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Martin Häusling ist gelernter Agrartechniker. Von 2003 – 2009 war er hessischer Landtagsabgeordneter und dort für Landwirtschaft, Europa, Verbraucherschutz sowie ländliche Räume und Gentechnik zuständig. Mit der Europawahl von 2009 wurde Martin Häusling in das Europaparlament gewählt. Dort ist er seitdem Agrarpolitischer Sprecher der GRÜNEN.

Interview: Leonie Kraus

„Erst als die Umweltauswirkungen für viele auch offensichtlich wurden, gab es eine kritische Diskussion“

Herr Häusling, warum werden in der Landwirtschaft Pflanzenschutzmittel eingesetzt und warum werden sie als problematisch wahrgenommen?

Wenn man mal schaut, werden Pflanzenschutzmittel noch gar nicht so lange eingesetzt. Das ist gerade mal eine Generation, bei der Pestizide sehr intensiv genutzt werden. Das Ganze hat mit Mitteln angefangen, die heute auf der Giftliste stehen. Wie zum Beispiel DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan). Was günstig und einfach die Schädlinge ausgerottet hat oder ausrotten sollte. Dann ging es weiter, mit vielen Mitteln, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, um Unkräuter zu bekämpfen. Das schien in der ersten Welle der 1960er Jahre tatsächlich auch für viele ein Erfolgsmodell zu sein: Die Erträge stiegen, es wurden weniger Arbeitskräfte in der Landwirtschaft benötigt und die Handarbeit wurde weniger. Erst als die Umweltauswirkungen für viele auch offensichtlich wurden, gab es eine kritische Diskussion.

Inwieweit sind Pestizide verantwortlich für den Rückgang der Artenvielfalt?

Pestizide haben ganz massiv Einfluss auf die Artenvielfalt und auch das Bodenleben verändert sich dadurch. Denn wenn wir so große Mengen an Leben im

Boden haben, zerstören langfristig viele Mittel tatsächlich auch unser Bodenleben. Aber das Konkrete, das mache ich an dem Punkt fest: Wir haben mal DDT eingesetzt und als klar wurde, dass es so viele Nebenwirkungen bei Pestiziden gibt, mit denen vorher kein Mensch gerechnet hätte, wurde

DDT verboten und es kam ein neues Mittel auf den Markt: PCB (Polychlorierte Biphenyle). Und auch das war scheinbar wieder völlig ungefährlich. Aber auch PCB hat erhebliche Auswirkungen auf das Leben und insgesamt auf viele Tierarten und Insekten. Und in der Tat, jetzt sind wir an dem Punkt, wo die Industrie wiederkommt und wieder ein Mittel entwickelt, was angeblich total ungefährlich ist. Ich glaube die Geschichte nicht mehr. Weil jedes dieser Mittel hat Nebenwirkungen, die wir gar nicht abschätzen können. Die Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden zielt darauf ab, den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu verringern.

Glauben Sie, dass dieses Ziel erreichbar ist?

Fairerweise muss man natürlich sagen, dass es große Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern der EU gibt. Da gibt es schon einige Proteste, dass Mitgliedsländer, die wenig Pestizide einsetzen, sagen: Das ist ja gemein, warum müssen wir noch mehr reduzieren? Und das ist auch der kleine Denkfehler in der ganzen Vorlage. Aber ich glaube und befürchte, dass es im Laufe des Verfahrens – gerade von den Agrarminister – Widerstand geben. Weil man muss ganz generell sagen, es steht eine mächtige Lobby hinter der Agrar-Industrie. Bayer hat zum Beispiel nicht umsonst Monsanto (Agrar-Konzern und Hersteller von genmanipuliertem Saatgut und Produzent von Herbiziden, d.R.) gekauft, weil sie sich in Zukunft mit dem Saatgut und dem Geschäft mit Pestiziden natürlich ihre ganze Unternehmensstrategie aufbauen. Wenn man dafür 70 Milliarden Euro auf den Tisch legt und dann die EU kommt und sagt wir wollen, dass das drastisch reduziert wird – ja, das schädigt natürlich das Geschäftsmodell. Und deshalb denke ich, dass natürlich aus diesen Branchen relativ heftiger Widerstand kommen wird.

„Ich glaube, das ist der Kardinalfehler des Ganzen,  dass man Landwirten relativ viele Rechte einräumt“

Gibt es neben der neuen Verordnung, die bald kommt, bereits einheitliche Gesetze in der EU, die den Umgang mit Pestiziden einschränken?

Wir haben eine unverbindliche Richtlinie. Sie verpflichtet die Mitgliedsländer darauf, jährlich einen Bericht vorzulegen, dass sie eine Pestizid-Reduktion schaffen. Es gibt auch die Verpflichtung integrierten Pflanzenbau zu machen, also das bewegt sich dann dahin, dass man quasi Schadschwellen als Grundlage des Ausbringens von Pestiziden einhalten muss. Aber das Ganze ist unverbindlich. So liefern die Mitgliedsländer noch nicht mal den Bericht ab. Und wir haben auch keine Definition von der sogenannten guten fachlichen Praxis. Um mal ehrlich zu sein, ist es heute allein die Entscheidung des

Landwirts, ob er ein Mittel ausbringt. Ob es sich für ihn rechnet oder nicht rechnet. Kein anderer Maßstab gilt heute. Ich sage immer, man sollte es so machen wie in der Medizin. Wenn eine Krankheit da ist und ich ein Medikament brauche, dann muss der Arzt ein Rezept ausstellen und dann kann ich es einnehmen. Landwirte dürfen alles einfach so verwenden. Ich glaube, das ist der Kardinalfehler des Ganzen, dass man Landwirten relativ viele Rechte einräumt.

Gibt es in anderen europäischen Ländern Vorbilder im Umgang mit Pestiziden?

Das kommt immer so ein bisschen auf den Sektor an. Denn die Unterschiede, ob ein Land extensive oder intensive Landwirtschaft betreibt, spielt natürlich eine große Rolle. Nehmen wir mal als Beispiel Österreich. Dort werden 25 Prozent der Betriebe ökologisch bewirtschaftet. Da ist die Gesamtbilanz des Einsatzes natürlich besser als in Deutschland, wo wir knapp Prozent der Landwirte ökologisch wirtschaften. Allein von den Mengen her macht das natürlich einiges aus. Ich kann dann aber nicht behaupten, dass die anderen 75 Prozent der österreichischen Landwirte deshalb besser wirtschaften. Das muss man sich dann von

Fall zu Fall anschauen. Gerade in der Region, wo intensivst Obstbau betrieben wird. Das ist eigentlich biologisch und ökologisch die Hölle. Und da sollte man dann genau draufschauen.

Glauben Sie, dass grundsätzlich eine Landwirtschaft in Europa möglich ist, die auf chemisch-synthetische Pestizide komplett verzichtet?

Also reden wir nicht von komplett. Reden wir erstmal davon, dass wir mächtig einsparen können. Und ich glaube, da sind längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Also ich rechne nicht damit, dass wir innerhalb der nächsten Jahre nur noch hundert Prozent Öko-Landwirtschaft haben. Aber es gibt gute Beispiele, wo konventionelle Betriebe von Öko-Betrieben auch lernen können. Zum Beispiel bei einer vernünftigen Fruchtfolge, bei der ich viel mit der Anbaupraxis die Beikräuter regulieren kann. Das wird aber heute nicht mehr alles praktiziert. Weil es in letzten 20 Jahren immer darum ging, große Mengen zu ernten, mit relativ großen Erntemaschinen. Und ich glaube, es muss dringend ein Umdenkprozess beginnen.

„Wenn man Glyphosat in Europa verbieten würde,  dann hätte das natürlich auch Folgen für die  Importe“ 

Ende des Jahres 2022 läuft die Zulassung für Glyphosat auf EU-Ebene aus. Der Prozess zur Verlängerung ist noch im Gange. Wissen Sie, wie der Stand in Deutschland und der EU gerade in diesem Verfahren ist?

Zum einen wird die Zulassung wieder verlängert, weil die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit d.R.) sagt, wir haben so viele Akten zu lesen, das schaffen wir nicht bis Ende des Jahres. Zum anderen ist Glyphosat fast zur Systemfrage geworden. Es gibt nichts Einfacheres, als auf Glyphosat zu verzichten. In der Anbaupraxis zeigen sowohl Biobetriebe als auch konventionelle Betriebe, dass Glyphosat nicht gebraucht wird. Es wird nur verwendet, weil es extrem günstig ist und einfach anzuwenden ist und zum anderen, weil es das Geschäftsmodell von Bayer-Monsanto ist. Großbetriebe in Europa und

auch Südamerika könnten gar nicht so günstig wirtschaften, wenn sie Glyphosat nicht hätten. Und wenn man Glyphosat in Europa verbieten würde, dann hätte das natürlich auch Folgen für die Importe. Daher kämpft die Lobby an diesem Punkt ganz vereint, weil es das Geschäftsmodell von den Firmen und der großen Agrarbetriebe kaputtmachen würde.

Was wäre Ihr Appell an die Forschungspolitik?

Ich würde mir wünschen, dass sich die Forschung mehr mit den Folgen von der jetzigen Praxis der Landwirtschaft beschäftigt. Das Problem ist nur, dass es für diese Folgen-Forschungen relativ wenig Geld gibt. Die Wissenschaftler – wenn sie sich mit den Folgenabschätzungen beschäftigen – sind tatsächlich nicht die bestverdienenden Wissenschaftler. Welche Firma sollte sich dann intensiv mit Ökolandbau beschäftigen, wenn man am Ende genau weiß, dass man denen gar nicht viel verkaufen kann. In der konventionellen Landwirtschaft forsche ich natürlich viel mehr, weil ich da weiß, denen kann ich nachher was verkaufen. Insofern gibt es nach wie vor ein Ungleichgewicht in der Verteilung der Forschungsmittel, obwohl wir ja 25 – 30 Prozent Ökolandbau anstreben. Deshalb würde ich mir wünschen, dass sowohl in der Landwirtschaft und in der Anwendung, als auch in der Folge Abschätzung viel mehr geforscht wird.

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