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Von Manfred Redelfs

Mit Greenpeace verbinden die meisten Menschen wagemutige Aktio- nen gegen Walfänger oder spektakuläre Schlauchbooteinsätze gegen Schiffe, die z.B. Urwaldholz aus illegalem Einschlag liefern. Weitaus weniger bekannt ist, welchen Aufwand die Umweltschützer betreiben, um im Vorfeld der gewaltfreien Aktionen an die notwendigen Informationen zu gelangen, etwa wenn es darum geht, eine Lieferkette vom Rodungsplatz in Indonesien bis zu einem Baumarkt in Norddeutsch- land zu rekonstruieren.

Für Greenpeace ist die Recherche ein zentraler Bestandteil der Arbeit, denn nur durch sorgfältige Faktenbeschaffung und -überprüfung lassen sich drei wichtige Funktionen erreichen: Erstens benötigt Greenpeace als international agierende Umweltorganisation verlässliche Daten, um eigene Planungsentscheidungen zu treffen. Dies ist relevant, wenn es darum geht, welches Umweltproblem in den Mittelpunkt der eigenen Arbeit gestellt wird und welche Firma oder Behörde dabei als Adressat einer Kampagne oder als Verbündeter für höhere Schutzstandards eingestuft wird. Zweitens lässt sich die Öffentlichkeitsarbeit nur dann erfolgreich betreiben, wenn es der Organisation gelingt, den Medien exklusive Informationen anzubieten.

Anspruch sind eigene Enthüllungen

Es reicht für Greenpeace also nicht, bekannte Fakten neu zu bewerten – der Anspruch ist auch, das Interesse der Journalisten durch eigene Enthüllungen zu gewinnen. Drittens müssen die verwendeten Informationen bei einer Nichtregierungsorganisation (NGO) besonders sorgfältig auf ihre Stichhaltigkeit geprüft sein, denn das Kapital jeder NGO ist ihre Glaubwürdigkeit. Außerdem ist Greenpeace als streitbarer Verband be- kannt, der Umweltsünder klar benennt und an die eigene Arbeit hohe moralische Maßstäbe anlegt. Ein faktischer Fehler wäre deshalb für die Greenpeace-Arbeit noch verheerender als im Journalismus, denn es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass jeder Lapsus sofort von der Gegenseite massiv ausgeschlachtet würde und zudem auch juristische Konsequenzen hätte. Die Absicherung von Fakten spielt somit aus vie- lerlei Gründen für Greenpeace eine große Rolle.

Für eine Kurzdarstellung, wie Greenpeace recherchiert, sollen zunächst die Strukturen skizziert werden, auf denen diese Arbeit aufsetzt, konkret die Zielsetzung des Umweltverbands, seine innere Organisationsform und die Finanzierung. In einem zweiten Schritt geht es dann um die Recherche, wobei stets die Frage im Vordergrund steht, welche Schnittmengen mit dem und Abweichungen vom klassischen Journalismus bestehen.

Dr. Manfred Redelfs leitet die Recherche-Abteilung von Greenpeace Deutschland. Er ist als Recherche-Trainer tätig und kooptiertes Mitglied im Vorstand von netzwerk recherche (Bild: Greenpeace).

Dr. Manfred Redelfs leitet die Recherche-Abteilung von Greenpeace Deutschland. Er ist als Recherche-Trainer tätig und kooptiertes Mitglied im Vorstand von netzwerk recherche (Bild: Greenpeace).

Ein Aufsatz wie dieser steht vor dem Dilemma, dass man sich schon aus Platzgründen für eine Darstellungsebene entscheiden muss: Entweder werden in systematischer Weise die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Recherchewege zwischen Greenpeace und dem Journalismus behandelt und dabei die handwerkliche Methodik im Einzelfall nur gestreift. Oder man stellt exemplarisch ein konkretes Rechercheprojekt vor, das dann aber nur bedingt erhellend ist für sämtliche Charakteristika, die die Recherche bei Greenpeace ausmachen. Da der Autor bereits wiederholt einzelne Recherchen von Greenpeace unter handwerklichen Gesichtspunkten vorgestellt hat, wird am Textende entsprechende Beiträge verwiesen.

Greenpeace im Überblick

Greenpeace ist eine internationale Umweltschutzorganisation mit derzeit 44 Büros weltweit. Der Verein wurde 1971 im kanadischen Vancouver gegründet, ursprünglich aus Protest gegen die Atombombentests der USA. Die Besonderheit war, dass sich unter den Gründungsmit- gliedern viele Quäker befanden, also Angehörige einer Friedenskirche, die dem Prinzip des bearing witness folgt. Es besagt, Zeugnis abzulegen, wo immer Unrecht geschieht, einem Aggressor gewaltfrei zu widerstehen und die Öffentlichkeit über das Erlebte aufzuklären.

Diese Grundelemente führten bereits bei der ersten Aktion von Greenpeace zu einer bemerkenswerten Abweichung von den bis dahin üblichen Protestformen: Statt mit einer Demonstration vor dem Weißen Haus gegen die Atombombentests aktiv zu werden, charterten die Gründer ein altes Fischerboot und fuhren unter hohem persönlichen Risiko direkt in das Testgebiet. Bis heute folgt die Organisation diesem Prinzip der direkten Aktion, die zwingend „Zeugenschaft“ voraussetzt und auf das Mittel der Kampagnenpolitik zurückgreift, also der Fokussierung aller Kräfte auf ein konkretes Ziel, das in einem definierten Zeitraum erreicht werden soll. Aus diesem Organisationsprinzip ist bereits ab lesbar, dass Vorort-Recherche für Greenpeace eine große Rolle spielt.

Greenpeace finanziert sich ausschließlich aus privaten Spendenein- nahmen und nimmt kein Geld von Industrie oder Politik an, um die eigene Unabhängigkeit zu wahren. In Deutschland haben im Jahr 2010 rund 566.000 Menschen für den Umweltverband gespendet. Zwei Drittel der Einnahmen von zuletzt knapp 48 Millionen EUR gehen dabei auf Spenden von unter 100 EUR im Jahr zurück, so dass es letztlich eine Vielzahl privater Kleinspender sind, die das finanzielle Rückgrat der Organisation bilden. Die globalen Kampagnen werden zwischen den nationalen Büros abgestimmt und über die Zentrale mit Sitz in Amsterdam koordiniert.

Kleinere Büros, die nicht auf eigenen Beinen stehen können, wie etwa die Niederlassungen in Afrika, erhalten über einen internen Finanzausgleich Unterstützung aus den großen Büros in den westlichen Industrieländern. Greenpeace ist in Deutschland als gemeinnütziger e.V. organisiert. Die Mitgliederversammlung wählt einen Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung bestellt. Anders als bei basisdemokratischen Vereinen bekennt Greenpeace sich damit zu klaren Entscheidungsstrukturen und Verantwortlichkeiten, denn die global geführten Kampagnen verlangen nach einer äußerst belastbaren und zu schnellen Reaktionen fähigen Organisationsform.

Organisation der Recherche

Traditionell sind Rechercheaufgaben bei Greenpeace stets von den sogenannten Campaignern wahrgenommen worden, die die Organisation auch als Fachexperten nach außen vertreten, sei es in Interviews oder bei der politischen Lobbyarbeit. Diese Aufgabenzuweisung schien lan- ge Zeit plausibel, weil die gesamte Fachexpertise bei diesen Menschen zusammenläuft, die für ihr jeweiliges Themengebiet auch fachlich einschlägig ausgewiesen sind – also etwa die Meerescampaigner als studierte und z.T. promovierte Meeresbiologen. Allerdings hat das deut- sche Greenpeace-Büro als größter nationaler Ableger bereits 1996 eine eigene Rechercheeinheit ins Leben gerufen, um die Professionalisierung in diesem Bereich voranzutreiben.

Dem war die Erfahrung vorausgegangen, dass Greenpeace im Zuge der Brent-Spar-Kampagne gegen die Versenkung der Öllagerplattform von Shell im Nordost-Atlantik eine falsche Hochrechnung über die Restmengen an Ölschlämmen in den Tanks der Plattform veröffentlicht hatte. Zwar beruhte diese Panne auf einem Messfehler, wurde von Greenpeace selbst korrigiert und hatte zunächst in der öffentlichen Debatte um die Versenkung gar keine Rolle gespielt. Aber im Nachhinein erwies sich allein der Umstand, dass Greenpeace eine Zahl korrigieren musste, als schwerer Schlag gegen die Glaubwürdigkeit, vor allem bei Journalisten. Als Konsequenz aus dieser Erfahrung wurde beschlossen, die internen Qualitätssicherungsmechanismen durch eine eigene Rechercheabteilung zu stärken.1 Der Gedanke war dabei unter anderem, dass die Rechercheure keinem Verwertungsdruck zu den von ihnen bearbeiteten Themen unterliegen – ein Faktor übrigens, der auch aus dem Journalismus bekannt ist: Für freie Autoren ist die Versuchung groß, ein einmal begonnenes Stück besser nicht „totzurecherchieren“, weil sie dann mit einem Einnahmeausfall leben müssen. Dies kann zu der Neigung beitragen, vor allem die Fakten aufzugreifen, die der eigenen Arbeitshypothese entsprechen. Diesem Verzerrungsrisiko sollte bei Greenpeace mit einer Trennung zwischen Faktenbeschaffung und -prüfung sowie klassischem Campaigning entgegengewirkt werden.

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