Wir beschäftigen uns unter dem Stichwort “grüner Journalismus” mit dem Themenkreis Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität. Dabei verschmelzen Umweltjournalismus und Konzepte eines “Nachhaltigkeitsjournalismus” zu einem weiteren Begriff, der bewusst offen und vor allem symbolisch gewählt worden ist.

Nachhaltig ist für uns eine Entwicklung, wenn dabei so verantwortungsvoll, effizient und gerecht mit ökologischen, ökonomischen und sozialen Ressourcen umgegangen wird, dass die Gesellschaft zukunftsfähig bleibt.

Nachhaltigkeit: Wie lässt sich die Erde bewahren? (Quelle: Ars Electronica Center/ CC BY-NC-ND 2.0)

Nachhaltigkeit: Wie lässt sich die Erde bewahren? (Quelle: Ars Electronica Center/ CC BY-NC-ND 2.0)

Viele Einzelthemen, ein gemeinsamer Hintergrund

In das Spektrum der Nachhaltigkeit, das wir im Blick haben, fallen Themen wie Klimawandel, Artensterben, Grenzen des Wachstums, Verteilung des Wohlstands, Energiewende, Konsumstile, Ernährung, Work-Life-Balance oder Stressabbau. Es geht um tiefgreifende Veränderungen und große Chancen, aber auch um ganz neue Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen. Nachhaltigkeitsexperten sprechen daher von einer gesellschaftlichen „Transformation“ – und damit letztlich von der Suche nach einem neuen Zivilisations- und Wirtschaftsmodell. Dieser Umbau ist ein Lernprozess mit offenem Ausgang.

Teil dieses Lernens ist ein neues Denken der Begriffe – auch im Journalismus und in der öffentlichen Wahrnehmung. Da das Vorurteil verbreitet ist, nachhaltige Lebensstil gingen immer mit Entbehrungen einher, wird auf Grüner-Journalismus.de nachhaltige Entwicklung mit Lebensqualität verknüpft. Lebensqualität steht für Wohlstand (materiell, aber auch Zeitwohlstand), Zufriedenheit und Glück. Dies sind Eckpfeiler eines neuen Verständnisses von Nachhaltigkeit. Eine einfache Zusammenfassung könnte auch lauten: „Gut, fair und vorsorgend leben“.

Ein gesellschaftliches Leitbild

Als gesellschaftliches Leitbild ist für uns die nachhaltige Entwicklung so selbstverständlich wie die Leitbilder einer demokratischen Entwicklung, Gleichberechtigung oder Gerechtigkeit im Sinne der Menschenrechte. Es geht um ein Leitbild mit langer Tradition; letztlich reichen die begrifflichen Wurzeln der nachhaltigen Entwicklung zurück bis in die Schöpfungsgeschichten fast aller Religionen. Im engeren Sinne wurde der Begriff von Carl von Carlowitz aus der Forstwirtschaft heraus 1713 geprägt – und wird deshalb in diesem Jahr 300 Jahre alt. Einige der Ansätze und Weiterentwicklungen zum Nachhaltigkeitskonzept lassen sich in einer Formelsammlung zusammenfassen:

Nachhaltigkeit als Kulturbegriff – einige Formeln

Schöpfungs-Formel Die Erde bebauen und gleichzeitig bewahren.
Wald-Formel Nicht mehr Holz fällen als nachwächst (Holz als wichtigster Rohstoff; Sachsen und Weimar als Zentren europäischer Hochkultur) – v. Carlowitz 1713.
Club-of-Rome-Formel Erster Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ – Dennis Meadows et al. 1972.
New-Age-Formel Whole Earth/ Ikone Erde in der Raumfahrtära – 1970/80.
Brundtland-Formel Zukunftsfähigkeit: Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation so befriedigen, dass auch zukünftige Generationen noch ein selbstbestimmtes Leben führen können – 1987.
Rio-Formel Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit als vernetztes Nachhaltigkeitsdreieck denken – 1992.
LOHAS-Formel Nachhaltigkeit als Lifestyle of Health and Sustainability (im Kern auf Konsumververhalten reduziert).

Die Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung ist es grundsätzlich, ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichzeitig und ausgewogen zu betrachten. Dabei gelten die Prinzipien Verteilungsgerechtigkeit, Partizipation und Gestaltungsverantwortung aller gesellschaftlichen Akteure. Das Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit ist allerdings in der öffentlichen sowie wissenschaftlichen Debatte umstritten. Unstrittig ist dabei aus unserer Sicht, dass Umweltbedingungen die Entnahme von Ressourcen und Entsorgung von Rückständen natürlicherweise begrenzen und daher „planetare Grenzen“ den Handlungsrahmen für Wirtschaft und Gesellschaft bilden.

Dieser Aspekt kommt in den gängigen Darstellungen des Nachhaltigkeitsdreicks häufig zu kurz. Daher möchten wir ergänzend eine Nachhaltigkeitspyramide zur Diskussion stellen, die diese natürlichen Grenzen klarer aufzeigt. Gleichzeitig soll in Anlehnung an die Bedürfnispyramide des US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow gezeigt werden, wie das Bedürfnis nach Wachstum inhaltlich weiter gedacht werden kann.

Basis einer nachhaltigen Entwicklung in den natürlichen Grenzen ist die Erfüllung materieller Grundbedürfnisse für alle Menschen (ökonomische Nachhaltigkeit). Während die meisten Menschen in westlichen Industrieländern – ungeachtet aller dortigen Verteilungsprobleme – bereits ein hohes materielles Niveau erreicht haben, leben global viele noch immer in absoluter Armut. Die nächste Stufe der sozialen Nachhaltigkeit ist stärker verknüpft mit Gerechtigkeitsvorstellungen.

Dabei geht es letztlich um die Frage, ob Menschen gesellschaftlich und sozial verankert sind. Die Spitze der Pyramide wird durch alle Ansätze einer Selbstverwirklichung bzw. eines „persönlichen Wachstums“ symbolisiert. Diese Form der Selbstverwirklichung auf Basis ökonomischer Absicherung und gesellschaftlicher Anerkennung kann auch mit der Suche nach Sinn oder Spiritualität gleichgesetzt werden, die heute in Industriestaaten an Bedeutung gewinnt.

Zu den natürlichen Grenzen kommen schwieriger werdende Rahmenbedingungen hinzu. Dazu gehören das globale Bevölkerungswachstum (ca. 70-80 Mio. jährlicher Zuwachs in den nächsten Jahrzehnten) und die nachholende Industrialisierung in den Schwellenländern. Gleichzeitig steigt das Konsumniveau in westlichen Industrieländern weiter an.

Eine anschauliche Metapher für diese gegenläufigen Trends ist der Nachhaltigkeitstrichter: Die Nachfrage nimmt zu während die Ressourcen und Verteilungsspielräume schwinden. Die Dramatik wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass schon heute weltweit alle sechs Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert.

Chancen + Blockaden

Die Dimensionen und Folgen einer nicht nachhaltigen Entwicklung bleiben für die meisten materiell abgesicherten Menschen vor allem in westlichen Industrieländern relativ abstrakt. Das hängt damit zusammen, dass die ökologischen Probleme sachlich, räumlich, zeitlich und sozial nicht immer einfach zuzuordnen sind.

Der Klimawandel zum Beispiel geht zu großen Teilen auf Industrieregionen mit hohem Ressourcenverbrauch zurück (lange Zeit haben 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Ressourcen verbraucht). Die existentiellen Folgen werden aber zeitlich verzögert zuerst in den Eis- und Permafrostgebieten oder den Inselregionen der Südsee deutlich – und treffen damit ganz andere und überwiegend ärmere Menschen als die Hauptverursacher.

Nicht nachhaltig: Für die meisten Menschen sind die Folgen zu abstrakt (Quelle: Paolo Margari/ CC BY-NC-ND 2.0)

Nicht nachhaltig: Für die meisten Menschen sind die Folgen zu abstrakt (Quelle: Paolo Margari/ CC BY-NC-ND 2.0)

Das Verständnisproblem rührt auch daher, dass viele Menschen in westlichen Industrieländern es sich in ihren Konsumgewohnheiten und politischen Ansprüchen als Staatsbürger bequem gemacht haben. Im Zweifelsfall soll nach diesem Gewohnheitsdenken alles so bleiben wie es ist, werden ökologische Krisen kleingeredet.

Andererseits sind Wachstum und immer neue Konsumwünsche elementar für den Kapitalismus – ungeachtet der Marktnischen mit glaubwürdig nachhaltig ausgerichteten Unternehmen. Das Problem bleibt: Unendliches Wachstum bei endlichen Ressourcen kann es nicht geben.

Journalimus und Recherche: zurückgedrängt

Was sind die Gründe dafür, dass wir den Umbau hin zu einer nachhaltigen Entwicklung und mehr Lebensqualität so zögerlich angehen? Und dafür, dass manch vielversprechende Ansätze wie etwa der Emissionshandel schon wieder in Frage gestellt werden? Ein grundlegendes – und für den Journalismus zentrales – Problem sind Veränderungen in den politischen und kommunikativen Strukturen der Gesellschaft. Lobbyismus und verdeckte PR haben dazu geführt, dass eine transparente gesellschaftliche Information und politische Willensbildung behindert wird.

Zur Desinformation tragen aber auch Greenwashing und andere Formen der Verbrauchertäuschung bei. Gleichzeitig wird dadurch der Nachhaltigkeitsbegriff entstellt. Letztlich ist, verstärkt auch durch die wirtschaftliche Krise vieler Medien, ein kommunikatives Ungleichgewicht entstanden, das auch durch lebendige und aufgeklärte Gegenöffentlichkeit im Internet wohl nicht ausgeglichen werden kann. Aus unserer Sicht ist es die Aufgabe des Journalismus, dieses Gleichgewicht wieder herzustellen.

Ungewisse Zukunft: Die Energiewende wird durch Lobbyarbeit gefährdet (Quelle: zoomyboy.com/ CC BY-NC 2.0)

Ungewisse Zukunft: Die Energiewende wird durch Lobbyarbeit gefährdet (Quelle: zoomyboy.com/ CC BY-NC 2.0)

Ein demokratischer gesellschaftlicher Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit und Lebensqualität kann jedoch nur mit einer funktionierenden Medienöffentlichkeit gelingen, die möglichst viele Menschen als Konsumenten und Staatsbürger erreicht. Ein Schlüsselbeispiel ist die massive Einflussnahme von Lobbygruppen der Energiewirtschaft auf die Rücknahme des ersten Ausstiegsbeschlusses aus der Atomenergie in Deutschland.

Aktuell sind diese Mechanismen zum Beispiel bei der Umsetzung der Energiewende zu beobachten, deren Erfolg durch Lobbyismus unterschiedlicher Gruppen, Desinformation und Widersprüche im politischen Management gefährdet ist. Ein anderes Beispiel ist der Lobbyistendruck auf politische Entscheidungen in Brüssel zu CO2-Grenzen für Pkw.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch Gewerkschaften in diesen und anderen Branchen einen Blockadekurs teils stützen. Sie versprechen sich von Wachstum mit immer neuen Konsumwellen mehr Verteilungsspielräume; so kann aber zum Beispiel auch eine Mobilitätswende hin zu umweltgerechten Verkehrskonzepten nicht gelingen.

Grenzen des politischen Systems

Unsere Politik tut sich generell schwer, Weichen in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung zu stellen. Denn viele Politiker gehen davon aus, dass sich damit keine Wahlen gewinnen lassen, weil sich die Erfolge der Weichenstellungen nicht innerhalb einer Legislaturperiode zeigen – und ihrer Meinung nach auch nicht vermittelbar sind. Die Mutlosigkeit vieler Politiker zeigt sich selbst dann, wenn einmal, losgelöst vom politischen Tagesgeschäft, über Zukunftsfragen einer nachhaltigen Entwicklung beraten wird.

Ein Beispiel dafür ist die Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt entwickeln und nach Indikatoren für Nachhaltigkeit suchen sollte. Sie hat ihre Ziele nicht erreicht. Deutlich wurde, dass Politik mehrheitlich nach wie vor auf Wachstum durch steigenden Konsum ausgerichtet ist – obwohl gerade dies hinterfragt werden sollte.

Es lassen sich viele andere Beispiele einer politischen Selbstblockade nennen, die auch dem wachsenden Lobbyismus – teils auch seitens der neuen grünen Industrien – geschuldet ist. Ähnlich defensiv sind Politiker etwa bei der Frage, ob nicht  stärkere Anreize, auch per Gesetz, nachhaltiges Verhaltens fördern könnten, zum Beispiel beim zivilgesellschaftlichen Engagement.

Gleichzeitig ist offensichtlich, dass zum Beispiel Kinder- und Seniorenbetreuung, Initiativen zur Dorferneuerung und Nachbarschaftshilfe den Menschen vor Ort genauso unmittelbar zugute kommen wie andere, ehrenamtliche Tätigkeiten oder das wiedererstarkte Genossenschafts-Engagement etwa in den Bereichen Selbstversorgung und Energieerzeugung.

Angesichts der politischen Probleme und der großen Beharrungskräfte in der Wirtschaft wurden für den grünen Wandel hohe Erwartungen in den ökologisch aufgeklärten Konsumenten gesetzt. Denn der private Konsum trägt zu mehr als der Hälfte zur Wirtschaftsleistung bei. Die Idee: Durch nachhaltigen Konsum sollten nicht nur ökologische Entlastungen erreicht sondern auch der nötige Druck auf Politik und Wirtschaft erzeugt werden, um auf Dauer umweltfreundlichere Produkte anbieten zu können. Diese Erwartungen sind jedoch bisher nicht erfüllt worden.

Grenzen des grünen Konsums

Insgesamt konnte der ökologisch orientierte Konsum einzelner Gruppen nicht verhindern, dass das Konsumniveau weiter steigt und Effektivitätseffekte durch zusätzlichen Konsum aufgezehrt werden. Wird nachhaltiger Konsum zudem nur als angesagter Lebensstil zelebriert, unterliegt er kurzfristigen Modetrends und ebbt schnell wieder ab.

In vielen Feldern wie etwa der Informationstechnik gibt es kaum eine Diskussion über ökologische Ansprüche und Folgen. Die Produktlebenszyklen werden generell immer kürzer. Ein anderes Beispiel ist der Automobilmarkt, in dem immer wieder neue Konsumwellen ausgelöst werden (Marktprognosen gehen z.B. davon aus, dass der Anteil von SUVs bis 2020 auf ein Drittel aller Fahrzeuge steigen wird). Gleichzeitig scheitern Regulierungsansätze wie etwa schärfere CO2-Grenzwerte, Sparvorgaben für die Fahrzeugkonstruktion, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder die Abschaffung bzw. Beschneidung des Dienstwagenprivilegs.

In der Wissenschaft ist strittig, ob die Erwartung an Konsumenten angesichts der Marktmechanismen unrealistisch ist – oder ob nicht doch über einen Wertewandel grundlegende Veränderungen des Kaufverhaltens möglich sind. Klar ist aber, dass ohne veränderte politische Rahmenbedingungen mit rechtlichen Vorgaben und neuen Anreizen keine Trendwende in Richtung nachhaltige Entwicklung möglich ist. Den politischen Kurs bestimmen in einer parlamentarischen Demokratie letztlich wir alle – als Staatsbürger.

Ungeachtet der wichtigen öffentlichen Rolle der Zivilgesellschaft und Akteuren wie NGOs wird insgesamt deutlich, welche kommunikative Verantwortung Medien zukommt. Diese gesellschaftliche Verantwortung ist die wichtigste Motivation für das Projekt Grüner-Journalismus.de. Eine längere Zusammenfassung zu vielen Themen findet sich auch im Werkstattbericht von Prof. Dr. Peter Seeger: Qualitätsjournalismus am Beispiel des Zukunftsthemas ´Nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität´. Darmstadt/Dieburg 2012. Download: Seeger-Nachhaltige-Entwicklung.pdf