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Diplom-Meteorologe Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst DWD in Offenbach. (Foto: Alisa Fraefel)

Von Anna Christern und Florian Fertig

Gibt es den Klimawandel oder ist das, was wir zurzeit erleben, nur ein Zyklus, der alle 10.000 Jahre einsetzt?

Vor rund 10.000 Jahren endete die letzte Eiszeit und die Erde hat angefangen sich wieder zu erwärmen. Dies ist in der Geschichte schon öfter passiert. Doch das, was sich klimatologisch in den letzten 150 Jahren abgespielt hat, hat nichts mehr mit der natürlichen Erderwärmung zu tun. Die Temperaturen schwanken, aber wir haben noch nie erlebt, dass sie in so kurzer Zeit so sehr nach oben geschnellt sind. Und genau das ist der Punkt. Über 130 Jahre Aufzeichnungen zeigen, dass die Treibhausgas-Konzentration in einer ähnlichen Kurve wie die Temperaturen zugenommen hat. Deshalb gehen die Klimatologen davon aus, dass der Anstieg der Temperatur und der Anstieg der Treibhausgase eng zusammenhängen.

In den letzten 50 Jahren ist die Temperatur im Schnitt um 0,13 Grad pro Jahrzehnt angestiegen. Das ist im Vergleich zu den letzten 100 Jahren fast doppelt so viel. Trotzdem sind es nur sehr kleine Temperatursteigerungen.

Die 0,13 Grad gelten nur für Deutschland. Zudem vermeiden wir einen Anstieg pro Jahrzehnt anzugeben, denn es gibt naturgemäß immer Schwankungen. Klimatologisch sinnvoll ist es einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren zu betrachten, weil man dadurch einen Durchschnitt bekommt, bei dem die natürlichen Temperaturschwankungen ausreichend gedämpft sind. Die Globaltemperatur unserer Lufthülle ist in den letzten 100 Jahren immerhin um etwa ein Grad gestiegen.

Wenn wir von einem Grad reden, scheint das nicht viel zu sein. Was ist das große Problem?

Ein Grad ist der Durchschnitt. Aber es bleibt nicht dabei. Und man bemerkt auch bei den Extremwerten Veränderungen. Die Häufigkeit von besonders kalten Wintern hat ab-, die Zahl von sehr heißen Sommern zugenommen. Einzelne Jahreszeiten haben sich verschoben oder verändert.

Warum nehmen die Extremwettersituationen zu?

Physikalisch gesehen, fachen höhere Temperaturen in der Atmosphäre auch den Wasserkreislauf an. Die Folge sind beispielsweise heftigere Niederschläge oder stärkere Monsune in bestimmten Gegenden. Das System Erdatmosphäre ist unglaublich komplex.

Wie können wir uns das vorstellen, dass sich Jahreszeiten verändern?

Die Pflanzen fangen früher an zu blühen. Das sieht man an der Apfelbaumblüte. Denn diese signalisiert den Beginn des Frühlings. In den letzten 20 bis 30 Jahren hat sich der Blühbeginn mehr als 14 Tage nach vorne verschoben. Unsere gesamte Vegetationsperiode hat sich verlängert und wir bemerken auch regionale Unterschiede. Im Rhein-Main-Gebiet sieht man die Veränderung deutlicher als an den Küsten.  Dies liegt am Meer, das dämpfend wirkt: Im Sommer kühlt das Wasser die Luft und im Winter gibt das Wasser Wärme an die Atmosphäre ab.

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Die kalten Tage werden weniger, die heißen nehmen zu. (Foto: DWD)

Welche weiteren Folgen hat der Klimawandel für das Rhein-Main-Gebiet?

Unter anderem ist auch die Forstwirtschaft betroffen. Viele Baumarten, wie zum Beispiel die Kiefer, haben zunehmend Standortprobleme. Durch Schädlinge, die im milden Winter überleben, werden außerdem im Frühjahr viele Bäume und andere Pflanzen stark angegriffen. Auch die Ambrosia-Pflanze, die hier ursprünglich nicht beheimatet war, breitet sich bei uns aus.  Diese Pflanze ist sehr allergen. Dummerweise blüht sie auch noch am Ende des Jahres. Für die Allergiker dauert die Pollensaison inzwischen etwa einen Monat länger.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Der Trend der Erwärmung unseres Klimas ist nicht einfach zu stoppen. Es bedarf dazu globaler Anstrengungen. Und vor allem einer grundsätzlichen Änderung unseres Umgangs mit unseren Ressourcen, insbesondere mit fossilen Brennstoffen. Denn durch die zusätzlichen Treibhausgase, die der Mensch bei deren Verbrennung freisetzt, verstärkt er den natürlichen Treibhauseffekt. Das führt letztlich zur kontinuierlichen Erwärmung der Erdatmosphäre. Man darf also nicht an den Folgen arbeiten, sondern muss die Ursachen bekämpfen.

Wie können Privatpersonen klimaschonend leben?

Da gibt es vieles: Zum Beispiel kann man den öffentlichen Nahverkehr oder das Carsharing mehr nutzen.  Wer ein Auto braucht, kann sich eins kaufen, das wenig Benzin verbraucht. Die Heizungen niedriger stellen, denn schon ein Grad weniger spart sehr viel Energie. Klimaanlagen in Häusern sind unsinnig, sie kosten Strom und produzieren Abwärme. Regionale und saisonale Produkte sind meist klimafreundlicher als solche, die von weit her kommen. Auch sollten Kinder motiviert werden, bei diesem Thema mitzumachen. Der Multiplikations-Effekt ist wichtig. Wir wollen zeigen: Es geht auch anders – ohne, dass wir deshalb ins Steinzeitalter zurückfallen. Das Motto muss lauten: “Global denken, lokal handeln.” Ich achte im Alltag auch auf kleine Dinge.

Würden Sie sagen, das Thema Klimawandel ist mit das Spannendste am Job beim Wetterdienst?

Es gibt auch andere interessante Themen. Aber der Klimawandel ist schon etwas Besonderes. In Hessen und hier im Rhein-Main-Gebiet habe ich an vielen Felduntersuchungen und Experimenten zur Regionalklimatologie teilgenommen. Und wenn man merkt, dass sich etwas verändert, dann ist das eine spannende Sache. Es ist ein Thema, das seit 20 Jahren nicht abebbt.

Was hat Sie hier her verschlagen?

Ich bin in Offenbach geboren. Ich habe schon während meiner Schulzeit ein Praktikum beim DWD gemacht und danach Erfahrungen als studentische Hilfskraft gesammelt. Mein Physik-Studium ging langsam in ein Meteorologie-Studium über. Im Anschluss habe ich dann hier in der Klimatologie angefangen.

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Der Temperatur-Trend in Deutschland ist eindeutig: Es geht aufwärts. (Foto: DWD)

Welche nachhaltigen Energien empfehlen Sie für das Rhein-Main-Gebiet?

Sonnen- und Wind-Energie sowie Gas aus Biomasse. Man sollte immer klimaneutral agieren. Aber man muss auch sagen: Der Klimawandel ist ein globales Problem, das heißt es ist mit entscheidend, was in China und Indien passiert. Dort wurden in den letzten Jahren viele schmutzige Kohlekraftwerke in Betrieb genommen. Deutschland sollte nicht nur Vorbild sein, sondern auch sein Ingenieurswissen und Know-How in die entsprechenden Länder exportieren.

Wenn andere Industriestaaten nichts ändern, zahlt sich das deutsche Engagement dann überhaupt aus?

Anfangs nur wenig, denn Deutschland ist global gesehen ein sehr kleines Land. Gefordert sind die großen Verschmutzer: Große Industrieländer, aber eben auch bevölkerungsreiche Länder wie Indien und China. Wenn die ihren CO2-Ausstoß weiter erhöhen, dann haben wir ein großes Problem. Wir müssen zeigen, dass es sich auch kurzfristig lohnt nachhaltige Energien anstelle von fossilen Brennstoffen zu nutzen.

Wo sehen Sie das meiste Potential der Energiegewinnung?

Die Zukunft liegt ganz klar in der Nutzung der Sonnenenergie. Es ist von Seiten der Physiker und auch der Meteorologen nicht nachvollziehbar, warum man nicht schon seit vielen Jahrzehnten die Sonnenenergie intensiver nutzt. Das, was die gesamte Menschheit im ganzen Jahr verbraucht, schickt uns die Sonne an einem einzigen Tag. Würden wir diese Energiequelle effektiv nutzen, hätten sich unsere Energieprobleme längst erledigt.

Aber dann kommt ja das Problem der Speicherung.

Das ist leider ein wunder Punkt. Wenn man früher angefangen hätte, sich um entsprechende Speichermedien zu kümmern, stünden wir heute deutlich besser da. Stattdessen hat man über Jahrzehnte in die Grundlagenforschung von Kern- und Fusionsreaktoren investiert. Die Speicherung wird daher noch eine Weile ein Problem bleiben. Wenn wir aber wirklich in die Zukunft investieren wollen, dann müssen wir auf nachhaltige Energieformen setzen, insbesondere auf Sonnenenergie. Wie man sehen kann, sind Photovoltaik-Anlagen innerhalb weniger Jahre immer effektiver und damit billiger geworden.

Wenn alle zusammenarbeiten, kann der Klimawandel dann noch aufgehalten werden?

Wir können die Folgen wenigstens etwas abmildern. Ich bin sicher, in Deutschland schaffen wir das. Aber was ist mit armen oder wenig entwickelten Ländern wie Bangladesh? Die haben nicht die Infrastruktur, um die Klimafolgen zu bewältigen. Sie wird es besonders hart treffen, dabei haben sie nicht einmal etwas dazu beigetragen. Sie haben den Klimawandel ja nicht verursacht – das waren die Industrieländer. Umso wichtiger ist es, jetzt fair und gemeinsam zu handeln. Lasst uns also endlich zusammen anfangen.

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Bei Frostbeule Anna läuft die Heizung im Winter auf Hochtouren. Vielleicht sollte sie im Sommer noch mehr Sonnen-Energie tanken, die ist ja reichlich vorhanden. Es könnte ja sein, dass sie die Heizung dann im Winter um ein Grad herunterstellen kann. (Foto: privat)

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Für den Pollen-Allergiker Florian ist der Sommer immer eine Qual. Dass der Klimawandel auch darauf einen Einfluss hat, zeigt, wieviel Wirkung schon ein Grad Temperatursteigerung hat. Jetzt gilt es zu verhindern, dass die Pollenzeit noch länger wird. (Foto: privat)

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