Als Herstellungsleiter betreut Michael Becker beim SWR Produktionen wie den Tatort und setzt wo es geht Green Producing um. Foto: SWR/Monika Maier

Als Herstellungsleiter betreut Michael Becker beim SWR Produktionen wie den Tatort und setzt wo es geht Green Producing um. Foto: SWR/Monika Maier

Sie sind Nachhaltigkeitsbeauftragter im SWR. Was heißt das konkret?

Ich kümmere mich um Nachhaltigkeit im Produktionsprozess, in der Vorbereitungs- und Drehphase einer Medien-Produktion und in der Postproduktion. Das ist meine Aufgabe intern, da geht’s um die Identifizierung und Durchführung von Maßnahmen, die dazu dienen, den CO₂-Verbrauch in der Produktion zu senken. Und das zweite ist der Blick in die Branche. Wie kann ich Green Producing den Produzent*innen und Förderanstalten näher bringen? Da haben wir ein Konzept entwickelt für eine Zertifizierung von nachhaltigen Produktionen deutschlandweit. Nach Prüfung hat das BKM sich entschlossen, den Zertifizierungsprozess voranzutreiben und zu finanzieren. Mit der Durchführung soll die FFA (Filmförderanstalt) betraut werden.

Was wäre das zum Beispiel?

Wesentliche Hebel sind Energie und Mobilität. Im Bereich Energie ist das zum Beispiel der Umbau von Standardleuchten hin zu LED-Leuchten, was eine Energieeinsparung von circa 90 Prozent mit sich bringt. Bei der Mobilität ist ein großes Thema „Züge statt Flüge“. In der Filmbranche wird viel gereist. Da muss ein Umdenken stattfinden und andere Organisationsstrukturen gefunden werden.

Welche Herausforderungen erleben Sie bei der Umsetzung?

Man muss viel Recherchearbeit reinsetzen, weil der Markt sich gerade erst entwickelt. Demnächst wird es zum Beispiel das erste elektrobetriebene Stromaggregat geben für Filmaufnahmen. Das darf keinen Lärm erzeugen, wenn nebendran Filmaufnahmen stattfinden. Deswegen können wir die, die auf dem Bau verwendet werden, nicht nehmen. Die gab es bisher nur auf Diesel-Basis. Für den Tatort testen wir dieses Aggregat. Wie praktikabel ist das? Wie oft muss es geladen werden? Wie störungsfrei funktioniert es? Das sind Versuche, die den laufenden Betrieb einfach nicht gefährden dürfen. Das heißt, ich muss es immer zweistufig fahren. Ich werde sicher weiterhin das Dieselaggregat am Set haben, weil ich nicht riskieren kann, dass der Drehtag ausfällt, weil ich plötzlich keinen Strom mehr habe.

Was bedeutet für Sie nachhaltiges Drehen?

Es gibt ein höheres Ziel, dem sich die Bundesregierung, und demnach wir alle verschrieben haben, und das war die Reduzierung des CO₂-Verbrauchs um 30 Prozent bis 2030. Darum geht’s, den CO₂-Haushalt wesentlich zu reduzieren in der Produktion von Bewegtbild. Und dazu die soziale Komponente im Blick zu haben, im Sinne von Achtung der sozialen Standards, kein Lohndumping etc., also vertretbare Arbeitsbedingungen. Das wäre die zweite Säule nach der ökologischen Nachhaltigkeit. Und da wir nicht alleine die Welt retten können, fokussieren wir uns auf den Produktionsprozess.

Der SWR hat in seinen Produktionsverträgen einen Passus, in dem die Produzent*innen aufgefordert werden, sich an soziale Mindeststandards zu halten und im besten Falle nachhaltig produzieren sollen. Sollte man Green Producing nicht verpflichtender gestalten?

Letztlich gilt bei uns die Programm-Hoheit. Das heißt, die Redaktion verantwortet am Ende das Produkt. Und wenn man das inhaltlich verantworten muss, ist natürlich die Frage, inwieweit dann solche Aspekte, die erstmal nicht den Inhalt betreffen, Einfluss nehmen dürfen auf die Gestaltung. Von daher fände ich eigentlich, dass es zu weit ginge, wenn man Green Producing als Ausschlusskriterium formuliert, nach dem Motto „diesen Film stellen wir nicht her, wenn er nicht grün produziert wird“. Denn es mag ganz andere Motivationen und Beweggründe geben, diesen Film herstellen zu wollen. Nichtsdestotrotz kann man sicher strenger oder schärfer formulieren, als wir das hier getan haben.

Beschränkt sich das nachhaltige Produzieren im SWR “nur” auf Filmproduktionen wie den Tatort oder wird Green Producing auch im EB-Bereich umgesetzt?

Die Idee “Green Shooting” kommt aus Hollywood. Ein großer Verfechter ist Arnold Schwarzenegger, der das mit seiner Prominenz unheimlich gut vorantreiben konnte. Deshalb kam Green Producing erstmal in den Filmsektor. Aber nicht nur weil Herr Schwarzenegger dahinterstand, sondern weil das die komplexesten Produktionen sind, wo auch am meisten CO₂ eingespart werden kann. Bei einem Zwei-Mann-Team, das den halben Tag in Stuttgart unterwegs ist, lohnt es sich sicher auch, denn es sind ja viele Teams, die da unterwegs sind. Aber die fette Beute macht man bei den großen Produktionen, um auch wirklich effektiv und sehr stark seinen CO₂-Ausstoß zu verringern. Aber es soll sicherlich nicht dabeibleiben. Perspektivisch sollte man Green Producing für alle Produktionen umsetzen. Inzwischen haben wir auch das New Pop Festival nachhaltig veranstaltet. Weitere auch nicht-szenische Produktionen werden folgen.

In Kooperation mit dem SWR hat die Filmförderung Baden-Württemberg einen CO₂-Rechner entwickelt. Wird dieser für alle Filmproduktionen angewendet?

Das ist ein sehr gutes Tool, um sich bewusst zu werden, was man für Effekte erzielen kann. Zum Beispiel kann man dort sehen, wie viel mit Zugfahrten statt Flügen eingespart werden kann. Wir nutzen den Rechner dann auch zur Dokumentation und für den Nachweis. Und das macht Arbeit. Deshalb ist es wichtig, dass man sich einen Green Consulant dazuholt, was im Verhältnis zu den Produktionsbudgets vertretbare Kosten sind. Und die MFG ist jetzt so weit gegangen, als erste Förderanstalt, diesen Green Consultantin der Kalkulation zu akzeptieren und zwar hälftig. Bei der oben beschriebenen Nachhaltigkeitsinitiative nach bestimmten Kriterien erkennen wir einen Green Consultant und eventuelle Mehrkosten bei der Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen in einer mit den Produzenten verabredeten Höhe an.

Ist es denn schwierig, nachhaltiges Arbeiten am Set durchzusetzen?

Green Producing bedarf einer umfänglichen Kommunikation. Es ist ganz wichtig, so früh wie möglich alle mitzunehmen.Wenn ich zum Beispiel drei Wochen vor Drehbeginn an die Schauspieler*innen einen Brief schreibe, in dem steht, dass wir uns der Sache Nachhaltigkeit annehmen und dass wir auf Unterstützung hoffen und dass aus diesem Grund die erste Frage nach einer Zugverbindung lauten wird und nicht nach ‘nem Flug. Dann nimmt man den Druck auch später von den Personen. Ne schöne Erfahrung ist, dass die Akzeptanz zunimmt. Dass sich da etwas ändern muss, ganz besonders bei jüngeren Kollegen.

Ein anderes Beispiel ist die Tonversorgung. Wir haben üblicherweise batteriebetriebene Sender und Empfänger. Üblicherweise wechselt ein Toningenieur jeden Tag die Batterien, weil er nicht in die Situation kommen möchte, dass ausgerechnet wegen ihm ein Take wiederholt werden muss. Ökologischer und kostensenkender wäre es, Akkus zu verwenden. Da haben wir gesagt: ‘Lieber Kollege, lass uns gemeinsam dem Regisseur erklären, was wir vorhaben.’

Das Risiko, dass deshalb einmal im Jahr eine Klappe wiederholt werden muss, bei 100.000 Klappen, die wir schlagen im Jahr, ist gering. Bisher musste noch keine einzige Klappe wiederholt werden, weil der Akku ausgefallen ist. Das ist eine reine Sorge. Man muss eine Verabredung treffen. Ich muss dem Toningenieur die Sorge nehmen, dass er Ärger bekommt, wenn es nicht funktioniert. Die Redaktions- und Herstellungsleitung trägt die Verantwortung. Das sind in den einzelnen Bereichen Leute, die ihren Job gut machen wollen. Und da muss ich eben ihre Sorge und Angst nehmen, und die Dinge einfach ausprobieren.

Ist nachhaltiges Produzieren denn wirtschaftlich oder zahlt man da drauf?

Es ist am Ende wirtschaftlich. Das zeigt auch das Investitionszugeständnis des Innovationsetats: Es braucht eine Anschubfinanzierung. Man muss Geld in die Hand nehmen, um Dinge auszuprobieren und zu ändern. Eine Produktionsfirma der Daily hat komplett auf papierlos umgestellt, da gibt es keine Drehbücher, keine Drehpläne auf Papier. Da werden Bildschirme aufgehängt und die Heads of Production haben alle IPads. Diese Umstellung hat Geld gekostet. Aber bei deren Riesenverbrauch, wenn sie am Tag 45 Minuten nach Drehbuch drehen und dann gibt’s noch Drehbuchseitenänderungen, Dialogänderungen, jeden Tag eine Dispo für 100 Leute. Der spart heute. Der spart richtig Geld, der hat weniger Kosten. Er kann das Geld, das er eingespart hat, nun verwenden, um z.B. neue LED-Lampen zu finanzieren. Und deshalb meine ich, dass man mittelfristig so ein Nullsummenspiel draus machen kann. Aber am Anfang zu sagen, es kostet gar nichts, das geht nicht.

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