Von Torsten Schäfer

Woher kommt Jane Goodall?

Sie denkt, sie hätte ihn im Urwald verloren. Doch da sitzt er, neben ihm eine Palmnuss. Jane Goodall nimmt die Nuss und hält sie dem Schimpansen hin, der sich aber wegdreht. Dann sieht er auf, nimmt die Nuss, legt sie weg – und drückt sanft ihre Hand. Er will die Frau beruhigen, deren Aufregung er spürt.

In diesem Moment beginnt ein neues Kapitel der Evolutionsforschung. Denn noch nie sind Wissenschaftler Schimpansen so nahe gekommen. Goodall gewinnt das Vertrauen der Tiere – und wird zeigen, wie ähnlich der Mensch seinem nächsten Verwandten ist.

Ihr Weg zu den Schimpansen beginnt 1935 in London – mit einem Schimpansen. „Jubilee“ heißt der Plüschprimat, den der Vater seiner einjährigen Tochter schenkt. Tiere sind von Beginn an ihre ständigen Begleiter: Sie nimmt Regenwürmer mit ins Bett und scheitert bei dem Versuch, Wasserschnecken im Kinderzimmer anzusiedeln. Am meisten lernt Goodall sie von ihrem Hund Rusty. Er zeigt ihr, dass Tiere „Gefühle und Persönlichkeit haben“, wie sie heute erzählt.

Mutter Vanne, eine aufgeklärte und willensstarke Frau, fördert die Entdeckungslust ihrer Tochter, wo sie nur kann. Und den Ehrgeiz: „Du kannst alles erreichen, Du musst Dich nur anstrengen.“ Diesen Satz hört Jane Goodall hört oft.

Mit vier Jahren löst sie eine Suchaktion aus, weil sie sich stundenlang in einem Hühnerstall versteckt um herauszufinden, wie ein Ei gelegt wird. Die Mutter schimpft nicht, sondern hört dem ersten Forschungsbericht ihrer Tochter geduldig zu. Ein Jahr später bricht der Zweite Weltkrieg aus. Die Goodalls fliehen zur Großmutter aufs Land – an die Südküste nach Bournemouth, auf den Birkenhof. Die Zeit dort prägt Goodall tief, sie lebt noch heute dort.

In der Bibliothek der Großmutter vergräbt sich das Mädchen in die Bücher. Als sie liest, wie Dr. Dolittle mit Tieren spricht und nach Afrika reist, hat Jane ihr Vorbild gefunden. Afrika rückt noch näher, als sie sich bei der Lektüre in Tarzan verliebt.

Der große Garten des Hofes und die kieferbestandenen Sandhänge der Kliffküste, durchzogen von gelbem Stechginster und roten Rhododendren, werden zu ihrem Revier: Hier sieht Goodall Wiesel jagen, bewundert den lauten Flirt eines Igelmännchens, beobachtet Eichhörnchen beim Bucheckersammeln.

Sie betont gerne, wie unbeschwert sie aufwuchs. In ihrer Biografie verschweigt Goodall aber auch nicht die Schattenseiten der Jugend: den Weggang des Vaters zur Armee, Fliegerbomben, die wenige Meter neben ihr einschlagen, Nächte im Luftschutzbunker, die Scheidung der Eltern – und die Armut, wegen der das Essen auf dem Birkenhof rationiert wird.

Für ein Studium ist nach dem Schulabschluss kein Geld da. Goodall beginnt 1952 eine Ausbildung als Sekretärin und arbeitet danach als Schreibkraft. Als sie eine alte Freundin 1956 nach Kenia einlädt, kündigt sie. Und schuftet als Kellnerin, um sich die Überfahrt leisten zu können. 1957 schifft die 23-Jährige nach Kenia ein, wo ihre Forscherkarriere beginnen wird – zunächst als Sekretärin des Anthropologen Louis Leakey. Er schickt Goodall nach Tansania – wo sie selbst zur wissenschaftlichen Berühmtheit wird.

Der Text erschien bei GEO International 2011

Beitragsbild: kafka4prez / Flickr.com / CC BY-SA 2.0

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