Ideen, Ziele, Pläne

Selbstverständnis

Die Frage der journalistischen Rolle drängt sich bei themenbezogenen Ansätzen auf; in Fachmagazinen wird sie zunehmend diskutiert. Wie engagiert dürfen/sollen Journalisten nun sein, auch im Feld der Nachhaltigkeit?

Journalisten sollen Meinung haben und sie zeigen, wenn es Stilform und Genre fordern: Kommentare, Essays und Kritiken, aber auch packende Reportagen, Features und ähnliche Formen brauchen Wertungen. Und auch Genres wie Magazin- oder Kulturjournalismus kommen ohne Subjektivität nicht aus. Im Nachrichtenjournalismus haben fixe Meinungen außerhalb der genannten Formen jedoch keinen Platz.

(Quelle: Techniker Krankenkasse/ CC BY-NC-ND 2.0)
(Quelle: Techniker Krankenkasse/ CC BY-NC-ND 2.0)

Was Journalismus darüber hinaus immer braucht, sind Haltungen – oder anders gesprochen: Wertmaßstäbe zu den großen Fragen einer aufgeklärten Gesellschaft, die einem langen Selbstverständigungsprozess entsprungen sind. Dazu gehören Leitbilder wie Völkerverständigung, die Gleichstellung der Geschlechter, der Schutz sozialer und ethnischer Minderheiten und auch die Generationengerechtigkeit bzw. die nachhaltige Entwicklung. Sie ist eine journalistische Haltung, für die wir eintreten, jenseits einer konkreten Antwort, wie sie im Einzelnen umzusetzen ist.

Nachhaltigkeit ist obendrein ein, wenn nicht das, relevante Zukunftsthema, dessen Spielarten in der öffentlichen Debatte aber teilweise untergehen. Oder noch garnicht bekannt sind. Relevanz abbilden, alte Diskurse nach offenen Lücken abtasten und neue Themen setzen – das sind Kernaufgaben des Journalismus. Nachhaltige Entwicklung fordert diese genuin ein. Daher engagiert sich das unabhängige und gemeinnützige Medienforum „Grüner Journalismus“ dafür, sie zu thematisieren und zu fördern.

Macher, Machart, Pläne

Das Portal baut ein Team des Instituts für Kommunikation und Medien (ikum) der Hochschule Darmstadt auf, die in den Sozial- und Kulturwissenschaften einen  besonderen Lehrschwerpunkt Nachhaltigkeit herausgearbeitet hat. Grüner-Journalismus publiziert eigene Inhalte, v.a. aber sichten und sammeln wir vorhandene Beiträge im Netz zusammen mit einem Beirat aus Praxis und Wissenschaft. Wir sind aber nicht nur ein journalistisches Forum für Umwelt- sowie Nachhaltigkeitsthemen, sondern auch Vermittler neuer Darstellungs- und Erzählideen, mit denen relevante Zukunftsthemen spannend umgesetzt werden können. Auch so zeigt das Projekt in einer angespannten Medienbranche Marktlücken auf, die Journalisten mit Interesse an nachhaltiger Entwicklung für sich gewinnbringend nutzen können.

„Grün“ findet als Metapher für Themen der nachhaltigen Entwicklung zunehmend Eingang in die Medien. Weil wir diesen Trend begleiten, analysieren und unterstützen, trägt die Plattform den Namen „Grüner Journalismus“. Beispiele für das mediale Ergrünen sind Magazingründungen wie Zeo2, Enorm oder das neue Wald Magazin. Dazu kommen Sonderseiten wie “Grünes Leben” in der ZEIT, Portale wie Utopia.de oder WiWo Green (Wirtschaftswoche) und Serien wie „Grüne Revolution” (Süddeutsche Zeitung) und Green Living (The Guardian).

Oft geht es in diesen Serien nicht um das große Konzept der nachhaltigen Entwicklung, sondern um einzelne Themen aus diesem weiten Feld. Deshalb führt dieses Portal aus journalistischer Sicht mit einem besonderen Ansatz in diese Themen ein. Wir starten mit Energie, Mobilität und Fischerei, danach folgen Dossiers zu wichtigen Fragen wie etwa Klimawandel (online im Frühjahr 2014, Autor ist der anerkannte Klimafachjournalist und Beiratsmitglied Bernard Pötter, taz), Ernährung, Landwirtschaft, nachhaltiges Wirtschaften oder Zeit.

 Grüner-Journalismus.de kooperiert mit Gruenes-Wissen.net der Leuphana Universität Lüneburg. Ermöglicht wird das Projekt in der ersten Phase durch die Stiftung Forum für Verantwortung. Wir laden alle interessierten Journalistinnen und Journalisten ein, ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Anregungen auf Grüner-Journalismus.de einzubringen!

Grüner Journalismus

Grüner Journalismus – den gibt es doch schon, werden einige sagen. Ja, denn grüner Journalismus hat als Umweltjournalismus eine längere Tradition. Umweltjournalismus berichtet zum Beispiel über das dramatische Bienensterben oder über die Sehnsucht der Menschen nach einer intakten Natur. Es gibt daneben aber seit einigen Jahren auch neue, breitere journalistische Facetten, die in Richtung Nachhaltigkeit weisen.

Die Nachhaltigkeitsaspekte sind allerdings nicht immer zu erkennen, da Katastrophen und Risiken auch hier oft im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen; Lösungsansätze und Erfolgsbeispiele werden demgegenüber viel seltener abgebildet. Ein Medienhype wird zum Beispiel ausgelöst, wenn eine internationale Klimakonferenz gescheitert ist.

(Quelle: David Schiersner/ CC BY 2.0)
(Quelle: David Schiersner/ CC BY 2.0)

Regelmäßig Schlagzeilen liefern aber auch Benzinpreiserhöhungen oder Skandale in der industriellen Landwirtschaft. Und inzwischen schlägt die Vergütung für Solar- und Windstrom ebenfalls hohe Wellen. Oft fehlen in dieser aktuellen und aufgeregten Berichterstattung die Anbindung an den größeren Kontext und Bezüge zu anderen wichtigen Dimensionen des Themas.

Unser Verständnis fragt deshalb nach den Zusammenhängen zwischen ökologischen Grenzen sowie ökonomischen und sozialen Aspekten einzelner Themen – und damit nach fehlenden Hintergründen und möglichen Lösungsansätzen.

Eine junge, experimentelle Szene

Hinter den oben erwähnten Schlagzeilen verbergen sich durchaus auch anspruchsvolle journalistische Beiträge. Aber nur selten vermitteln Journalisten und Medien ressortübergreifend, was die einzelnen Aufmacher miteinander zu tun haben. Ebenso ist eine kontinuierliche Berichterstattung jenseits spektakulärer Zuspitzungen eher selten. Es kommen auch Beiträge immer noch zu kurz, in denen die alltagsnahen Perspektiven für ein besseres Leben, Gestaltungsoptionen und ermutigende Beispiele thematisiert werden.

Ein Motor für die nachhaltige Entwicklung ist etwa eine junge, experimentelle ökologische Szene in der Zivilgesellschaft geworden. Zu ihr gehören die international vernetzte Transition Towns-Bewegung, Kleidertauschbörsen, Nachbarschafts-Carsharing-Modelle, Regionalgeld-Initiativen, Urban Gardening-Gruppen, gemeinschaftliche Dorfläden, Energiegenossenschaften, Reparaturnetzwerke oder Vereine für Entschleunigung. Hierzu lassen sich mit Techniken des storytelling viele interessante, amüsante und bewegende Geschichten erzählen, ohne dabei die harten Fakten und Daten auszublenden zu müssen. Diese können z.B. mit Datenjournalismus neu und anschaulich aufbereitet werden.

Welche Interessen sind im Spiel?

Inhaltlich sind noch viele Fragen unbeantwortet: Warum machen Journalisten und Medien bei entsprechenden Anlässen nicht transparent, welche Lobbyinteressen jeweils im Spiel sind? Was müsste zum Beispiel die Mobilität mit Auto, Bahn und Flugzeug kosten, wenn nicht nur alle Umwelt- und Folgekosten eingerechnet würden, sondern alle Verkehrsträger auch vergleichbare politische Rahmenbedingungen hätten? Wer oder was verhindert andere politische Weichenstellungen? Welche persönlichen Vorteile bringt regelmäßiges Radfahren für bestimmte Strecken – ökologisch, gesundheitlich, zeitlich, finanziell, mental? Was kann man unter dieser Perspektive noch besser zu Fuß erledigen? Solche Aspekte der Lebensqualität können medial noch stärker in den Vordergrund gestellt werden – eben um den etwas sperrigen Nachhaltigkeitsbegriff mit Leben zu füllen und sie konkret mit dem Alltag der Leser, User und Zuschauer zu verknüpfen.

(Quelle: Metro Library and Archive/ CC BY 2.0)
(Quelle: Metro Library and Archive/ CC BY 2.0)

Dies geschieht im Idealfall mit klugem storytelling, also gut erzählten Geschichten. Es sind Geschichten, die die Menschen im Alltag abholen, ohne sie zu überfordern, zu langweilen oder zu belehren:

  • Was bedeutet es, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist?
  • Wie könnte das alltägliche Leben in zwanzig Jahren aussehen, wenn wir nicht alle  umsteuern – und wie, wenn es doch gelingt?
  • Was hat Nachhaltigkeit mit Wohlstand, Lebensqualität, Bildung und sozialer Gerechtigkeit zu tun ? Warum erhöht mehr soziale Gerechtigkeit die Lebensqualität aller?
  • Warum sollen wir beim Kampf gegen den Klimawandel mehr tun, wenn der CO2-Ausstoß in den Schwellenländern viel stärker steigt – und das Zwei-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen ist?
  • Ist Deutschland ein energiepolitisches Versuchslabor, das Vorreiter sein könnte?
  • Welche Verantwortung haben Politik, Unternehmen, Zivilgesellschaft und wir persönlich als Konsumenten einerseits und mündige Staatsbürger andererseits?
  • Kann mehr Nachhaltigkeit eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung und ein neues Gemeinschaftsgefühl schaffen – und auch Spaß machen?

Um Antworten auf solche Fragen zu finden, sind intensive Recherchen nötig, die aber Zeitdruck und Personalmangel immer öfter erschweren. Weiterbildung ist nur in wenigen Redaktionen ein Thema. Zudem verhindern häufig Ressortdenken und Arbeitsroutinen, sich mit Kollegen zusammenzuschließen, Themen zu vernetzen oder auch Geschichten ganz anders zu erzählen. Andrew Revkin, lange Umweltredakteur der New York Times, bezeichnet Nachhaltigkeit als „the story of our time“.

Die Kluft zwischen Wissen und Handeln

Ein Problem ist auch, dass diese Form eines thematisch engagierten Journalismus in Deutschland keine Tradition hat – im Unterschied zu anderen Ländern wie den USA mit ihrer starken umweltjournalistischen Forschung sowie vielen Staaten in Lateinamerika, Asien und Afrika. 2013 ging ein Pulitzerpreis an das journalistische Online-Portal InsideClimate News.

Immer mehr Menschen sind zudem über Einzelthemen relativ gut informiert und erwarten insbesondere von Qualitätsmedien mehr zu diesen Themen. Andere spüren eher intuitiv, dass sich etwas verändern muss. Doch die Veränderungen geschehen zu langsam – auch, weil bei vielen Wissen und Handeln in Richtung mehr Nachhaltigkeit weit auseinander klaffen. Das belegen viele umweltpsychologische Studien. Grüner Journalismus muss daher aus diesem psychologischen Blickwinkel…

  • Aufmerksamkeits-, Informations- und Wissensgrenzen überwinden,
  • sich der Kluft zwischen Einstellungen und Verhalten und der unterschiedlichen gesellschaftlichen Wahrnehmung der Themen bewusst sein,
  • und trotzdem versuchen, übergreifend Orientierung zu geben.
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