Johannes Megow, Foto: David Schaaf

Als ich in Bad König aus dem Zug steige, bin ich mittendrin – im Odenwald. Rings um die kleine Kurstadt erheben sich bewaldete, sattgrüne Hügel, ja fast schon Berge. Zwischen Häusern und den Hängen breiten sich Felder aus. Die Sonne hüllt alles in ein warmes, fröhliches Licht, und es schweben nur wenige, leichte Wolken am Himmel. Es riecht anders, frischer, als in der Stadt. Ich bin mit Johannes Megow, genannt Jo, vom „Sound of the Forest“-Verein verabredet. Er hilft jedes Jahr bei der Organisation des gleichnamigen Musikfestivals am Marbachstausee, mitten im Odenwald. Sein Büro liegt etwas außerhalb.

Nach einem kurzen Marsch entlang einer spärlich befahrenen Landstraße erreiche ich das Gelände des Vereins. Eine Gruppe Häuser mit ausladenden Gärten liegt kurz unterhalb des Waldrands. Eine steile Wendeltreppe aus Metall führt mich zu den Büros in einer alten, efeubewachsenen Ölmühle. Jo – lässig mit weißem Shirt, Shorts, Brille auf der Nase und Cap auf dem Kopf – springt von seinem Bildschirm auf und begrüßt mich.

Der 28-Jährige bietet mir einen Kaffee an, und nach einer kurzen Tour durch das angeschlossene Musikstudio setzen wir uns in den Garten. Als wir es uns unter einem riesigen Sonnensegel auf dem Rasen bequem gemacht haben, will ich meine erste Frage stellen. Doch Jos Augen starren an meinen vorbei und fixieren ein rotes Gartenhäuschen hinter mir. „Ist das ein Vogel?“, fragt er ungläubig. Ich drehe mich um und tatsächlich: Hinter dem Fenster der Hütte flattert ein kleiner, aufgeregter Vogel. „Warte mal kurz.“ Jo eilt zur Hilfe, öffnet die Tür und das Vögelchen zischt davon.

„Open minded people eben“

Ich will wissen, was das für ein Verein ist, der ein Festival mitten im Nirgendwo, im Wald, veranstaltet. Jo erzählt mir von den Anfängen, als er noch nicht selbst Teil des Teams war. Die Mitglieder der Band „K-RINGS“, drei Brüder, gründeten den Verein zusammen mit anderen Kulturbegeisterten 2009. Anfangs wurden sie noch für ihre Idee belächelt, ein mehrtägiges Festival mitten im Odenwald zu veranstalten. Heute hält sie niemand mehr für verrückt, denn seit 2015 war „Sound of the Forest“ jedes Jahr ausverkauft. 5000 bunt gemischte Musik-Fans aus ganz Deutschland tummeln sich dann am ersten Wochenende im August vor der Bühne, auf dem Campingplatz oder am Strand des Marbachstausees. Hören Rock, Indie, Reggae, Pop, Folk, Electro oder planschen im Wasser.

Neben dem Festival macht der Verein aber noch deutlich mehr. Das Musiklabel „Peripherique“, ein Studio, Bandproberäume und eine Musikschule gehören unter anderem zu der kleinen Kreativmühle. Außerdem betreibt das Team den Club „Unterholz“ in Michelstadt und engagiert sich für verschieden kulturelle Projekte. Zusätzlich steigt in diesem Sommer zum ersten Mal das „Circle of Leaves“, ein Festival für elektronische Musik und Kunst auf dem selben Gelände. Laut Jo stehen hinter dem Verein innovative, coole, junge und alte Freigeister. „Open minded people eben.“

Von Berlin nach Pfirschbach

Und wie ist er selbst dazu gestoßen? Dafür muss Jo weit ausholen: Geboren und aufgewachsen ist er in Berlin-Köpenick. „Der Wald gehörte im Prinzip damals schon zu meinem Leben.“ Denn Berlin sei nicht nur Stadt, sondern auch ganz viel Wald. Als er neun Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Pfirschbach im Odenwald. Und er musste logischerweise mit. Von der Drei-Millionen-Stadt in ein 300-Seelen-Dorf. „Da gab es mehr Kühe als Einwohner“, erinnert er sich. „Das hier ist wirklich der Arsch der Welt.“

Doch er habe gelernt, dass Ärsche auch ganz schön sein können. Hütten bauen im Wald, Schlittenfahren im Winter, Natur und Tiere. Was braucht ein Kind mehr? 2009, kurz vor dem Abitur, erfuhr er dann vom ersten „Sound of the Forest“. Ein Festival hier, am „Arsch der Welt“? „Wir konnten es kaum fassen, dass sich das jemand traut.“ Als „absoluter Musik-Nerd“ musste Jo da natürlich hin.

„Ich habe das im Prinzip so erlebt, wie wir das heute auch machen wollen: Du gehst hin und kennst kaum jemanden vom Line-Up, aber du gehst mit fünf oder sechs Lieblingsbands nach Hause.“ Doch nicht nur die Musik überraschte Jo, auch die Location überzeugte ihn sofort. „Das war einfach krass. Du bist umringt von Bäumen, die in der Nacht angestrahlt werden und leuchten. Da brauchst du einfach keine Drogen mehr.“ Logisch, dass er im nächsten Jahr wieder vor der Bühne stand. Irgendwann lernte er die Menschen vom Verein kennen, rutsche selbst in das Team und begann zu Helfen.


Die alte Ölmühle, Foto: David Schaaf

„Ich komme jeden Tag zweimal nach Hause.“

Ich bin begeistert von so viel musikalischem Eifer und frage ihn, welche Rolle er heute im Verein spielt. „Ich bin Mädchen für alles und noch mehr“, scherzt er. Er kümmere sich um Sponsoren, Öffentlichkeitsarbeit und Social Media. Zusätzlich bucht er mit vier Kollegen zusammen die Bands für das Festival und hilft beim Auf- und Abbau. Jo stand auch schon als Moderator vor der Kamera und interviewte die Musiker vor ihrem Auftritt.

Trotz seiner vielen Aufgaben gibt er bescheiden zu bedenken: „Das ist keine One-Man-Show, da steht ein Team von 350 Leuten hinten dran.“ Ob er bei so viel Arbeit noch in den Wald kommt, frage ich ihn. „Ich arbeite im Wald, das ist ja das Geile!“ Er komme täglich aus Darmstadt nach Bad König und genieße die Ambivalenz zwischen Stadt- und Landleben. „Ich fahre hier jeden morgen hin und denke mir, wie geil es hier aussieht. Ich komme jeden Tag zweimal nach Hause.“

Ravioli aus dem Gras kratzen

Jo ist sich auch seiner Verantwortung gegenüber dem Wald bewusst. Das Festival müsse seinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten. In den ersten Jahren gab es noch Probleme mit dem Müll. Mit hundert Mann hätten sie damals nach dem Wochenende die Ravioli per Hand aus dem Gras gekratzt. Das Team begann dann auf eigene Art ein Bewusstsein für das Problem bei den Besuchern zu schaffen: Wer freiwillig seinen Plastikmüll trennt und abliefert, nimmt an einem Gewinnspiel teil. Zu gewinnen gibt es zum Beispiel CDs, Plakate oder die Tickets für das nächste Jahr.

Die Taktik ging auf. Viele machten mit, säuberten sogar die Zeltplätze ihrer Nachbarn. „Mittlerweile müssen wir nur noch mit zehn Mann über den Platz laufen“, freut sich Jo. Der Erhalt des Waldes ist ihm wichtig, denn er hat ihm viel zu verdanken. Seine Arbeit, aber auch seine beiden besten Freunde. „Die hat mir im Prinzip auch der Wald geschenkt. Die hätte ich niemals kennen gelernt, wenn ich nicht hier in den Wald gezogen wäre – oder besser: gezogen worden wäre.“

Für meinen Heimweg gibt mir Jo noch einen Tipp mit. Ich solle oben am Waldrand entlang gehen und nicht unten im Tal an der Landstraße. Der Feldweg würde sowieso Richtung Bahnhof führen. Ich folge seinem Rat und werde mit einem genialen Ausblick auf die Hügellandschaft des Odenwalds belohnt. Vom Waldrand aus blicke ich über die Straße, an der ich entlanggelaufen war. Auf der anderen Seite heben sich die Felder langsam, bis auch sie in einen bewaldeten Hang übergehen. Ein einsamer Strommast glitzert im Licht. Die Sonne steht tief und verleiht der Szenerie und dem kleinen Bad-König, das unter mir liegt, einen goldenen Schein. Jetzt verstehe ich, was Jo meint, wenn er sagt: „Ich arbeite im Wald.“

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