Von Torsten Schäfer

Im Jahr 2012 stieg der globale Fischkonsum auf Rekordwerte: 18,4 Kilogramm pro Kopf, wie der aktuelle Fischerei-Bericht der Welternährungsorganisation FAO zeigt. Ein stetig wachsender Anteil, derzeit sind es 40 Prozent, kommt aus Aquakultur. Die Fänge der Meeresfischerei stagnieren hingegen, und das schon seit Mitte der 1990er Jahre. Trotz stärkerer Motoren, größerer Schiffe, besserer Netze, in die massiv investiert wurde. Die Fischerei wird zum Verlustgeschäft, weil der Rohstoff schwindet, die Produktion aber unvermindert weiterläuft. Einer Studie kanadischer Wissenschaftler zufolge wird Meeresfisch bis 2048 so selten und daher auch teuer sein, dass sich ihn nur noch wenige werden leisten können.

Die Gründe für die Überfischung sind ökonomische Gier und politisches Versagen. Zwar gibt es seit vielen Jahren Fangrichtlinien der Welternährungsorganisation, aber keine der 53 größten Fischfangnationen hält sie ein; 34 der Länder erfüllen nicht einmal vierzig Prozent der Kriterien, wie die Studie der Weltbank zeigt. Und noch immer blüht die illegale Fischerei: Geschätzte 2700 Trawler profitieren von Lücken im Seerecht und fehlenden Kontrollen. Ein Drittel aller Fänge geht auf ihr Konto.

Was also muss getan werden? Schärfere Kontrollen, höhere Strafen, Schutzgebiete und Fangverbote für bedrohte Bestände fordern Umweltverbände und Forscher seit Jahren. Im Kleinen gibt es Fortschritte, etwa beim nachhaltigen Fischkonsum, für den Umweltorganisationen wie WWF und Greenpeace Einkaufsführer entwickelt haben. Sie empfehlen den Kauf nachhaltig gefangenen Fisches, der Siegel von Organisationen wie MSC (Marine Stewardship Council) oder Friends of the Sea trägt, die immer mehr Bestände zertifizieren. Und dabei selbst so groß geworden sind, dass sie schon wieder wegen fehlender Kontrollen kritisiert werden.

Kritik am MSC-Siegel

Der kritische Fischereiwissenschaftler Rainer Froese ist zusammen mit dem Trierer Juristen Alexander Proelß in einer Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass rund ein Drittel der MSC-Bestände nicht nachhaltig befischt werden. Das entfachte einen Sturm der Entrüstung bei den Fischerei-Zertifizierern und eine Debatte über den Wert des größten Siegels. Dessen Fehler sieht Froese in zu laschen Kriterien bei der Vergabe. Und er kritisiert, dass überfischten Beständen wie etwa dem Seelachs in der Nordsee nicht das Siegel entzogen wird. Darüber hinaus hat er Zweifel an der Unabhängigkeit von eingesetzten Gutachtern, die Fischereien zertifizieren. „Diese werden nämlich von den Fischerei-Unternehmen bezahlt,“ sagt der Experte.

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Das MSC-Siegel steht für nachhalitge Fischerei und ist bei Verbrauchern beliebt. Im Detail gibt es aber auch hier Kritik aus der Forschung (Quelle: MSC).

MSC selbst hat Froeses eigens entwickelte Methoden und Definitionen von Überfischung angezweifelt – mit dem Hinweis auf die gültigen Normen nach der FAO. Das Siegel bekam dabei auch Unterstützung aus der Wissenschaft. „Die von Froese und Proelss verwendete Definition von Überfischung‘ und viele der verwendeten Referenzpunkte sind international nicht akzeptiert“, sagt Christopher Zimmermann, stellvertretender Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und Vorsitzender des Technischen Beirates des MSC. „Die Resultate der Studie sind somit irrelevant.“ Diese Aussagen stützt eine Studie vom August 2012: 23 internationale Wissenschaftler untersuchten 45 MSC-zertifizierte und 179 normale Fischbestände. Ergebnis: Keine MSC-Fischerei sei bedroht, der Genuss von MSC-Fisch kein Problem.

Kritik am Vergabeverfahren

Da widerspricht Greenpeace. Denn die Umweltschützer, deren eigener Fischführer sich teils auch deutlich von den Kaufempfehlungen des MSC-Gründers WWF unterscheidet, gehören zu den bekannten MSC-Kritikern. Die Umweltorganisation listet auf ihrer Website zwar einige Stärken von MSC auf und lobt insgesamt die positiven Effekte.

Dennoch gehen die Öko-Ritter mit dem Siegel teils hart ins Gericht, wenn sie schreiben, dass MSC es ermögliche, „ungesunde und ausgezehrte Bestände zu befischen, hohe Beifänge zu tolerieren oder den Erhalt des Ökosystems zu gefährden.“ Greenpeace kritisiert vor allem die Vergabe des Siegels, dessen 31 Kriterien keine absoluten sind. Werden einige nicht erfüllt, vergeben die Zertifizierer dennoch den blauen Button, da der Gesamteindruck zählt. Nur 60-80 Prozent der Standards müssten erfüllt sein, damit eine Fischerei das Gütesiegel erhalte, schreibt Greenpeace. Und seien 80 Prozent erreicht, „ist kein Aktionsplan zur weiteren Verbesserung vorgeschrieben.“

MSC: Schleppnetze sind verschieden

Auch zu diesen Vorwürfen hat MSC immer wieder Stellung genommen – ebenso wie zur Kritik, Fischereien mit Grundschleppnetze zu zertifizieren. Hier sei Differenzierung nötig, steht in den MSC-Pressetexten. Denn es „gibt Grundschleppnetze mit schweren Eisenrahmen und -ketten, die über den Meeresboden gezogen werden und tiefe Furchen hinterlassen, und solche, deren Netze an Gummirollen befestigt sind oder gar so konzipiert sind, dass sie den Meeresboden nicht berühren sondern darüber hinwegschweben.“

Letztlich ist die Bewertung des Siegels und seiner Kriterien auch eine Glaubensfrage. Helfen kann dabei ein Kommentar Froeses zu seiner Studie, der bei aller Aufregung um sie unterging: Der kritische Kieler Forscher rät trotz seiner Forschungen, weiter MSC-Produkte zu kaufen, weil die Chancen, Fisch aus kontrollierten Fängen zu essen, insgesamt drei- bis viermal höher liege als beim Kauf ohne Zertifikat. Die Botschaft dahinter: Esst es trotz seiner Fehler. Denn es gibt derzeit auf dem Massenmarkt nichts Besseres.

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