Wie wird man Klimaretter? Das Informationsportal sucht nacht Antworten (Screenshot: klimaretter.info)

Wie wird man Klimaretter? Das Informationsportal sucht nacht Antworten (Screenshot: klimaretter.info)

Von Nick Reimer

Das Problem der Erderwärmung ist ein kollektives: Nicht das Fehlverhalten des Individuums ist schuld, sondern das Verhalten aller Menschen – zumindest in den Industriestaaten. Deshalb kann auch nur das Kollektiv das Problem lösen. Das ist die Quintessenz des Buches „Wir Klimaretter“, das Toralf Staud mit dem Autoren dieser Zeilen 2007 im Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlichte. Das Buch wies damals nach: Eine Halbierung der deutschen Treibhausgas-Emissionen bis 2020 ist möglich, wenn wir es denn wollen. Dafür braucht es mutige, teils radikale Entscheidungen in der Politik und tiefgreifende Änderungen in der Wirtschaft. Es bedarf einer Alltags-Revolution. Wer nun aber nicht warten wollte, bis das Kollektiv bereit zur Problemlösung, zur Revolution ist, für den sollte ein viertes Kapitel Möglichkeiten aufzeigen, schon jetzt – also 2007 – zum Klimaretter zu werden.

Jede Glühlampe bedeutet jährlich 29 Kilogramm Kohlendioxid, ein typischer Kühlschrank schlägt mit 138 Kilogramm zu Buche, der Fleischkonsum mit 560 Kilogramm, ein Jahr Autofahren mit mindestens zwei Tonnen. Ganz individuell: Da geht also was. Um die Aussage des Buches nicht zu verwässern, legte sich der Lektor von Kiepenheuer & Witsch, Lutz Dursthoff, ins Zeug und finanzierte die Ratgeber-Seite www.wir-klimaretter.de – sozusagen die Veröffentlichung des vierten Buchkapitels im Internet. Den Stromanbieter wechseln? Geld sinnvoll in Klimaschutz investieren? Klimaneutral fliegen? 2007 waren das noch keine Allerweltsthemen. Einen Baum pflanzen, zum Beispiel: Wie macht man das? Man kann ja schlecht in den Stadtpark gehen und die Schaufel rausholen.

Zumal es mit dem Pflanzen nicht getan ist: Der Setzling muss gehegt und gepflegt, gegen Hunde-Urin, Rehfraß oder Vandalismus verteidigt werden. Wie macht man das also: Klimaretter werden? „Menschen engagieren sich nur gegen Sachen, die ihnen missfallen“, hat Hermann Scheer gesagt. Und um das umzusetzen, bemühten sich die Buchautoren, dem ratsuchenden Klimaretter-Volk ab und an aktuelle Nachrichten zum Thema auf den Ratgeberseiten im Internet zu reichen. „Niedersachsens SPD-Spitze für ein Tempolimit“, heißt es da, „Klaus Töpfer gegen Atomenergie“, „Umweltbundesamt: Esst weniger Fleisch!“ oder „Grundsteinlegung für das Parabolrinnen-Kraftwerk Andasol“.

Lesergelder und ehrenamtliche Autoren

Interessanterweise waren es Leser, die ab März 2008 einen erstaunlichen Geldbetrag auf den Tisch legten: So, nun macht mal, wir wollen weiter aus der Klimaretter-Redaktion mit Nachrichten zur Klimarettung versorgt werden. Es galt also, eine Redaktion aufzubauen. Das Projekt hatte mittlerweile bei einigen Fachjournalisten für Aufmerksamkeit gesorgt – eben weil der Drucktext beim Zeichen 3.500 zu Ende sein muss, Probleme der Erderwärmung aber nicht selten dreimal soviel Platz benötigen, um adäquat dargestellt und erklärt zu werden. „Das ist gut, was ihr da macht – wollt ihr meinen Text nicht verwenden?“ Renommierte Energiejournalisten wie Bernward Janzing belieferten die Redaktion ab sofort genauso wie erfahrene Auslandskorrespondenten, beispielsweise Gerhard Dilger aus Brasilien oder Christian Mihatsch aus Bangkok. So entstand ein erstes Netz von ehrenamtlichen Autoren.

Damit wandelte sich langsam die Klimaretter-Ratgeberseite in einen Informationskanal. Neben Nachrichten, Reportagen und Hintergrundtexten wurden erste Kommentare und Debattenbeiträge publiziert. Der klima-luegendetektor.de sollte in Kooperation mit dem greenpeace magazin das journalistische Angebot um einen Blog ergänzen. Denn plötzlich war sogar die Industrie Klimaretter: Irgendwer musste aufdecken, mit welch unverschämter Dreistigkeit für den oft größten klimaschädlichen Nonsens geworben wurde. Um bei alledem nicht ganz so bierernst daher zu kommen, gründete die Redaktion den Klimaretter-Beichtstuhl.

Na, doch wieder einmal schwach geworden? Doch wieder eine unnötige Strecke mit dem Auto gefahren? Doch wieder ins Flugzeug gestiegen, obwohl Sie wissen, wie klimaschädlich das ist? Schade. Aber, das Gefühl kennen wir alle – einen guten Vorsatz zu haben und diesem dann doch untreu zu werden. Fehler zu (be)kennen, ist der erste Schritt zur Besserung: Erzählen Sie einfach sich und anderen Klimarettern, was Sie bereuen. Und warum. Sie werden sehen: Das erleichtert! Jetzt steht da: „Mein Computer läuft von morgens bis abends, Flurlicht brennt immer, in der Küche läuft das Radio, die Waschmaschine hat 20 Jahre auf dem Buckel.“ Es gibt immerhin ein Problembewusstsein!

Aufhören oder neu anfangen?

Nach 2.000 Nachrichten, Hintergründen, Lügendetektoren, Kommentaren und Beichten gab es die Quittung: Im Dezember 2008 wurde die Redaktion mit dem Umweltmedien-Preis der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet. 2.300 Textstellen weiter – im November 2009 – kam der Deutsche Solarpreis dazu, verliehen von Eurosolar und Hermann Scheer. Zu den Buchautoren und Fachkollegen hatte sich eine Meute junger, sehr engagierter Journalisten gesellt, die das Thema und damit auch das Portal wirklimaretter.de voran- trieben. Auch die Leserzahlen – im Online-Jargon „Klick-Zahlen“ genannt – bestätigten das. Hatte wir-klimaretter.de im Jahr 2007 täglich noch 1.500 Leser, so waren es im Jahr darauf schon durchschnittlich 3.500 Leser am Tag. Die Zahl wuchs 2009 auf 6.000 Leser täglich. Und dann kam auch noch die Klimakonferenz in Kopenhagen, von der die Klimaretter-Redaktion mit zehn Journalisten berichtete. 10.000 Leser interessierten sich für das Angebot. Täglich.

„Können Sie mit Ihrer Initiative unsere Baumpflanzaktion unterstützen?“ – „Wie steht ihr Verein zum Weltklimarat IPCC?“ Die Sache drohte Anfang 2010 aus dem Ruder zu laufen. Wir sind Journalisten, deren Handwerkszeug die Recherche ist, und zwar jene, die im gedruckten Ergebnis nicht den Standpunkt des Autors erkennen lässt. Und doch vermittelte wir-klimaretter.de offenbar den Eindruck, „Teil der Bewegung“ zu sein; Verein, Institution. Nach Kopenhagen stellte sich deshalb die Frage: „Aufhören oder noch einmal ganz neu anfangen?“ Wir entschieden uns für zweiteres: Aus wir-klimaretter.de wurde klimaretter.info. Wir gründeten einen Verlag, um professioneller agieren zu können, suchten einen Herausgeberkreis, der mit Rat und Kontakten das Magazin voranbringen soll: den renommierten Klimawissenschaftler Hartmut Graßl, den Politiker und Staatssekretär a.D. Michael Müller sowie die Industriellen Werner Brinker, Gero Lücking und Matthias Willenbacher.

Zudem wurde das Portal in die Layout-Schmiede geschickt. Klarer sollte klimaretter.info als Informationsportal daher kommen, die Botschaft eines „Magazins zur Klima- und Energiewende“ auch schon optisch vermitteln: Hier gibt es die Nachrichten und Hintergründe – und zwar in der besten verfügbaren journalistischen Qualität. Im Sommer 2010 starteten die neuen Seiten – mit keinem geringeren Anspruch, als das Spiegel Online für die Energie- und Klimawende zu werden. Ob das gelingt, wird in erster Linie von der Branche, von der „Szene der Energiewende“ abhängen: Jede neue Idee, jede neue Bewegung braucht ein neues Medium, um sich zu artikulieren, um den Weg zu debattieren und den Fortschritt zu bewerten. klimaretter.info könnte dies werden – wenn die Redaktion weiter an Qualität zulegt und in Ruhe arbeiten kann. Das bedeutet: Wenn die Redaktion genügend Geldgeber findet, die einsehen, dass die Revolution der Energiewende ohne ein eigenes Sprachrohr zum Scheitern verurteilt ist. Oder allenfalls zum Revolutiönchen verkommt.

Sprachrohr für die dritte technische Revolution

Tageszeitungen oder deren Online-Auftritte können kaum ein solches Sprachrohr für die dritte technische Revolution sein. Zu speziell sind die Themen, als dass sie etwa in der taz oder der Süddeutschen Zeitung im Interesse einer allgemeinen Leserschaft vertieft werden könnten. Eine eingehende Bilanz der 30 Merkelschen Meseberg-Gesetze – pro Teil 500 Druckzeilen und damit weit über eine Zeitungsseite lang – wird man dort genauso wenig finden können wie eine Debattenserie über das „Zwei-Grad-Ziel“ der internationalen Klimadiplomatie, ein Dossier über den Agro-Treibstoff E10 oder eine Analyse der Gesetze der Energiewende aus dem Jahr 2011. Einfach weil es weder die fachkompetenten Autoren noch die Lesererwartung an eine solche Thementiefe gibt.

Auch die vielen Spezialportale wie solar.de oder energie.de können sich nicht zum Sprachrohr der Energiewende aufschwingen. Sie sind enorm wichtig; die oft sehr technikkonzentrierten Angebote sind für Fachleute unerlässlich und sorgen für die abgespulten Wegekilometer der Wende: Welcher Wechselrichter ist der Beste? Welche Windparkrechenmodelle liefern den Parkwirkungsgrad nördlich des Darß? Wie muss das Beobachtungssystem funktionieren, um Landnutzungsänderungen hinreichend in die Lizenzierung der Biomasse einbeziehen zu können? Genau wegen dieser wichtigen Funktion können die Spezialportale nicht als Kompass auf dem Weg der Energiewende dienen: Ihre Zuschnitte sind oft so speziell, dass sie jenseits der Fachgruppe einer allgemeinen Leserschaft unverständlich sind. Und sie sind oft von Fachleuten und nicht von politischen Journalisten gemacht. Zerstört die Windkraft unseren Naturraum? Berauben die Solarkraftwerker unser Portemonnaie? Zerstören die Agro-Stromerzeuger unsere Artenvielfalt? Die Spezialportale werden nicht der Diskussionsplatz für Richtungs- oder Moralfragen der Energiewende sein können.

Genau das ist der Platz von klimaretter.info: Onlinejournalismus hat viele Vorteile gegenüber den Printmedien. Der offensichtlichste ist der Kostenfaktor: Eben weil es keiner Vertriebsstrukturen, keiner Druck- und nur minimaler Produktionskosten bedarf, kann ein Online-Magazin mit wenig Geld ein großes Angebot verbreiten. Dank der Vertriebskanäle wie Twitter, Facebook oder dem eigenen Newsfeed wird eine Leserschaft erreicht, die gar nicht mehr zwingend bei klimaretter.info vorbeischauen muss. Ein weiterer Vorteil ist die Aktualität: Es gibt keinen Redaktionsschluss, also wird rund um die Uhr aktualisiert. Als die Kollegen aus der Printsparte nach dem japanischen Tsunami noch nach Worten für den Kommentar des nächsten Tages suchten, informierte klimaretter.info bereits über das, was die Welt verändern würde: die Havarie im Atomkraftwerk von Fukushima. Als der Bundesrat im September 2011 das Gesetz zur unterirdischen Einlagerung von Kohlendioxid durchfallen ließ, stand bei klimaretter.info bereits, wie es jetzt mit der Technologie weitergehen würde.

Unendliche Möglichkeiten des Verzweigens

Als Vattenfall-Konzernchef Øystein Løseth erstmals über einen Ausstieg aus der deutschen Braunkohleverstromung in einer schwedischen Tageszeitung öffentlich nachdachte, stand das im deutschen Sprachraum zuerst auf klimaretter.info – und lieferte damit den Stoff für die Wirtschaftsteile der Tageszeitungen am nächsten Tag. Wichtiger als die Aktualität ist aber, dass Online-Artikel beliebig lang und beliebig breit werden können. Leser von klimaretter.info dürfen selbst entscheiden, wie tief sie in ein Thema einsteigen. Durch das Verweisen auf Originalquellen oder ältere Texte im eigenen Archiv, durch das Verlinken zu Lexika-Einträgen, juristischen Kommentaren, Tabellen, Statistiken, Gesetzestexten, Parlamentsanfragen und deren Antworten wird dem Leser die Möglichkeit eingeräumt, enorm tief in die Materie einzudringen – und sich gegebenenfalls selbst auf Recherchetour zu begeben. Das ist gerade beim Klimathema hilfreich, bei dem alles mit allem zusammenhängt: die nationale Fleischproduktion mit dem Welthandelssystem, der Gletscherschmelze oder den Tiefseebohrungen nach Erdöl.

Diese beinah unendlich große Möglichkeit des Verzweigens schafft eine enorme Nutzungsbreite für die Leser: Wer um die Bedeutung des Europäischen Emissionshandelssystems EETS weiß, muss nicht den Lexikoneintrag anklicken, der hinter dem Begriff im Artikel unterlegt ist. Wer es nicht oder nicht genau weiß, kann aber den Umweg über die Basisdaten nehmen. Agro-Treibstoffexperten, die nicht mit Geothermie vertraut sind, können so in die Materie der Erdwärmespezialisten eintauchen, Fachleute der Wärmedämmung sich mit den Klimawirkungen der menschlichen Mobilität befassen. Falls sie es denn wollen. Die Frage wird sein, ob die Branche das Angebot annimmt – und finanziert. Guter Journalismus kostet Geld, und die Macher von klimaretter.info sind fast vier Jahre lang in Vorkasse gegangen. Haupteinnahmequelle war bislang die Selbstausbeutung, das wird sich nun ändern müssen.

Die Energiewende vorantreiben

Dass klimaretter.info auf bestem Wege ist, beweisen die Zugriffszahlen und die Preise: Neben dem Deutschen Solarpreis und dem Umweltmedienpreis gab es den „.INFO Award“ als eine der weltbesten Informationsseiten. Nur eines werden wir nicht mehr ändern können – obwohl uns das viele PR-und Verlags-Strategen immer wieder raten: den Namen „Klimaretter“. 2012 spielt das gleichnamige Buch, das doch Ausgangspunkt des Online-Magazins war, keinerlei Rolle mehr; „Klimaretter“ verstört eher, als anzuziehen. Natürlich wissen wir selbst, dass der Name in gewissem Sinne absurd ist: Schließlich kann der Mensch das Klima nicht „retten“, sondern allenfalls außer Takt bringen. Die Welt wird davon nicht untergehen, allenfalls ein paar hundert Millionen Exemplare der Spezies Mensch.

Doch bevor es soweit ist – und an dieser Stelle stimmen viele meiner Kollegen in der Klimaretter-Redaktion zu – wollen wir durch unser Tun doch erst noch einmal versuchen, die Energiewende voranzutreiben. Kann ja sein, dass die internationale Klimapolitik so unendlich langsam ist: Gelingt die Energiewende in Deutschland aber, ist die Stabilität des Weltklimas vielleicht doch noch nicht verloren. Dann werden andere Länder folgen, und die fossilen Energieträger werden uns irgendwann als aberwitziger Irrtum der Menschheit erscheinen. Und es wird gut sein zu wissen, wo man herkommt. Insofern ist ein Buchkapitel nicht der schlechteste Ausgangspunkt für ein Informationsportal.

Dieser Artikel erschien bereits im Band „Umwelt Europa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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