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(Bild: Alisa Fraefel)

Von Alisa Fraefel und Katharina Kramer

Was fasziniert Sie persönlich am Weinbau?

Wein ist ein wahnsinnig spannendes und sehr individuelles Produkt. Durch weinbauliche Maßnahmen kann ich ihn in einem frühen Stadium beeinflussen. Auf 100.000 Hektar Rebfläche tummeln sich viele tausend Weingüter und sehr viele Weine, die alle die Handschrift ihres Winzers tragen. Außerdem wird Weinbau in landschaftlich schönen Regionen betrieben und da sind die Leute freundlicher und aufgeschlossener. Und Wein ist und bleibt ein Produkt, das je nach Anlass immer Gesprächsbedarf liefert und das ist etwas Tolles.

Warum sind Sie an dieses Institut gekommen?

Ich bin damit aufgewachsen, da meine Familie Weinberge hatte. Dann habe ich klassisch mit einer Lehre als Winzer begonnen, wollte aber wissenschaftlich weitermachen. Im Ausland habe ich über sechs Jahre viel Erfahrung gesammelt. Doch wenn man sich so lange mit kleinen akademischen Details beschäftigt hat, muss man aufpassen, dass man die Wurzeln nicht verliert, und das sah ich von mir wegdriften. Deshalb bin ich seit 2006 wieder in Geisenheim und leite seit 2009 das Institut kommissarisch. Für alles, was man im Leben macht, findet man in einem Bereich eine Passion und wenn der Funke glüht und sprüht, gilt es dieses Feuer zu schüren. Ich hoffe, dass ich das auch meinen Studenten vermitteln kann.

Was zeichnet den Weinbau im Rhein-Main-Gebiet aus?

Der Weinbau ist unter den landwirtschaftlichen Kulturen aufgrund seiner enormen Wertschöpfung eine faszinierende Kultur. Von der Primärproduktion bis hin zur Veredelung ist er sehr interessant. Weinbau hat hier im Rheingau eine lange Geschichte, die eng mit dem Riesling verwachsen ist, und das begründet auch seinen Stellenwert in dieser Region. In der Lehre und Forschung ist Geisenheim schon seit 140 Jahren etabliert.

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Dr. Manfred Stoll ist seit 2006 am Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau in Geisenheim. (Bild: Bilal Aslam)

Hier im Institut gibt es den Forschungsschwerpunkt Klimawandel. Inwiefern beeinflusst der Klimawandel den Weinbau?

Wenn man über den Klimawandel redet, sind drei Faktoren wichtig: Der Anstieg der Temperatur, die Verteilung der Niederschläge und die Konzentrationsänderung der klimarelevanten Gase. Der Temperaturanstieg führt in der Landwirtschaft tendenziell zu einer Verfrühung in der Vegetation. Das heißt, wärmere Winter führen zu einem früheren Austrieb, wodurch sich die gesamte Entwicklung, also auch die Reife, zwei bis drei Wochen nach vorne schiebt. Das ist für den Weinbau insofern dramatisch, als dass das Risiko einer Schädigung durch Spätfröste sehr groß ist. Dagegen herrschen während der Reifezeit deutlich wärmere Temperaturen, weshalb mehr Zucker in die Trauben eingelagert wird. Dadurch erhöht sich das Risiko eines Sekundärbefalls durch Schaderreger und die Weinlese muss schneller erfolgen.

Welche Auswirkungen hat die Niederschlagsänderung auf den Weinbau?

Wir gehen davon aus, dass sich nicht die absolute Niederschlagsmenge reduziert, sondern sich die Niederschlagsverteilung verändert. Für den Weinbau bedeutet das, dass weniger Regen in den Sommermonaten zu mehr Trockenstresstagen führt. Indirekt bewirkt dies eine Qualitätsveränderung des Weines. Vereinfacht heißt das: Weniger Wasser, weniger Wachstum, eine andere Belichtung und ein anderes Kleinklima am Stock führen zu einer Veränderung der Inhaltsstoffe. Bei roten Rebsorten wirkt sich das positiv auf den Geschmack aus, bei weißen Rebsorten, wie dem Riesling, dagegen eher negativ.

Anfangs haben Sie von drei Faktoren gesprochen. Dann fehlen jetzt nur noch die klimarelevanten Gase.

Bei den klimarelevanten Gasen ist das Kohlenstoffdioxid am wichtigsten. Bis 2050 ist ein Konzentrationsanstieg von circa 20 Prozent prognostiziert. Andere relevante Gase werden sogar von der Landwirtschaft indirekt selbst produziert. Lachgase oder Methan sind wesentlich reaktiver als CO2. Die Frage ist jetzt, welche Auswirkungen dies auf die Reben hat und daran forschen wir.

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Auf der Außenanlage der Hochschule wird der Einfluss verschiedener CO2-Konzentrationen direkt an den Weinstöcken getestet. (Bild: Bilal Aslam)

Welche Folgen sind durch den Klimawandel erkennbar?

Dadurch dass mehr Starkregen fallen wird, kann es an den Hanglagen des Weinbaus zu Erosion kommen. Der Boden kann nur eine gewisse Kapazität Wasser aufnehmen. Wenn sehr viel Niederschlag auf einmal fällt, kommt es zu Hangrutschungen. Zukünftig gilt es, dies zu vermeiden. Begrünung ist eine Möglichkeit, die Kapazität des Bodens zu vergrößern. Gleichzeitig ist eine Begrünungspflanze aber eine gewisse Konkurrenz für die Weinrebe, da auch sie Wasser benötigt.

Gibt es Technologien, die Sie beim Weinbau unterstützen?

Ja, wir nutzen Wetterdaten, die von Satelliten erfasst werden. Der Winzer kann sich dadurch stündlich informieren, was für seine Arbeitsplanung und Pflanzenschutzstrategie unabdingbar ist. Es spielen aber auch Daten aus dem nicht sichtbaren Bereich des Lichts eine Rolle. Dabei machen wir uns den kurzwelligen, also den ultravioletten Bereich, sowie den langwelligen Nah-Infrarot-Bereich zu Nutze. Im UV-Bereich können dem Winzer über Sensoren Informationen zur Qualität seiner Rebstöcke, Rebfläche und Trauben mitgeteilt werden. Dadurch kann er Pflanzenschutzmittel einsparen und so die Umwelt schonen.

Mit einer Infrarot-Kamera kann die Wärmestrahlung, die von der Blattoberfläche abgestrahlt wird, sichtbar gemacht und dazu verwendet werden, Trockenstress zu erkennen. Außerdem können Aussagen über den Chlorophyll-Gehalt getroffen werden. Da Chlorophyll eines der zentralen Pigmente bei der Photosynthese ist, können wir dadurch etwas über den Zustand der Pflanze sagen.

Von welchen Krankheiten ist der Wein betroffen und werden diese durch den Klimawandel begünstigt?

Er ist sehr anfällig für die Pilzkrankheit Mehltau, sowohl für den Falschen als auch für den Echten Mehltau. Dieser verursacht Schäden an Blättern und Trauben und führt entweder dazu, dass diese Traubenteile gar nicht mehr reifen oder ein verdorbenes Produkt erzeugen. Ob diese Krankheiten durch den Klimawandel begünstigt werden, kann man nicht sagen, da sie unter entgegengesetzten klimatischen Bedingungen auftreten. In trocken-heißen Jahren befällt der Echte Mehltau die Weinstöcke, während ein feucht warmes Jahr den Falschen Mehltau begünstigt.

Welche tierischen Schaderreger gibt es?

Besonders in den letzten Jahren kommen tierische Schaderreger über die Alpen neu hinzu. Ein sehr hartnäckiger Schädling ist die Fruchtfliege Drosophila suzukii. Sie „bohrt“ die Beerenhaut an, wodurch sie eine Eintrittspforte für sekundäre Krankheiten schafft und nicht nur im Weinbau, sondern auch auf Obstplantagen große Schäden anrichtet.

Was für Maßnahmen oder Methoden werden in Geisenheim entwickelt, um sich an den Klimawandel anzupassen?

Die große Herausforderung ist, den globalen Klimawandel regional anzugehen. Dazu braucht man ein sehr klein aufgeteiltes Messnetz, das Wetterdaten liefert. Anhand dieser Daten können wir Modelle erstellen, die die Entwicklung vorhersagen. In Bezug auf den Weinbau sind diese Modelle für den Wasserhaushalt sehr wichtig. Um Trockenstress zu vermeiden, muss eine sehr gezielte Bewässerungssteuerung erfolgen. Da Wein besonders gut an Südhängen wächst, wo eine hohe Sonneneinstrahlung herrscht, wird das Trockenstressrisiko noch einmal weiter erhöht.

Weinbau als Dauerkultur muss nachhaltig sein. Im Bereich des Anbaus haben wir unterschiedliche Erziehungssysteme. Dabei werden die Sommertriebe in ein Unterstützungssystem zu einer Laubwand eingeflochten. Die Blätter dienen als Lichtsammelfalle und Energieumwandler und sorgen dafür, dass hochwertige Trauben entstehen. So können wir das Kleinklima innerhalb eines Stockes verändern. Durch Laubarbeiten, Entblätterungsmaßnahmen und Schnittformen kann in das Beerenreifen eingegriffen werden.

Eine andere Möglichkeit ist, auf rote Rebsorten oder Rebsorten aus dem Süden umzustellen. Das heißt aber nicht, dass heimische Weine verloren gehen, da jede Rebsorte eine gewisse Plastizität hat und der Winzer diese durch bewusstes Handeln erweitern kann. Durch Züchtung können auch andere Sorten ausgewählt werden, die sich den neuen Bedingungen besser anpassen. Auch beim Riesling entstehen auf diese Weise verschiedene Klone, die sich möglicherweise besser eignen.

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Nach dem Gespräch zeigte uns Dr. Manfred Stoll die Weinberge der Hochschule. (Bild: Bilal Aslam)

Seit wann spüren Sie eine Veränderung beim Weinbau, die durch den Klimawandel geprägt ist?

Seit den letzten 15 Jahren. Wenn wir von Gewinnern und Verlierern des Klimawandels sprechen möchten, können wir mit Sicherheit sagen, dass der Weinbau von der Temperaturerhöhung hauptsächlich profitiert hat. Es wird mehr Zucker in den Trauben eingelagert, wodurch der Alkoholgehalt des Weines steigt. Gleichfalls hat sich auch der Säuregehalt reduziert, was zu harmonischeren Qualitäten führt.

Wird der Weinbau im Rheingau durch den Klimawandel seine Besonderheit verlieren?

Ich glaube die Weinbauregionen würden nur ihre Besonderheit verlieren, wenn der Weinbau abzieht. Solange eine entsprechende Nachfrage nach einer Rebsorte, zum Beispiel dem Riesling, besteht, wird sich an diesem Wein nichts ändern. Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben ein Weingut und müssen festlegen, welche Rebsorte Sie anpflanzen. Wenn Sie sich auf eine Sorte festgelegt haben, dann sind Sie mit der 30 Jahre „verheiratet“ und müssen sehen, wie Sie die Kinder daraus unterkriegen.

Wo sehen Sie den Weinbau in Geisenheim in 100 Jahren?

Der Weinbau wird sich immer weiterentwickeln und man könnte sich die verrücktesten Szenarien ausmalen. Jetzt schon gibt es kleine Roboter mit verschiedenen Sensoren, die sich im Weinberg bewegen. Der Weinbau wird mit Sicherheit ein traditionelles Handwerk bleiben, das sehr viel Arbeit erfordert. Auch touristisch sind die Weinbauregionen sehr beliebt und dafür sollten wir gemeinsam Konzepte entwickeln, die ein wohnlich angenehmes Umfeld schaffen.

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Obwohl Alisa aus Weinheim an der Bergstraße kommt, ist sie eigentlich eine Biertrinkerin. Durch die leidenschaftliche Art von Manfred Stoll fühlt sie sich jetzt jedoch berufen, doch auch mal zu einem Glas Wein zu greifen. (Bild: Bilal Aslam)

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So ganz auf den Geschmack des Weins ist Katharina noch nicht gekommen, nur Federweißen, den trinkt sie gerne. Doch was noch nicht ist, kann ja noch werden und vielleicht entdeckt sie bald ihre Leidenschaft für den Riesling. (Bild: Bilal Aslam)

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