Ein Beitrag von Svea Spieker

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft steigt, denn soziale und ökologische Probleme verstärken sich immer weiter (vgl. Schleer, 2014, S. 1). Die westliche Ernährung hat darauf einen wesentlichen Einfluss: Sie ist verantwortlich für knapp ein Viertel aller Treibhausgasemissionen, diverse ernährungsbedingte Krankheiten, Lebensmittelverschwendung, Kinder- und Zwangsarbeit, …  (vgl. Koerber, 2014, S. 262; vgl. Sieveking; Schomerus, 2020, S. 681; vgl. Techniker Krankenkasse, 2017, S. 44; vgl. Willett et al., 2019, S. 1 f.). Da Ernährung jedoch überlebenswichtig ist und der Ressourcenverbrauch somit nicht komplett vermieden werden kann (vgl. Liedtke; Speck; Mourabit, 2018, S. 55), ist die nachhaltige Gestaltung von Ernährung unerlässlich. Dieser Transformationsprozess hin zu einer Ernährung innerhalb der gesundheitlichen und planetaren Grenzen wird als Ernährungswende bezeichnet (vgl. EAT, n. y., S. 5). Grundsätzlich müssen alle gesellschaftlichen Akteure mitwirken (vgl. Zimmermann, 2016, XVI), um eine erfolgreiche Ernährungswende zu schaffen. Die Frage ist nur, welches Glied der Lebensmittelwertschöpfungskette als einflussreicher Startpunkt gewählt werden kann? Gerade die beliebte Gemeinschaftsverpflegung hat großes Potenzial nachhaltige Ernährung gesellschaftlich zu etablieren (vgl. Göbel et al., 2017, S. 17) und Veränderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erzielen (vgl. Teitscheid et al., 2018, S. 17). Gleichzeitig kommt auch der Bundesregierung, als oberste und im öffentlichen Interesse stehende Staatsinstanz eine Vorbildfunktion zu. Erste Ansätze Nachhaltigkeit umzusetzen gibt es schon, wie beispielsweise Artikel 20a des Grundgesetzes, die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie oder die Ernährungspolitik zeigen. Doch wie nachhaltig die Ernährung in den eigenen Häusern gestaltet ist, wird bislang nur in einer kleinen Datenerhebung der Grünen im Jahr 2019 (siehe Deutscher Bundestag, 12.09.2019) untersucht. Auf Anstoß des Instituts für Welternährung knüpfte die im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule Darmstadt durchgeführte Studie an diese Datenerhebung an und untersuchte inwiefern die deutsche Bundesregierung ihrer Vorbildfunktion nachkommt:

Wie wird Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitskommunikation in den Kantinen der Bundesregierung praktiziert und welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es im Hinblick auf die Ernährungswende?

Zur Untersuchung dieser Forschungsfrage wurden verschiedene Forschungsunterfragen und Hypothesen definiert:

Abbildung 1: Übersicht über Forschungsfragen und Hypothesen

Abbildung 1: Übersicht über Forschungsfragen und Hypothesen

In einem mehrschrittigen Vorgehen wurde zunächst eine theoretische Grundlage gelegt auf dessen Basis dann der Soll- sowie der Ist-Zusand von Nachhaltigkeit in Bundeskantinen ermittelt wurde. In einem abschließenden Soll-Ist-Vergleich konnte die Nachhaltigkeit der Bundesquantinen beurteilt werden.

Abbildung 2: Forschungsprozess der Masterarbeit und Anwendung der Methoden

Die Studienergebnisse zeigen vor allem in den Bereichen Speiseangebot und Nachhaltigkeitskommunikation großen Handlungsbedarf. Während Fleisch und Fisch zu häufig und in zu großen Mengen auf dem Teller landen, werden vegetarische und vegane Gerichte zu selten angeboten. Zudem sollte die Produktqualität hinsichtlich der Merkmale bio, regional, saisonal und fairtrade verbessert werden. Hinsichtlich der Nachhaltigkeitskommunikation verdeutlicht die Studie, dass die Kommunikation nicht zielgruppenspezifisch ausgelegt wird und auch selten die gesamte Bandbreite an Kommunikationsaspekten, -kanälen und -maßnahmen ausgeschöpft werden. Daraus resultiert viel ungenutztes Potential in den Bundeskantinen, um den Entscheidungsprozess des Essensgast positiv zu beeinflussen. Am besten hat das Nachhaltigkeitsmanagement abgeschnitten. Gerade in den Bereichen Maßnahmen entlang der Wertschöpfungskette, Speiseplanung, Bezug von nachhaltigem Fisch und Fleisch und der Nutzung eines Nachhaltigkeitsmanagementsystems sind große Übereinstimmungen zwischen Ist und Soll zu verzeichnen. Nacharbeiten sollten die Kantinen jedoch beim Einkauf und hier zukünftig verstärkt auf kleinere, lokale Lieferanten und Bauern zurückgreifen. Auch eine vermehrte Zertifizierung der Kantinen ist sinnvoll. Bedenklich ist zudem, dass nur ein Drittel der Kantinen vorgeschriebene Standards zur Nachhaltigkeit durch die jeweilige Bundesbehörde hat.

Abbildung 3: Handlungsbedarf in den einzelnen Bereichen des Speiseangebots, des Nachhaltigkeitsmanagements und der Nachhaltigkeitskommunikation

Die vielen Diskrepanzen zeigen, dass trotz erster Ansätze, die meisten Bundeskantinen alles in allem nicht so nachhaltig agieren wie sie es im Sinne der Ernährungswende tun sollten. Lobenswert für die Kantinenbetreiber ist, dass scheinbar sämtliches Nachhaltigkeitsengagement in Eigenregie umgesetzt und nur selten durch verbindliche Vorgaben vom Bund unterstützt wird. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen der Umfrage von Bündis 90/Die Grünen, wirft aber dennoch die Frage auf: Wie kann sich die Bundesregierung in Artikel 20a des Grundgesetztes zur Verantwortungsübernahme für künftige Generationen bekennen, an der Umsetzung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie arbeiten und sich mit der Ernährungspolitik für eine gesunde und nachhaltige Welternährung einsetzen, aber gleichzeitig nicht für ausreichend Nachhaltigkeit in den eigenen Betriebsrestaurants sorgen?

Unter dem Strich verfehlt die Bundesregierung mit diesem widersprüchlichen Verhalten ihre Funktion in mehrfacher Hinsicht: Sie agiert nicht als gesellschaftliches Vorbild für die Ernährungswende und leistet in den eigenen Kantinen keinen ausreichenden Beitrag zur Nachhaltigkeit. Zudem bleibt die Chance, die eigenen Mitarbeiter und damit die Bevölkerung aufzuklären sowie allgemeingültige Nachhaltigkeitsstandards zu etablieren, ungenutzt. Auch der bundeseigene Lernprozess und der Erkenntnisgewinn für die Umsetzung der nachhaltigen Ernährung wird geschmälert.

Obwohl die Bundesregierung sich bislang nicht genug engagiert, wenn es um Nachhaltigkeit in den eigenen Kantinen geht, gilt: Was nicht ist, kann ja noch werden. Auf Bundesebene können die Untersuchungsergebnisse auf die Schwachstellen aufmerksam machen und dazu motivieren Nachhaltigkeitsstandards für ihre Kantinen zu entwickeln sowie die Kantinen bei der Umsetzung zu unterstützen. Kantinenbetreiber können die Ergebnisse als Referenz für eine Individuelle Ist-Analyse und Maßnahmenentwicklung nutzen.

Für alle Aktuere gilt: Jede Maßnahme zählt. Motiviert bleiben – nur gemeinsam schaffen wir das!

Literatur

Deutscher Bundestag (Hrsg.) (12.09.2019): Nachhaltige Ernährung in Gemeinschaftsverpflegungen des Bundes, URL: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/131/1913166.pdf [Zugriff: 31.01.2021].

EAT (n. y.): Food Planet Health: Healty Diets From Sustainable Food Systems, URL: https://eatforum.org/content/uploads/2019/01/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf [Zugriff: 16.04.2021].

Göbel, Christine et al. (2017): Entwicklung eines Leitbilds zur „Nachhaltigkeit in der Außer-Haus-Gastronomie“, in: Walter Leal Filho (Hrsg.), Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung, 2017, S. 1–21.

Koerber, Karl von (2014): Fünf Dimensionen der Nachhaltigen Ernährung und weiterentwickelte Grundsätze – Ein Update, in: Ernährung im Fokus, S. 260–268.

Leal Filho, Walter (Hrsg.) (2017): Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung, Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Liedtke, Christa; Speck, Melanie; Mourabit, Xenia El (2018): Ressourcenleichte Gesellschaft: Welchen Anteil kann die Gemeinschaftsverpflegung leisten?, in: Petra Teitscheid; Nina Langen; Melanie Speck; Holger Rohn (Hrsg.), Nachhaltig außer Haus essen: Von der Idee bis auf den Teller, 2018, S. 50–58.

Schleer, Christoph (2014): Corporate Social Responsibility und die Kaufentscheidung der Konsumenten, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Sieveking, Annelie; Schomerus, Thomas (2020): Beiräte als Instrument einer Ernährungswende – Die Etablierung von Ernährungsräten in Deutschland, in: NuR 42. 10, S. 680–686.

Techniker Krankenkasse (2017): Iss was, Deutschland: TK-Studie zur Ernährung 2017

Teitscheid, Petra et al. (Hrsg.) (2018): Nachhaltig außer Haus essen: Von der Idee bis auf den Teller, München: oekom.

Teitscheid, Petra et al. (2018): Projektkontext NAHGAST – Transition zu einer nachhaltigen Außer-Haus-Gastronomie, in: Petra Teitscheid; Nina Langen; Melanie Speck; Holger Rohn (Hrsg.), Nachhaltig außer Haus essen: Von der Idee bis auf den Teller, 2018, S. 16–20.

Willett, Walter et al. (2019): Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems, in: The Lancet 393. 10170

Zimmermann, Friedrich M. (Hrsg.) (2016): Nachhaltigkeit wofür?, Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

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