Debatte über nachhaltige Lebensstile zusammenfassen. Von der Naturkosmetik über Second-hand bis zum Leben im Ökodorf ist alles dabei. Doch unklar bleibt, was genau einen nachhaltigen Lebensstil ausmacht. Ich möchte die Frage vom Ziel her angehen. An dieser Stelle deshalb eine Vision: Abstrakt genug für vielfältige Lebensstile, konkret genug zum Provozieren.

Eine Vision wird buchstabiert

Nachhaltige Lebensstile schützen die Umwelt, dienen dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und befriedigen individuelle Bedürfnisse. Hier und heute so leben, dass überall und auch in Zukunft alle Menschen so leben können! Nachhaltige Lebensstile beachten hierzu ökologische Grenzen, beinhalten eine gerechte Verteilung bei der Beanspruchung natürlicher Ressourcen und Senken und gewährleisten individuelle Lebensqualität.

Nachhaltige Lebensstile:

  • kennzeichnen sich durch eine individuelle Ökobilanz, die ein global verallgemeinerbares Niveau widerspiegelt
  • sind sichtbares Vorbild für andere
  • beinhalten gesellschaftliches Engagement für bessere Rahmenbedingungen im Sinne eines nachhaltigen Konsums.

Nachhaltige Lebensstile sind in ihren Ausprägungen vielfältig, haben aber gemeinsame Grundlagen:

– Sie sind klimaneutral. Wir sprechen über maximal 1 t CO2e pro Person und Jahr.

– Sie basieren auf einer nachhaltigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien, die dauerhaft unseren Alltag und unsere Wirtschaft am Laufen hält. Wir sprechen über 100% erneuerbare Energien.

– Sie leben von einer ökologischen Landwirtschaft, die Grundwasser und Boden schützt, die Bodenfruchtbarkeit erhöht und uns mit gesunden Lebensmitteln, Naturfasern und anderen nachwachsenden Rohstoffen versorgt. Wir sprechen über 100% ökologischen Landbau.

– Sie nutzen eine nachhaltige Mobilität, die uns ohne eigenes Auto schadstofffrei, leise und hochenergieeffizient maßgeschneiderte Lösungen für vielfältige Mobilitätsbedürfnisse serviert. Wir sprechen über Car-Sharing als Schlüssel zur kombinierten, emissionsfreien Mobilität.

– Sie haben ein Zuhause, das durch innovative Dämmsysteme für ein komfortables Wohnklima sorgt, Energie produziert statt verbraucht und eine minimale Fläche beansprucht. Wir sprechen über Plusenergiehäuser ohne neuen Flächenverbrauch.

– Sie produzieren keinen „Müll“, weil „Abfälle“ entweder wiederverwertet oder problemlos in die Natur zurückgeführt werden können. Wir sprechen über eine Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen zu Recht trägt und durch innovatives Ökodesign realisiert.

Dr. Michael Bilharz, Autor von „‘Key Points‘ nachhaltigen Konsums“ ist Mitarbeiter im Umweltbundesamt im Bereich nachhaltiger Konsum. Kontakt: info@keypointer.de. Das Bundesumweltamt informiert in seinem Verbraucherratgeber sowie im Bereich des klimaneutralen Lebens ebenfalls über die Themen des Textes (Bild: privat)

Dr. Michael Bilharz, Autor von „‘Key Points‘ nachhaltigen Konsums“ ist Mitarbeiter im Umweltbundesamt (UBA) im Bereich nachhaltiger Konsum. Kontakt: info@keypointer.de. Das UBA informiert in seinem Verbraucherratgeber sowie im Bereich des klimaneutralen Lebens ebenfalls über die Themen des Textes (Bild: privat)

Nachhaltige Lebensstile sind kein Martyrium, sondern die Vision von einem zufriedenstellenden und erstrebenswerten Leben. Sie sind nicht ökologisch perfekt im Einzelfall, sondern nachhaltig in der Gesamtbilanz. Weil nachhaltige Lebensstile bei den „Big Points“ ökologisch korrekt sind, können sie ökologische „Fehler“ im Kleinen tolerieren. Nachhaltige Lebensstile stiften hohe Zufriedenheit und sind nicht auf die Anhäufung materieller Güter und die Inanspruchnahme materialintensiver Dienstleistungen fixiert.

Gefährlich konkret

Nachhaltige Lebensstile werden ermöglicht durch effektive staatliche Rahmenbedingungen und attraktive Angebote im Markt. Im Zentrum steht eine Wirtschaftspolitik, die sich nicht einseitig an der Steigerung des Bruttoinlandproduktes, sondern an umfassenden Wohlfahrtsindikatoren ausrichtet. Menschliche Arbeit ist von Abgaben befreit. Die ökologischen Mindestanforderungen an Produkte sind hoch. Die Preise sagen die ökologische Wahrheit. Aussagekräftige Umweltlabels bieten Orientierung und es gibt keine gesundheitsgefährdende Stoffe in Produkten. Menschenwürdige und faire Arbeitsbedingungen sind gesetzlich verankert. Flexible und reduzierte Erwerbsarbeitszeiten bieten Raum für persönliches und gesellschaftliches Engagement.

Und das Schöne daran: Ein großer Teil dieser Vision lässt sich bereits heute auf individueller Ebene verwirklichen. Und politisch einfordern. Eine gute Voraussetzung für Pioniere des Wandels!

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