Von Torsten Schäfer

„Delfinfreundlich gefangen“ ist die weichste Schutzregel, die auf Fischprodukten, meist Thunfischdosen, zu finden ist. Demgegenüber stehen selektive Siegel wie etwa Wild Ocean, das nur kleinere Küstenfischer im Blick hat, Nachhaltigkeit streng definiert und mit Demeter zusammenarbeitet. Doch auch bei den kleineren, noch besser kontrollierbaren Siegeln wie etwa Friends oft the Sea stellen Studien des Kieler Fischereiforschers Rainer Froese Defizite fest: 19 Prozent der zertifizierten Fischereibetriebe seien nicht nachhaltig.

Woran sollen Verbraucher da noch glauben? Ein anderes Problem für sie: den Überblick nicht verlieren. Denn wie bei Biosiegeln generell geht auch bei den nachhaltigen Fisch-Marken langsam die Ordnung verloren. Eine Seite im Netz fehlt, die die Zertifikate vergleicht – eine sinnvolle Aufgaben für Verbraucherschützer. Dennoch können bei der Frage, welchen Fisch man essen soll, die Siegel nicht alleine die Antwort geben. Denn es gibt auch kulturelle und kulinarische Gründe für die Überfischung, die Fischhändler und Fischer immer wieder nennen, wenn man sie danach fragt.

Falsche Namen, besserer Absatz

Etwa der Umgang mit Gräten: Arten, die etwas mehr Gräten haben, gelten als schwerer verkäuflich und oft auch kulinarisch minderwertig. Wenn Verbraucher – die Fischer auch als „Generation Fischstäbchen“ bezeichnen  – aber mehr Erfahrungen damit hätten, wie grätenreiche und dennoch schmackhafte Fische zerlegt und gegessen werden können, würde das Spektrum der Speisefische breiter. Und könnten überfischte Bestände womöglich so entlasten werden.

Gleiches gilt für die Namen: Leckere Arten wie Lumb oder Pollack klingen aus Sicht der Supermärkte eher abstoßend. Genau aus diesem Grund werden Köhler („Seelachs“) und Dornhai („Schillerlocke“ für den Bauchlappen) für den Verkauf umbenannt. Wenn Unternehmen den Kunden aber auch vermeintlich plumpe Namen zutrauten, würde ebenfalls das Spektrum breiter. Und ließe vermutlich auch der Druck auf manche stark befischte Bestände nach.

Ein weiter wenig beachtetes Thema: die Unkenntnis in Restaurants. Die wenigsten Kellner und auch Köche wissen, woher der Fisch genau kommt. Deshalb lohnt es sich, genauer und immer wieder nachzufragen. Da sei eine der besten Ideen gegen Überfischung, sagt etwa Andrea Herrlich, Präsidentin der schweizerischen Initiative Fish4future, die ein Nachhaltigkeits-Label eigens für Restaurants herausgibt. Und auch begonnen hat, das Personal in der Gastronomie zu schulen. Das kann zum Beispiel darauf aufmerksam machen, dass Thunfisch nicht gleich Thunfisch ist – und die häufigste Dosenvariante, der nahe Verwandte Echter Bonito (Katsuwonus pelamis, auf Englisch „Skipjack“) noch gut gegessen werden kann. Selbst nach den strengeren Greenpeace-Maßstäben. Demgegenüber stehen die überfischten Arten wie der Rote Thun, die auf keine Speisekarte mehr gehören.

Frische Schollen:  Welche Arten kann man essen? Welche Nachhaltigkeit will ich? Antworten geben nicht nur Einkaufsratgeber von WWF oder Greenpeace

Frische Schollen: Welche Arten kann man essen? Welche Nachhaltigkeit will ich? Antworten geben nicht nur Einkaufsratgeber von WWF oder Greenpeace (Quelle: Torsten Schäfer)

Erfolgreiche Kampagne in England

Letztlich geht es also um Aufklärung in größtmöglicher Breite: nicht nur über Siegel und Zertifikate, sondern auch direkt durch den Einzelhandel und die Gastronomie. Da gibt es noch viel tun. Doch auch Medien selbst können etwas gegen Überfischung tun: Zumindest auf MSC-Produkte setzen, wie es etwa die Kantine des Verlages Gruner + Jahr oft tut – oder selbst aktiv werden: Die enorm erfolgreiche Fishfight-Kampagne des britischen Journalisten Hugh Fearnley-Whittingstall hat schon begonnen, den Fischkonsum in Großbritannien zu verändern. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass mit wort- und bildgewandter Aufklärung auch kulturelle Muster verändert werden können. Und doch mehr Menschen dazu bereit sind, überfischte Arten nicht mehr zu kaufen. Das ist – nach dem Radikalverzicht auf Fisch – der beste Schritt, selbst etwas zu tun.

Es geht um Fische wie Aal, Rotbarsch oder Dornhai – Arten, die in den Führern von WWF und Greenpeace rot marktiert sind und für die das FAO-Fanggebiet keine größere Rolle spielt. Das ist der zweite Punkt bei der Wahl: Neben der Art ist das Fanggebiet entscheidend, das seit 2012 auf allen Fischereiprodukten der EU ausgewiesen wird und in den Fischführern eine wichtige Rolle spielt. Doch auch über die Website Fischbestände online  des Thünen-Instituts kann man sich zusätzlich informieren, wie es in den in den Gebieten aussieht. Im Nordostatlantik etwa sind viele Bestände noch halbwegs intakt. Doch diese Faustregel entlastet nicht davon, im Einzelfall doch nach der genauen Herkunft zu fragen.

Überforderte Kellner

Das regionale Kriterium hilft dem Fischkäufer, noch gründlicher auszuwählen. Doch es macht die Wahl gleichzeitig komplizierter. In Restaurants sind auch halbwegs fischkundige Kellner mit der Frage nach der Meeresregion, aus der Fisch kommt, überfordert. Da können dann wieder Fischführer helfen, die es als App für das Smartphone gibt: vom WWF oder auch dem Kieler Geomar-Institut (fischimhandy.de), dessen Ratgeber allerdings etwas veraltet ist – und sich auf die WWF- und Greenpeace-Ratgeber bezieht. Deren jährliche Aktualität ist wichtig, weil sich draußen im Meer doch einiges verändert. Galt die Nordsee-Scholle vor wenigen Jahren noch als kritisch, kann man sie jetzt essen.

Der WWF-Führer stützt sich stark auf die MSC-Verbreitung. Greenpeace wählt schärfer aus, markiert etwa Sardelle, Scholle und Kabeljau größtenteils als „nicht empfehlenswert“, wohingegen der WWF diese Arten in der Gesamtübersicht, bei der die Fanggebiete noch keine Rolle spielen, als eher unbedenklich empfiehlt. So gibt es viele Unterschiede zwischen beiden Führern; Greenpeace bewertet in der groben Übersicht insgesamt nur Forelle, Hering, Karpfen, Makrele und Zander als gut, das WWF-Artenspektrum ist viel breiter. Welchem Führer man nun folgt, hängt von Antworten auf einfache Fragen ab:

  • Wie viel Verzicht will ich?
  • Wie streng ist meine eigene Nachhaltigkeit? Folgt sie eher dem Vorsorgeansatz, den Greenpeace verkörpert und der einen vorsichtigeren Kauf bedeutet. Oder der etwas wirtschaftlich orientierten Nachhaltigkeit des MSC?
  • Will ich mit meinem Kauf die Verbreitung von MSC unterstützen, das die Fischerei schon – nach seinen eigenen Kriterien – stark verändert hat. Oder reichen mir die Kriterien nicht aus und setze ich eher auf kleine Unternehmen, die überschaubar zertifiziert werden?
  • Will ich also, womöglich weichere, Veränderungen in der Masse – oder strengere für Nischen?

Fragen für die Kauf-Entscheidung

Daneben stehen andere grundlegende Fragen. Der Reihe nach könnten dies die Fragen für den Fischkonsum sein:

  •  Will ich überhaupt noch Fisch essen?
  • Wenn ja, welche Arten sind generell, in allen Fischführern, tabu?
  • Welchem Führer vertraue ich? Wo bekomme ich schnell per App auch Angaben über die Fanggebiete?
  • Kann/will ich mein eigenes Essverhalten ändern? Traue ich mir mehr Gräten zu?
  • Möchte ich auch mal unbekanntere Arten versuchen?
  • Was wissen die Fischverkäufer, Kellner und Köche über die Herkunft der Produkte?

 Der Beitrag erschien bereits auf GEO.de

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