Seite 6/6 Ertrag von Slow Media für Journalismus und Medien

6. Ertrag von Slow Media für Journalismus und Medien

Slow Media könnte als Metapher nicht nur für die Entschleunigung von Medien, sondern auch für mehr Qualität und Kompetenz in der Medienkommunikation funktionieren. Gleichzeitig könnte Slow Media eine Brücke schlagen zur Beschleunigung des Alltags und der Arbeitswelt durch digitale Medien. Auch wenn Slow Media den Journalismus und die Medien absehbar nicht revolutionieren wird, kann es eine konstruktiv-kritische Diskussion in Wissenschaft und Praxis befördern – und wie z.B. Slow Food zu einer Sensibilisierung im Alltag beitragen.

Wenn sich die Metapher Slow Media nicht durchsetzen sollte, muss mit anderen Begriffen diskutiert werden, wie im Sinne von Entschleunigung, mehr Qualität und Selbstbestimmung den Trends der Informationsüberflutung, Oberflächlichkeit und Ablenkung durch Medien begegnet werden kann. Angesichts der dramatischen Veränderungen in den Rahmenbedingungen für Journalismus und für eine aufgeklärte Öffentlichkeit sollten in diese Diskussion auch die Mechanismen der Echoräume von Social Media mit ihren Erregungswellen und Verschwörungstheorien, die Glaubwürdigkeitskrise der Massenmedien und die schwierigen medienökonomischen Bedingungen im Internet einbezogen werden.

Eine kritische Diskussion in diesem Sinne führt automatisch hin zu erweiterten Qualitätskriterien, die in der gegenwärtigen Medienentwicklung leitend sein könnten für professionellen Journalismus jenseits des Mainstreams. Gleichzeitig wird eine intensivere Diskussion aber auch interessante Nischen im hart umkämpften Medienmarkt aufzeigen, in denen Menschen auch im Internet bereit sind, für Qualität zu bezahlen. Journalismus und Medien könnten schon heute viel stärker werben für den publizistischen und gesellschaftlichen Wert von professionellem Journalismus. Im Sinne von Slow Media und mehr Nachhaltigkeit in der Massenkommunikation könnten neben den handwerklichen Qualitäten (z.B. Recherchetiefe) auch Kriterien wie Relevanz, Transparenz und Fairness offensiver beworben werden – und ggf. auch Slow Media selbst.

Zeit, Beschleunigung, Steigerung und Entfremdung – und noch mehr Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung und mehr Lebensqualität – beschäftigen viele Menschen im Alltag. Daher ist Slow Media auch als journalistisches Thema spannend und zukunftsträchtig. Es lassen sich viele erhellende und auch amüsante Alltagsgeschichten erzählen, z.B. von berufstätigen Eltern mit Kindern. Es können aber auch ökonomische, soziale und kulturelle gesellschaftliche Zusammenhänge thematisiert werden, wie z.B. Ausstiegsszenarien aus den Wachstumszwängen oder Geschichten von Menschen mit Zeitwohlstand. Dringend nötig wäre aber auch eine breitere Aufklärung über die Mythen digitaler Medien, wie z.B. Multitasking als Lösung für die allgegenwärtige Zeitnot. Oder Beiträge über Reboundeffekte von Zeitmanagement, wenn mühsam errungene freie Zeit gleich wieder mit neuen Aufgaben zunichte gemacht wird.

Grüner Journalismus hat mit diesem Themenschwerpunkt Slow Media einen Werkstattbericht als Beitrag zu einer offenen Diskussion geliefert. Mehr Nachhaltigkeit in der Medienkommunikation wird uns auch weiterhin beschäftigen. Das Thema hat in der anwendungsorientierten Forschung und in der Lehre einen festen Platz. Slow Media ist eingebunden in das Rahmenthema Journalistische Ökologie, das sich nicht nur an den ressourcenökologischen planetaren Grenzen orientiert, sondern auch an persönlichen und sozialen Grenzen – hier im Sinne einer Kommunikationsökologie.

Quellenverweise

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