Seite 1/4 Grundlagen und journalistische Besonderheiten

Von Lena Kasper und Peter Seeger

Mobilität und Verkehr

Wer seine Umgebung erkunden und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will, muss mobil sein – räumlich und sozial. Das Wort Mobilität stammt vom lateinischen Wort mobilitas ab und bedeutet Beweglichkeit und Fortbewegung. Mobilität ist der Schlüssel für ein aktives, selbstbestimmtes Leben und hat als menschliches Grundbedürfnis den Stellenwert eines Menschenrechts: Als gesellschaftspolitischer Anspruch ist das unstrittig. Aber wie kann Mobilität in Deutschland und global im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung (ökologische Grenzen durch Klimawandel, Ende des billigen Öls und andere Umweltbelastungen) für eine wachsende Menschheit mit unterschiedlichen Ansprüchen sichergestellt werden? Das „Wie“ bezieht sich nicht nur auf die Zukunftsfähigkeit der Verkehrssysteme. Vielmehr geht es auch um gesellschaftspolitische Fragen: Wie und für wen soll welche Form von Verkehr und Mobilität ermöglicht werden? Und zu welchen Bedingungen soll das geschehen? Wachsenden Handlungsdruck gibt es nicht nur durch ökologische Probleme. Auch die Verkehrssysteme selbst stoßen immer häufiger an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit. Häufig können sie nur noch punktuell und gegen Widerstand erweitert werden. Das gilt insbesondere für das Straßennetz, aber auch für neue Flughäfen und Flugrouten oder Teile der Bahninfrastruktur. Viele Medien haben diese Grenzen im Zusammenhang mit Staus auf den Straßen unter dem Schlagwort Verkehrsinfarkt aufgegriffen.

Regionale Unterschiede

Individuelle Mobilitätsentscheidungen sind nicht nur abhängig von persönlichen Präferenzen und Lebensstilen, sondern vor allem von Voraussetzungen und Anreizen der Verkehrsinfrastruktur (dazu zählen Straßen- und Bahnsysteme, Flughäfen etc.). Die Rahmenbedingungen werden vom Staat und der Politik durch Raum- und Verkehrsplanung, Straßenbau, ÖPNV, Rechtsvorschriften und Abgaben gesetzt. Indirekt hängen sie auch von konkreten Angeboten und Vermarktungsstrategien der Wirtschaft ab, zum Beispiel in Form bestimmter Fahrzeuge oder Dienstleistungen. In der Wissenschaft werden Infrastrukturen wie im Verkehrsbereich als komplexe soziale und technische Systeme bezeichnet. Einzelne Elemente der Verkehrsinfrastruktur sind zwar miteinander vernetzt, können regional aber sehr unterschiedlich aussehen.

In Großstädten wie Berlin mit einem ausgebauten Nahverkehrssystem besitzt nur noch ein Drittel der Bevölkerung ein eigenes Auto, deutschlandweit gut die Hälfte, im ländlichen Raum mehr als die Hälfte. Wer Verkehrssysteme in eine bestimmte Richtung verändern will, muss technische, politische, ökonomische, rechtliche und soziokulturelle Weichen stellen. Veränderungen sind nicht nur macht- und interessenabhängig, teuer und zeitaufwändig, sondern für alle Beteiligten auch konfliktbehaftete Lernprozesse – und nur begrenzt steuerbar. Neue Mobilitätsansprüche und Verhaltensweisen vieler Bürger können die Schwerpunkte im Verkehrssystem verschieben und gesellschaftlichen und ökonomischen Druck für seine Veränderung aufbauen. Verantwortung und Handlungsspielräume gibt es also sowohl im politischen System und der Wirtschaft als auch beim Einzelnen.

Dimensionen des Mobilitätsthemas

Motorisierte Verkehrsträger

  • PKW, LKW
  • Bus, Bahn
  • Flugzeug, Schiff

Andere Verkehrsträger

  • (Elektro-) Fahrrad
  • Fußgänger
  • Vernetzung von Verkehrsträgern

Fahrzwecke

  • Beruf
  • Freizeit
  • Einkaufen
  • Begleitfahrten
  • Güterverkehr

Direkte Folgen

  • Überlastung
  • Energieverbrauch
  • Emissionen
  • Lärm
  • Unfälle
  • Flächenverbrauch

Indirekte Folgen

  • Klimawandel
  • Hohe volkswirtschaftliche Kosten
  • Umweltzerstörung
  • Peak Oil

Lösungsansätze

  • Verkehrsminimierung
  • Verkehrsverlagerung
  • Nutzungsoptimierung von Verkehrsträgern

Rahmenbedingungen

  • Raum-/Stadtplanung
  • Demographie
  • Versorgungsstruktur
  • Work-Life-Balance

Branchenstrukturen

  • Leitindustrie Automobil
  • Neue Mobilitätsdienstleister
  • Logistikbranche

Sonderthemen

  • E-Mobilität
  • EU Weißbuch Verkehr
  • Internet und Mobilität
Ein Beispiel für aktive Mobilität: zu Fuß gehen (Quelle: Lisa Ampelfrau/ CC BY 2.0)

Ein Beispiel für aktive Mobilität: zu Fuß gehen (Quelle: Lisa Ampelfrau/ CC BY 2.0)

Ein neuer Begriff: Neue Mobilität

Im Themenschwerpunkt Neue Mobilität wird der journalistisch häufig im Vordergrund stehende technisch geprägte Verkehrsbegriff (Personen- und Güterverkehr) um einen soziologischen Mobilitätsbegriffs. Dieser wiederum hat verschiedene Dimensionen: Räumliche Mobilität in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Freizeit und Urlaubsreisen ist nicht nur Voraussetzung für die individuelle Entfaltung, sondern auch eine wichtige Rahmenbedingung für die Wirtschaft und zugleich selbst ein großer Markt. Die Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse findet in motori­sierter (Pkw, Lkw, Bus, Bahn, Flugzeug, Schiff) und nicht motorisierter Form (Fahrrad, Fußgänger) statt, die auch als aktive Mobilität bezeichnet werden kann. In diesem Schwerpunkt soll das Thema journalistisch auf das Szenario einer Neuen Mobilität zugespitzt werden. Die ökologischen und funktionalen Grenzen der Verkehrssysteme und veränderte Mobilitätsansprüche verweisen auf grundlegenden gesellschaftlichen Diskussions- und Handlungsbedarf. Das wird auch im EU-Weißbuch Verkehr 2011, einer Sammlung von  Vorschlägen für ein nachhaltiges Verkehrssystem in der Europäischen Union, betont (S. 6):

„Das Verkehrssystem ist (jedoch) nicht nachhaltig. Bei einer Vorausschau auf die nächsten 40 Jahre wird deutlich, dass sich der Verkehr nicht auf dem bisherigen Pfad weiterentwickeln kann.“

In den letzten zehn Jahren hat sich der sogenannte Modalsplit (Verkehrsaufkommen und Anteil einzelner Verkehrsträger) nur leicht zugunsten des öffentlichen Verkehrs und des Fahrrads verschoben. Prozentual am stärksten gestiegen ist der Luftverkehr, dem Verkehrsträger mit den höchsten Umweltbelastungen, mit einem Zuwachs von 173 Prozent (1991-2010). 2017 hatten einzelne Verkehrsträger im Personenbereich folgende Anteile am Verkehrsaufwand: 75 Prozent motorisierter Individualverkehr, 19 Prozent öffentlicher Personenverkehr und Schienenverkehr, 3 Prozent Fußverkehr und 3 Fahrradverkehr.

Vier Lösungsansätze für die Wende

Analog zur Energiewende könnte in einer gesellschaftspolitischen Zukunftsperspektive auch von einer Mobilitäts- und Verkehrswende gesprochen werden. Letztlich kann den aktuellen Problemen und Herausforderungen in den Bereichen Auto, Bahn und Flugzeug nur mit einer grundlegen­den Überprüfung der Mobilitätsansprüche und Neuausrichtung der Verkehrskonzepte begegnet werden. Dazu werden vier Lö­sungsansätze diskutiert:

  • die Minimierung des Verkehrsaufkommens,
  • die Verkehrs­verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel,
  • die Vernetzung  und Opti­mierung von Transportsystemen sowie
  • die Neubewertung der aktiven Mobilität (Radfahren und zu Fuß gehen).

Journalistisches Arbeiten zu einer zukunftsfähigen Entwicklung von Mobilität und Verkehr erfordert breite und zum Teil neue Recherche- und Vermittlungsansätze. Nötig sind fachjournalistische Kennt­nisse zu den unter­schiedlichen Mobilitätsansprüchen, zu einzelnen Verkehrsträgern, zu bestimmten Rahmenbedingungen und ihrer politisch-ökonomi­schen Legitimation sowie zu ihren individuellen und gesellschaftlichen Folgen und Kos­ten. Aber auch Lösungsansätzen für zukunftsfähige Konzepte im Sinne einer ökologisch, ökonomisch, sozial und kultu­rell nachhaltigen Entwicklung sind von großer Bedeutung.

Ein Beispiel für ein innovatives Themenangebot im Internet ist der Blog „Zukunft Mobilität“, der 2012 den Grimme Online Award in der Kategorie Information bekam. Qualitätsanforderungen an einen entsprechend professionellen Journalismus werden  im Projekt „Medien-Doktor“ (Bereich Umwelt) des Instituts für Journalistik der TU-Dortmund erörtert und überprüft (2011 für den Grimme Online Award nominiert). Derlei Ansätze sind wichtig, da eine saubere Trennung von ‚Autojournalismus‘ und PR der Hersteller eher die Ausnahme ist. Wichtig sind auch viele gute Recherchequellen zum Thema Mobilität und Verkehr, auf die im Werkstattbereich von gruener-journalismus.de verwiesen wird.

Themenkarrieren und Smartphones

Mobilität ist in der (verkürzten) Vorstellung von Verkehr und insbesondere Auto keineswegs ein journalistisches Nischenthema – im Gegenteil. Im Bereich des Verbraucherjournalismus hat das Auto eine Sonderstellung, unter anderem weil im Alltag der Menschen das Auto auch ein emotional stark besetztes Prestigeobjekt und Ausdruck eines individuellen Lebensstils ist. Gerade hier wird es journalistisch interessant.

Die Einstellungen der Nachkriegsgenerationen zum Auto verändern sich gerade in den jungen urbanen Milieus. Für viele junge Menschen haben andere Kultobjekte das Auto als wichtigstes Statussym­bol abgelöst. Gerade das Smartphone wird immer mehr zum Symbol für Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. In der ARD-Themenwoche „Der mobile Mensch″  wird das auf den Punkt gebracht: „S-Bahn fahren, iPhone surfen, Freiheit spüren.“ Auch der Münchener Kreis (eine Vereinigung von IT-Experten mit Schwerpunkt Wissenschaft und Industrie) behandelt in seiner Zukunftsstudie „Innovationsfelder der digitalen Welt. Bedürfnisse von übermorgen.″ den Zusammenhang von neuen Technologien und Mobilität. Dort werden schlagwortartig folgende Trends herausgearbeitet:

  • Zeit für andere Aktivitäten
  • Von-Tür-zu-Tür-Flexibilität
  • High Tech und 1. Klasse Komfort
  • umweltfreundlich durch die Stadt
  • entspannend und sorglos
  • pragmatischer Transport.

Von einer anderen Seite her greift Michael Adler – ehemaliger Chefredakteur der VCD-Zeitschrift „Fairkehr“ – das Thema in seinem Buch „Generation Mietwagen“ auf. Er beschreibt dort ebenfalls den Einstellungswandel junger Menschen und zeigt, dass für die  Mobilitätsansprüche dieser Gruppen Carsharing, Fahrräder und der öffentliche Nahverkehr dem eigenen Auto überlegen sind. Nur noch rund 75 Prozent der unter 26-Jährigen machen einen Führerschein. Und das Durchschnittsalter der Neuwagenkäufer liegt bei 52 Jahren.

Veränderungen in den Einstellungen zu Mobilität und Verkehr gehen aber nicht nur von diesen jungen urbanen Milieus aus. Quer durch alle Gesellschafts- und Altersschichten gewinnt das Fahrrad kontinuierlich an Attraktivität. Immer mehr Menschen entdecken, dass man nicht nur mit Autos und Motorrädern „Freude am Fahren“ (jahr­zehntelang Werbeslogan von BMW) haben kann. In der öffentlichen Diskussion und der medialen Berichterstattung ist immer öfter von einer neuen Fahrradkultur die Rede, die sich an den europäischen Vorbildern Niederlande und Dänemark orientiert.

Diese Trends könnten Journalistinnen und Journalisten aufgreifen und ergänzen um weitere Facetten wie mögliche Generationskonflikte oder die Datenspuren, die eine Internet- und Smartphone-gesteuerte Mobilität hinterlassen.

Journalistische Spielarten

Einige Medien haben die neuen Informationsbedürfnisse dieser publizistisch interessanten Nutzergruppen durchaus erkannt. Aus der Autoseite wird dann eine Mobilitätsseite oder eine eigenständiger Schwerpunkt zum Thema „Mobiles Leben″ wie in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung. Bei anderen tauchen auf der Verkehrs- oder Autoseite immer häufiger auch Mobilitätsthemen im weiteren Sinne auf – oder es werden interessante Fahrräder, Elektroräder und neue Bahntechnik vorgestellt. Aber im Vordergrund stehen immer noch einzelne Verkehrs­mittel (Auto, Bahn, Fahrrad) und nicht umfassendere Fragen oder Lösungen zum Thema Mobilität, Verkehr und Lebensquali­tät. Viele Medien reagieren mit Sonderbeilagen auf Themen wie den ersten Hype zur Elektromobilität (Handelsblatt, FAZ, Bild). In diesem Zusammenhang gibt es auch immer wieder aufwendige Anzeigen-Sonderveröffentlichungen. Ein Beispiel: „Grüne Mobilität: Herausforderungen, Chancen, Lösungen″ von LANXESS, einem Spezialchemie-Konzern aus Köln in Auto Bild.

ZEIT Online dagegen hat eine eigenständige Rubrik Mobilität mit Themen im Spektrum von neue Lebensstile, Elektroautos, Carsharing, Fahrradneuheiten bis hin zur Verkehrsinfrastruktur. In der Printausgabe taucht Mobilität nicht als Rubrik auf, sondern wird neuerdings verstärkt auf den Sonderseiten „Grüner Leben″ im Wirtschaftsteil behandelt. Andere Medien wie die taz beschäftigen sich zwar quer durch die Print- und Onlineausgabe mit Mobilitätsthemen, bildet das aber in ihrer Ressortstruktur nicht ab, sondern arbeitet dort in der Zuordnung und inhaltlich mit dem alten Verkehrsbegriff.

Sehr umfassend berichtete die ARD unter Federführung des SWR vom 22. bis 27. Mai 2011 in Radio, Fernsehen, und Internet in der Themenwoche „Der mobile Mensch″. In einer Pressemitteilung hieß es dazu:

„Angesichts der deutschlandweiten Diskussion um Energiewende und Ökobilanz ist die Zukunft unserer Mobilität eines der prägenden Themen unserer Zeit.“

Das sehr anspruchsvolle Konzept umfasst das ganze Themenspektrum mit mehr als 1.500 Sendungen, verschiedenste Formate und ein ergänzendes Online-Angebote mit animierten Multimedia-Elementen.

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