Mein Main – Aschaffenburger erzählen ihre Flussgeschichten

Ein Text von Leonie Hnizdo

Dort fließt er reißend, da plätschert er sachte, andernorts fließt er gemächlich – der Main. Der längste rechte Nebenfluss des Rheins bietet mit 527 Kilometern Fließstrecke durch fünfzehn Städte eine Lebensgrundlage für Tausende von Menschen. Von denen viele mit dem Fluss eng verbunden sind. Hier kommen einige zu Wort – Aschaffenburger:innen sprechen über ihren Main. 

Fähren statt Brücken

„Da war eine Fähre vom Theoderichstor an den Volksfestplatz“, erinnert sich Brigitte. Die 77-Jährige ist seit ihrem ersten Atemzug Aschaffenburgerin, und denkt gern zurück an ihre Jugend in der Stadt. Die Fähre, von der sie spricht, fährt schon seit den frühen 1980er Jahren nicht mehr. 

In ihrer Erinnerung aber ist sie lebendig und vertraut geblieben. An einem Sommerabend habe sie zusammen mit Arbeitskollegen das Volksfest besucht, erzählt sie. Der Preis für die Überfahrt mit der Fähre zurück nach Hause betrug fünfzig Pfennig. „Ich hatte meine fünfzig Pfennig in der Hand und stand auf dem Holzsteg“, erzählt Brigitte. Ihre Hände machen schwankende Bewegungen; spielen das etwas unsichere Übersetzen im Fährkahn nach, so als ob die schiefen Holzplanken des Stegs direkt unter ihren Füßen seien. „Die Fähre kam, und da sind mir die fünfzig Pfennig aus den Händen gefallen“, lacht sie heiter. „Da war eine Fähre vom Theoderichstor an den Volksfestplatz“, erinnert sich Brigitte. Die 77-Jährige ist seit ihrem ersten Atemzug Aschaffenburgerin, und denkt gern zurück an ihre Jugend in der Stadt. Die Fähre, von der sie spricht, fährt schon seit den frühen 1980er Jahren nicht mehr. 

Das Theoderichstor mit Blick auf den Main. Foto: Leonie Hnizdo

Auch für Thorsten hängt sein Gefühl für den Main an einer Fähre. Mit seinen 52 Jahren, die er allesamt in der Region verbracht hat, kann auch er aus vielen Erlebnissen schöpfen, die an den Main geknüpft sind. Sein Schönstes? „Lange, bevor du geboren wurdest, gab es eine Fähre zwischen Niedernberg und Sulzbach“, beginnt er. Genau meint er damit die Niedernberger Mainfähre, die bereits 1426 – aufwendig dokumentiert und zusammengetragen durch den Geschichtsverein Niedernberg – erste Erwähnung findet. Bis 2001 eine Brücke die Überfahrt mit der Fähre ersetzt, ist sie dauernd im Einsatz. 

„Es hat mich als Kind immer sehr gefreut, wenn wir in die Stadt gefahren sind, weil wir das immer mit der Fähre gemacht haben“, sagt Thorsten. Der Ausblick und das Erlebnis haben große Eindruck auf ihn gemacht. So groß, dass er sich auch noch Jahrzehnte später gern daran erinnert. 

Winterspaß am Main

Carmen, 54, erzählt von einem eiskalten Ausflug über den zugefrorenen Main zur Liebesinsel in dessen Mitte. Das kann sich die junge Generation der Aschaffenburger:innen heute kaum noch vorstellen, war doch der riesige Fluss im Herzen ihrer Stadt selbst im tiefsten, ihnen bekannten Winter nicht ansatzweise so gefroren, dass man ihn hätte betreten können. Doch nicht nur betreten haben die Kinder den zugefrorenen Main. „Meine Mutter ist als Kind darauf sogar noch Schlittschuh gefahren“, fällt Carmen ein. Und auch von einem früheren Chef erzählt sie, dessen Vater sogar mit dem Auto auf dem zugefrorenen Fluss gefahren sein soll. Was unter den heutigen Umständen kaum vorstellbar scheint, war früher fröhliches Wintervergnügen. 

Im wahrsten Sinne des Wortes wärmere Erlebnisse teilt Paul. Der 20 Jahre junge Mann berichtet von einer bestimmten Stelle entlang des Aschaffenburger Mainufers, an der es sich im Frühling und Sommer wunderbar sitzen lässt. „Man kann die Beine über dem Fluss baumeln lassen und den Schiffen zuschauen“, sagt er, während sich auf seinem Gesicht ein Lächeln erscheint. 

Pauls Geheimtipp: das alte Schleusentor, Blick stadtauswärts gerichtet. Foto: Leonie Hnizdo

Seine Stelle ist das alte Schleusentor. Vom Wasser umspülte Mauern ragen auf beiden Seiten hoch über dem Fluss. Bei gutem Wetter schweift der Blick stadteinwärts über die Willigisbrücke auf das Schloss Johannisburg. Den Ort habe er auf einem gemeinsamen Spaziergang mit seiner Schwester entdeckt, „ganz zufällig“. Eigentlich sei der gelernte Schlosser kein Mensch für ruhige Momente, doch trotzdem: „Wir haben uns dann hingesetzt und Musik gehört; das war schon toll.“ Der Main als unterschätzter Ruheraum – nicht nur Paul lernt den ihm seit Kindheitstagen bekannten Fluss neu kennen.

Der Main als Ort der Gemeinschaft

Jan, 21, rudert seit seinem 14. Lebensjahr. Für ihn ist der Main vor allem eins: Medium für Gemeinschaft. „Für mich war das immer ein Ort, an dem ich bei meinen Freunden sein konnte.“ Er klingt dabei euphorisch, als würden die Aktivität und das Beisammensein ihn in diesem Moment abholen. Besonders wichtig ist ihm aber, zu betonen, dass er kein „Wassermann“ ist – im Gegenteil, sein liebster Meeting-Spot am Main liegt auf der Mainwiese. Ganz besonders genießt er beim Rudern neben der pittoresken Regattastrecke aber das, was ihn mit seinen Ruderkamerad:innen verbindet: „An sich ist es sehr einsam, auf dem Wasser zu sein, aber es ist eine tolle Erfahrung, dort zusammen allein zu sein.“ 

Wie bei so vielen Befragten liegt auch für Sophie die Verbindung zum Main in liebevoll gehegten Erinnerungen. Die 21-jährige Studentin ist in der Region geboren und war als Kind Teil der Tanzschule Alisch in Aschaffenburg. Die veranstaltete damals eine musikalische Bootstour über den Main. Sophie denkt gern an den Abend voller Tanz, Musik und Gemeinschaft zurück. Der schönste Moment? „Als wir zurückgefahren sind, haben wir vor dem Schloss Johannisburg Halt gemacht und das Feuerwerk vom Volksfest beobachtet. Wir standen alle auf dem Deck und haben die Aussicht genossen.“ Die Begeisterung über die lauten, kunterbunten Explosionen über dem Wasser ist ihr heute noch anzumerken.

Biegung des Mains hin zum Floßhafen. Hier kann man gut entlangflanieren! Foto: Leonie Hnizdo

Freude für Leib und Seele

Der Main – Schauplatz von Erinnerungen, die so lebendig bleiben wie das fließende Wasser selbst. Das Gefühl, das bei ausnahmslos allen Befragten im Gespräch aufkommt, ist Freude. Freude über bestimmte Erlebnisse, Aktivitäten oder generell die Existenz dieses Ortes der Begegnung. Wo Menschen an Ufern flanieren, spazieren, joggen, auf Gefährten dem Fluss des Wassers folgen oder einfach mal die Beine und Seele baumeln lassen, dort ist der Main der Aschaffenburger:innen.

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