Gerd Michelsen (Quelle: privat)

Gerd Michelsen (Quelle: privat)

Von Torsten Schäfer und Anja Humburg

Gerd Michelsen war Mitbegründer des Öko-Instituts in Freiburg. Heute lehrt er als Professor für Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation an der Leuphana Universität Lüneburg, wo er auch seit 2005 den UNESCO-Chair „Higher Education for Sustainable Development“ inne hat. Er leitet das Studienprogramm „Nachhaltigkeit und Journalismus“, das die Lüneburger Hochschule seit 2012 anbietet und das von einem gleichnamigen Forschungsprojekt begleitet wird.

Herr Michelsen, es gibt mehr als hundert Definitionen von Nachhaltigkeit. Welche ist Ihr Favorit?

Die Brundtland-Definition, benannt nach der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, ist nach wie vor sehr klar in ihrem normativen Gehalt und in ihren Schlüsselkonzepten: Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Es geht also um die Frage von Grenzen des Wachstums, der Belastbarkeit unseres Planeten, der Verteilung von Wohlstand. Und um die Frage, wie wir die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse für alle Menschen auf der Erde gewährleisten können.

Erfunden hat Brundtland die „nachhaltige Entwicklung“ damit aber nicht.

Nein. Da muss das Konzept von nachhaltiger Waldwirtschaft genannt werden, wie es der sächsische Oberberghauptmann Carl von Carlowitz im Jahr 1713 beschrieben hat. Danach beruht eine nachhaltige Forstwirtschaft auf dem Grundsatz, dass in einem Jahr nur so viel Holz geschlagen werden soll, wie für eine „hiebsreife Menge“ wieder nachwachsen kann.

Warum bieten Sie ein Studium „Nachhaltigkeit und Journalismus“ an? Ist das Wort Nachhaltigkeit nicht schon genug strapaziert?

Strapaziert ist das Wort dadurch, dass es häufig nicht eindeutig verwendet wird. Problematisch ist auch, dass zukunftsrelevante Schlüsselfragen oft nur punktuell, ausschnitthaft und unverbunden behandelt werden. Die Idee der Nachhaltigkeit bietet einen Rahmen an, in dem wir konstruktiv über die Gestaltung unserer Welt nachdenken können – hierfür braucht es qualifizierte Journalistinnen und Journalisten.

Um was geht es in Ihrem Zertifikatsprogramm?

Nachhaltigkeitsjournalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er ressortübergreifend Zusammenhänge aufzeigt. Er nimmt Gerechtigkeits- und Beteiligungsfragen in den Blick und ist transformativ ausgerichtet. Dafür braucht es Journalisten und Journalistinnen, die über fundiertes Sachwissen verfügen und einen Überblick über die Diskussion und die Akteure im Feld haben.

Ein so verstandener Nachhaltigkeitsjournalismus fordert aber auch einen Wechsel im beruflichen Selbstverständnis vieler Journalisten heraus: weg vom mahnenden Chronisten des Untergangs, hin zum Mitgestalter einer nachhaltigen Zukunft. Wir wollen mit dem Angebot auf keinen Fall ein neues Themensegment des Fachjournalismus‘ eröffnen und ein Ressort Nachhaltigkeit schaffen. Vielmehr sind Nachhaltigkeitsjournalisten Vermittler zwischen den Ressorts in den verschiedenen Medien.

Entspricht Ihr Angebot einem Trend? Oder sind es doch nur vereinzelte Projekte, die Medienhochschulen derzeit zu grünen Themen starten?

Bemerkenswert ist, dass das Interesse an grünen Themen generell wächst. Dieses wachsende Interesse wird aber bislang nur punktuell aufgegriffen. Abgesehen von vereinzelten Veranstaltungen oder Projekten gibt es bislang keine dauerhaft angelegte Initiative, um eine Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen in den Medien voranzubringen.

Lassen Sie uns noch genauer über die Begriffe reden. Kaum ein Wort ist für viele Menschen so unscharf geworden wie Nachhaltigkeit. Wie erklären Sie das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung in einfachen Worten?

Im englischsprachigen Raum gibt es dazu eine gute und knappe Formulierung: Genug, für alle, für immer. Sie bringt zum Ausdruck, dass es an vielen Orten unserer Erde nicht genug gibt, wenn wir nur an die hungernden Menschen denken. Und daran, dass der Zugang zu und die Nutzung von Rohstoffen und Ressourcen ganz allgemein sehr ungleich verteilt sind, wenn wir zum Beispiel an Energie oder Wasser denken.

Oder dass wir auf Kosten künftiger Generationen leben, wenn wir uns den Klimawandel vor Augen halten. Nachhaltige Entwicklung weist einen Weg heraus aus diesem Teufelskreis, macht aber zugleich die Komplexität der Zusammenhänge deutlich.

Oft wird Nachhaltigkeit mit Umwelt gleichgesetzt. Was bedeutet für Sie „Umwelt“?

Wenn ich von Umwelt spreche, meine ich zunächst einmal die natürlichen Lebensgrundlagen von uns Menschen und die verschiedenen Umweltmedien wie Boden, Wasser, Luft, ebenso Flora und Fauna. Aber auch die gebaute Umwelt. Außerdem verbinde ich damit die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien und dem menschlichen Verhalten. An diesen Begriff koppeln sich häufig auch Stichworte wie Bedrohung, Schutz, Bewahrung, Rettung oder Risiko.

Und was heißt demgegenüber „Nachhaltigkeit“?

Wenn ich von Nachhaltigkeit spreche, verbinde ich damit das Leitbild, allen Menschen auf der Erde – heute und in Zukunft – ein gutes und friedvolles Leben zu ermöglichen. Dafür gilt es, entsprechende ökologische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Der sorgsame Umgang mit natürlichen Ressourcen, mit der Tier- und Pflanzenwelt wie auch mit den Umweltmedien ist dafür eine wichtige Voraussetzung.

Sie sprechen in Ihrem eigenen Zertifikatsprogramm von „Nachhaltigkeitsjournalismus“. Was ist da der Unterschied zum Umweltjournalismus?

Umweltjournalismus ist auf Umweltprobleme fokussiert, macht auf ökologische Grenzen und Zusammenhänge aufmerksam. Er sensibilisiert für den Erhalt der Umwelt, deckt Skandale auf und ordnet Umweltfragen in größere Zusammenhänge ein. Umweltjournalismus setzt sich außerdem mit guten Praxisbeispielen auseinander, die zur Lösung von Umweltproblemen beitragen. Nachhaltigkeit dagegen meint mehr: es geht um grundsätzliche Fragen wie nach Belastungsgrenzen auf der Erde, nach Gerechtigkeit und Partizipation und nach dem guten Leben.

Nachhaltigkeitsjournalismus befasst sich mit eben diesen Zusammenhängen. Er verbindet konkrete Projekte, Initiativen oder Prozesse vor Ort mit globalen Zusammenhängen der nachhaltigen Entwicklung. Und noch etwas: Nachhaltigkeitsjournalismus macht Mut und verbreitet Lust auf Veränderung.

Anders gefragt: Was kann ein Journalist mit Nachhaltigkeitskompetenzen besonderes?

Um noch mal den Unterschied zu suchen: Ein Journalist oder eine Journalistin mit reinen Umweltkompetenzen und vielleicht stärker wissenschaftlichem Fokus ist eher darauf spezialisiert, ökologische Zusammenhänge und die Bedeutung eines Umweltgeschehens bis hin zu möglichen Lösungen aufzeigen zu können. Ein Journalist mit Nachhaltigkeitskompetenzen bettet Phänomene dagegen eher in ihren Zusammenhang ein.

Es genügt ihm nicht, das Entstehen von Klimaveränderungen naturwissenschaftlich zu erklären. Er reflektiert auch die sozialen, ökonomischen, kulturellen Folgen und Wechselwirkungen dieser ökologischen Aspekte – und zeigt in diesem Kontext Gestaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten auf.

Sie heben auf eine ganzheitliche Sichtweise ab. Was gibt es darüber hinaus noch?

Fundierte Sachkenntnisse selbstverständlich: Eine Journalistin mit Nachhaltigkeitskompetenzen hat ein Grundverständnis vom aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs in Wissenschaft und Politik. Daraus erschließt sie neue Einzelthemen, etwa die Postwachstumsdebatte oder die Bedeutung einer „grünen Wirtschaft“. Sie verdeutlicht immer die zeitliche Wirkung eines Vorgangs, wenn sie Fragen nach Gerechtigkeit in den Blick nimmt.

Eine Nachhaltigkeitsjournalistin hat somit eine ganzheitliche Sicht auf die Dinge. Und sie reflektiert ihre Rolle hinsichtlich der Verantwortung, die Medien in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen haben. Und in Bezug auf die gesellschaftlichen Ziele, für die sich ihre journalistische Tätigkeit legitimiert.

Das heißt, es geht um einen „engagierten Journalismus“?

In gewissem Sinne ja. Er engagiert sich dafür, die Idee der Nachhaltigkeit in konkrete Konzepte und Handlungen zu überführen. Dazu macht er unterschiedliche Vorschläge, ordnet sie ein und bezieht auch von sich aus Stellung. Dies alles aber nicht, um zu bekehren, sondern die Menschen zur Mitgestaltung zu befähigen.

Interview: Anja Humburg und Torsten Schäfer. Das Gespräch erschien bereits im „Journalistik Journal“ (1/2013) und auf der Internetseite des Magazins „natur“.

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