Von Torsten Schäfer

Beim Ausmisten der alten Studienunterlagen fällt eine Kopie auf den Boden: ein Artikel, den der in Zürich lehrende Umweltsoziologe Andreas Diekmann verfasst hat. Der erste Satz lässt aufhorchen: Mehr als drei Viertel von fast 1300 Deutschen glauben, dass „die Ursache des Treibhauseffektes ein Loch in der Erdatmosphäre ist“. Erste Reaktion: Überraschung. Denn der Artikel stammt ja von 2001. Und seitdem haben die Deutschen viel über den Klimawandel gelernt – die Zahl wäre heute sicher eine andere. Zweite Reaktion: Zweifel. Denn was würde es ändern, wenn jetzt nur noch die Hälfte der Bürger der These zustimmten? Gar nichts. Das Resultat wäre genauso bedenklich.

Wie aber kann es sein, dass die Mehrheit dieser These zustimmt, nach all den Debatten der vergangenen Jahre? Schließlich gab es schon 2001 eine zehn Jahre alte, breite Klimakampagne – auch das machen die Unterlagen aus der Umzugkiste klar: Zum Beispiel das vergilbte Zehn-Punkte-Programm für eine europäische Energiepolitik, das deutsche Umweltverbände 1993 verfasst haben.

In der Finanzkrise gab es einen starken Willen

Fast zwei Jahrzehnte konnten Politik und Gesellschaft dazulernen. Doch warum sind die politischen Fortschritte trotzdem nicht größer? Oder die Bereitschaft der Bürger umzusteuern? Sicher: Es tut sich etwas. Und das Wissen ist gewachsen. Aber die Problemlösung geschieht zu langsam, wie Wissenschaftler und Umweltverbände immer wieder kritisieren.

Der absolute Wille, etwas zu tun, den die Politik etwa in der Finanzkrise gezeigt hat, ist nicht zu erkennen, monieren die Fachleute. Dabei könnte das klimapolitische Zögern mehr als der gerade noch vermiedene Wirtschaftskollaps kosten. Das hat schon der sogenannte Stern-Report gezeigt. Darin kalkuliert der heutige Leiter des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung und ehemalige Weltbank-Chefökonom, Nicholas Stern, die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung. Kosten von rund 5,5 Billionen Euro kämen auf die Menschheit zu, wenn sie nichts gegen den Klimawandel unternimmt. Was ist also der Grund für diese Diskrepanz?

Screenshot WWF-Website

Was bringen Klimakampagnen wie etwa die des WWF? Wieviel sagt der Eisbär noch aus? Die Vermittlung des Themas ist aus mehreren spezifischen Gründen schwierig – für Medien ebenso wie Lehrer, Pressearbeiter und andere Kommunikatoren

Die Folgen treten spät und überall auf

„Der Klimawandel widerspricht unserer Art, Probleme wahrzunehmen und zu bekämpfen, er überfordert den Menschen“, sagt der frühere BBC-Reporter und Psychotherapeut Mark Brayne, der beim Global Media Forum der Deutschen Welle referierte. Ein Kollege, der britische Umweltjournalist George Marshall, hat in Aufsätzen die Problemstruktur des Klimawandels beschrieben. Deutlich wird: Vor allem die Zeitdimension des Themas überfordert das politische System, das – siehe Finanzkrise – zu schnellem und globalem Handeln fähig ist, wenn eine existenzielle Bedrohung aktuell und unmittelbar heraufzieht. Die Folgen des Klimawandels liegen im Vergleich dazu, vor allem für Europäer und Amerikaner, meist noch in der Zukunft – deshalb fällt auch das Gros der wirtschaftlichen Kosten noch nicht an. „Und die Erfolge jetzigen Handelns sind erst in 70 Jahren sichtbar; das übersteigt die Vorstellungskraft. Und die Motivation, etwas zu tun“, erklärt die Hamburger Journalistik-Professorin Irene Neverla, die die mediale Darstellung des Klimawandels erforschen.

Darüber hinaus sind die Ursachen und Folgen der Erderwärmung hochkomplex, teils umstritten – und damit alles in allem sehr unüberschaubar. Zielgerichtetes und gemeinsames Handeln, das auf geteilten Überzeugungen beruht, erschwert das enorm. „Und der Klimawandel wirkt überall auf der Welt, wodurch man ihn schwer verorten kann“, fügt Neverla hinzu.

Es gibt keinen Hauptschuldigen

Einen Hauptschuldigen, wie zum Beispiel bei Ölkatastrophen, gibt es nicht. Die Verursacher des Klimawandels sind immer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam. Alle Ebenen sind beteiligt – und leiden gleichzeitig an den Folgen. Eine klare Aufteilung in Täter und Opfer erlaubt die Thematik also auch nicht. Umso wichtiger erscheint es, sie so zu kommunizieren, dass Handlungsbereitschaft entsteht und gehandelt wird.

Das Zaudern in der Klimafrage hat sicher nicht nur psychologische Gründe. Doch diese Dimension des Problems ist der Grund für viele Hindernisse – wird demgegenüber aber selten diskutiert. „Wir müssen auf diese Thematik schauen. Wenn wir unsere Wahrnehmung des Problems kennen, können wir ihm besser begegnen“, sagt Psychotherapeut Brayne.

Herausforderung Klimaskepsis

Ein Problem stellt auch für Journalisten die Klimaskepsis bzw. Klimaverleugung dar. Der Umgang ist nicht leicht, da die bestehenden Unsicherheiten in der Klimaforschung um deren Glaubwürdigkeits selbst und aufgrund der journalistischen Sorgfaltspflicht benannt werden müssen. Andererseits kann mitunter der Eindruck entstehen, dass die Erkenntnisse zum Klimawandel insgesamt infrage gestellt werden. Die Webiste www.klimafakten.de versucht, die Mythen der Klimasektpiker zu enttarnen und aufzuklären – ein gutes Hilfsmittel für die Recherche. Dennoch bleibt die Klimaskepsis immer wieder eine Herausforderung.

Angesprochen darauf, erweitert Irene Neverla die Perspektive: „Der Klimawandel hat einen Aspekt, der ihn zum langfristigen Thema macht“, sag sie. Die Diskussion wecke starke Assoziationen, wie etwa den „Glauben an die Natur, an Reinheit und Ursprünglichkeit. Deshalb ist das Thema auf einer ganz elementaren Ebene zunächst einmal positiv besetzt.“

Der nächste Themenschwerpunkt von Grüner-Journalismus befasst sich im März mit dem Klimathema. Wie können Journalisten damit umgehen? Was sind neue Themen, gute Quellen, wo sind Widersprüche, Überbetonungen und Unterthematisierungen? Diese und andere Fragen wird das Dossier behandeln.

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