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Naturparadies Limburg – 

Eine Auseinandersetzung mit dem Wandel unserer Umwelt

Noch nie haben wir uns in einem schnelleren Wandel befunden. Durch die Globalisierung sind alle Berufsgruppen betroffen, durch den Klimawandel unsere Umwelt mit allen Lebewesen auf unserem Planeten. Komplizierte Gesetze versuchen, dem Klimawandel entgegenzuwirken, doch diese stoßen nicht selten auf starken Gegenwind. Die Streuobstwiesen auf der Limburg, ein Naturschutzgebiet, sind stellvertretend für den schwierigen Spagat zwischen Klimamaßnahmen und Überregulierung. Gemeinsam mit meinen Großeltern möchte ich herausfinden, wie es den Streuobstwiesen heute geht, vor welchen Herausforderungen die Landwirte stehen und ob sich der Klimawandel wirklich bemerkbar macht. Dabei beleuchte ich den Naturschutz sowie die Sicht der Obstbauern.

 

Eine grüne Wiese, Bäume und ein Hügel.

Es ist ein angenehmer Augusttag, als ich mit meinen Großeltern den Friedhof in Weilheim hinter mir lasse und den Weg zur Limburg einschlage. Der markante Weilheimer Hausberg, der einst ein Vulkan war, erhebt sich etwa 200 Meter über seine Umgebung. Der Regen vom Vormittag hat die Luft erfrischt und das Zirpen der Grillen begleitet uns auf dem Weg. So weit das Auge reicht, erstrecken sich die Streuobstwiesen, die neben den unteren Hängen der Limburg das Vorland der Schwäbischen Alb prägen. Generationen von Menschen formten die Kulturlandschaft der Limburg durch ihre Nutzung. »Hier stehen so viele kaputte Bäume«, stellt meine Oma besorgt fest, während wir an einem verwilderten Landschaftsabschnitt vorbeigehen. »Teilweise wird ja gar nicht nach ihnen geschaut. Gemäht wurde auch nichts.« 


Zwei waschechte Weilheimer 

Meine Großeltern sind das Ehepaar Gerhard und Marianne Schumacher, gebürtige Weilheimer und Kenner der heimischen Umgebung. Über viele Jahrzehnte haben sie eine Landwirtschaft mit Viehzucht betrieben und Wiesen als auch Ackerflächen rund um Weilheim bewirtschaftet. 

»Wenn du für einen Doppelzentner Obst fünf Euro bekommst, dann lohnt sich das Geschäft nicht.«
Gerhard Schumacher
Landwirt und Streuobstexperte

Vierzig Jahre lang war mein Großvater im Ausschuss des Obst- und Gartenbauvereins Weilheim und ist bis heute mit 82 Jahren leidenschaftlicher Hobbybauer und Besitzer vieler Obstwiesen, die er eigenständig pflegt. Er besitzt das Fachwissen über Nutzpflanzen und Landwirtschaft, hat die Entwicklung der heimischen Landwirtschaft über einen Zeitraum von 70 Jahren begleitet und kennt die Herausforderungen der heutigen Zeit durch Klimawandel und Globalisierung. An der Limburg erntet er vor allem Kirschen, Äpfel, Birnen und Zwetschgen. 


Nach etwa 300 Metern erreichen wir den Natur- und Kulturlehrpfad, der einmal um die Limburg führt. Auf dem drei Kilometer langen Rundweg informieren zwölf Tafeln über Geologie, Geschichte sowie Pflanzen- und Tierwelt. Der gesamt Pfad ist gesäumt von Obstbäumen, Wacholder, Brombeeren und anderen heimischen Mischwaldbäumen wie Linden, Hainbuchen und Weiden. Wir passieren einen prächtigen Kirschbaum. »Der sieht schön aus«, sagt Oma. Mein Opa fügt hinzu: »Der hat gar keine Läuse.« Opa ist fasziniert von den heimischen Bäumen. Doch kaum ein Baum wird nur bestaunt, jeder wird auf seine Pflege und seinen Gesundheitszustand hin untersucht. Während einige Bäume unter Schädlingsbefall leiden – betroffene Blätter sind eingerollt – gibt es hier mehrheitlich gesunde Exemplare zu entdecken. 


Wenn mein Großvater über Bäume spricht, ist er in seinem Element. Der Krieg hat auch Spuren bei ihm hinterlassen, aber die Faszination für die Streuobstwiesen konnte ihm in all den Jahren niemand nehmen. Wir unterhalten uns über das Veredeln eines Birnbaums. Geduldig erklärt er mir, wie aus einem Birnbaum zwei oder mehr Birnensorten geerntet werden können, während ich ihm aufmerksam lausche. »Das Original ist die Schweizer Wasserbirne, das sind die kleinen Birnen mit der rundlichen Form. Die längliche Form, die Williams-Christ-Birne, wurde an zwei Stellen in den Baum eingepropft« sagt Opa und deutet mit dem Zeigefinger auf die zwei veredelten Äste. 


Anicas Großvater von Hinten vor einem Baum. Er trägt eine beige Kappe, ein blau-weißes T-Shirt und eine Sonnenbrille.

Der Weg gibt den Blick frei auf den Bossler und den Kinderwasen – beide gehören zum Albtrauf, der den Beginn der Mittleren Schwäbischen Alb markiert. Opa hat natürlich die Bäume im Blick: Zwei junge vertrocknete Kirschbäume, die offensichtlich nicht gegossen wurden, erwecken seine Aufmerksamkeit. »Das ist ein Zeichen für die Veränderungen durch den Klimawandel«, murmelt der Streuobstexperte.


Knochenjob mit schlechten Bedingungen 

Ein Problem, das mein Großvater neben den veränderten Witterungsbedingungen für die Obstwiesen sieht, ist die jährlich nachlassende Baumpflege, wodurch immer mehr Exemplare absterben. Die sei dringend notwendig, da saisonale Herausforderungen wie Wetterextreme und Schädlingsbefall immer häufiger und intensiver werden. Doch der Anbau von Streuobst ist für angehende Landwirte wenig attraktiv. Der 82-Jährige erläutert: »Wenn du für einen Doppelzentner Obst fünf Euro bekommst, dann lohnt sich das Geschäft nicht. Über eine Stunde benötige ich, um das viele Obst aufzulesen. Das wäre ein Stundenlohn von nicht einmal fünf Euro.« Um die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen für junge Menschen attraktiver zu gestalten, schlägt er vor, die Preise für Streuobst zu erhöhen. 


Zwei graue Kühe auf einer Weide.

Bild: Anica Schubert

Wir setzen unseren Weg fort und genießen die Ruhe um uns herum. Die Vielfalt der heimischen Pflanzen lässt mich staunen. Mir wird klar, dass die Limburg nicht nur einen Rückzugsort und Nutzungsflächen für Menschen bietet, sie ist auch Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. 2020 ist in Baden-Württemberg das Biodiversitätsstärkungsgesetz in Kraft getreten. Es beinhaltet den Schutz von Streuobstwiesen, aber auch ein Pestizidverbot in Naturschutzgebieten und eine generelle Reduktion von Pflanzenschutzmitteln. Eine europäische Verordnung aus dem Jahr 2023 sieht strenge Regeln für die Verwendung von Pestiziden vor: Bis 2030 soll der Einsatz von Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent reduziert werden, in »sensiblen Gebieten« wie dem Naturschutzgebiet rund um die Limburg soll der Einsatz ganz verboten werden. 


Gesetze fallen Bauern in den Rücken 

Die Gesetzesbeschlüsse bereiten neben meinem Großvater vielen anderen Bauern und Gärtnern Bauchschmerzen. Denn gerade junge Setzlinge sind auf menschliche Pflege – das Gießen, den Schnitt und die Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln – angewiesen. Karl Bölz, Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Weilheim, sagte der Lokalzeitung Teckbote: »Wenn man nicht mehr spritzen darf und nichts mehr ernten kann, bewirtschaftet irgendwann gar niemand mehr die Streuobstwiesen.« 


Auch Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen, sieht die Gesetzesänderung kritisch. Dem Teckboten erklärte er: »Was bei uns unter Schutz steht, ist keine Naturlandschaft, sondern Kulturlandschaft. Im Gegensatz zum Wald sind Wiesen, Äcker und Streuobstwiesen abhängig von der Bewirtschaftung durch Menschen.« Die Ausweisung von Schutzgebieten ist in vielen Fällen sinnvoll und vorteilhaft für Tiere und Natur. Doch im Fall des Naturschutzgebietes rund um die Limburg haben Biodiversitätsgesetz und die EU-Richtlinien nicht nur für Obstbauern gravierende Auswirkungen, wenn wegen mangelnder Pflege ganze Bäume kaputtgehen. Die Situation an der Limburg ist für viele Beteiligte nicht zufriedenstellend: Durch entsprechende Naturschutzgesetze soll das Spritzen von Bäumen verboten werden, wodurch viele jedoch absterben. Eine Sonderregelung gibt es mitterweile für Winzer. »Denn ohne Pflanzenschutzmittel gäbe es keinen Wein«, verdeutlicht mein Opa.


Eine ältere Frau steht vor einer verwilderten Wiese, die mit Stacheldraht umzäunt ist.


Um das Dilemma der Streuobstbauern zu verdeutlichen, halten wir an einer verwilderten Wiese, die mit Stacheldraht umzäunt ist. »Hier ist alles voll mit Mehltau, ein schädlicher Pilz für unzählige Nutzpflanzen«, erklärt der Hobbybauer. Der ehemalige Grundstücksbesitzer sei verstorben und der neue Eigentümer habe die Obstwiese nach und nach verwahrlosen lassen. Mittlerweile sind nahezu alle Bäume der Wiese mit dem Schädling befallen. Mein Großvater hat trotz der Liebe zu seinen Wiesen Verständnis dafür, dass viele Bauern Grundstücke auf der Limburg seit dem Spritzverbot nicht mehr bewirtschaften möchten oder können. »All das ist harte Arbeit, zeitintensiv und bringt wenig Geld. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass es den Bäumen nicht noch schlechter geht und dass sich genügend Menschen um sie kümmern«, sagt er.


Wertvolle Streuobstwiesen stehen unter Schutz

Die Stadt Weilheim setzt sich für den Streuobstbestand ein, indem jährlich 60.000 Euro in den Erhalt der Bäume investiert und neue Bäume gepflanzt werden. Auf der Limburg kann jeder Pate eines Baums werden. Die Bäume, die in der Baumschule 50 Euro pro Stück mit Pfahl und Rankgitter kosten, werden von der Stadt mit 25 Euro bezuschusst. Anja Schubert, gebürtige Weilheimerin und Leiterin des Amts für Immobilien in der Stadt Leinfelden-Echterdingen, erklärt: »Auf den Grundstücken der Limburg dürfen keine Gartenhäuser oder Hütten mehr errichtet werden.« Sie fährt fort: »Am Fuße der Limburg ist in den letzten Jahren ein Neubaugebiet entstanden. Im Landesnaturschutzgesetz ist inzwischen festgelegt, dass Streuobstwiesen nur unter sehr strengen Auflagen in Wohngebiete umgewandelt werden dürfen. Das Gesetz stellt sicher, dass die wertvollen Streuobstwiesen geschützt bleiben und bei einer Umwandlung in Wohnfläche Ausgleichsmaßnahmen umgesetzt werden.«


Ein zweistöckiges Haus, vor dem Obstbäume stehen.


Schon von weitem erkennt Oma ein auffälliges Warnschild. Hier hat sich Anfang Juni aufgrund eines starken Unwetters ein Erdrutsch gelöst, der einen drei Meter langen Teil des Lehrpfades abgerissen hat. »Diese Stelle muss von der Stadt Weilheim unbedingt zügig saniert werden, da sie eine Gefahr für Spaziergänger ist«, stellt meine Großmutter fest. Der Erdrutsch ist ein weiteres Zeichen des Klimawandels, der seine Spuren in der Natur hinterlässt.


Jahrzehntelanger Wandel mit ungewisser Zukunft 

Je mehr ich über die Streuobstwiesen und die Kulturlandschaft der Limburg erfahre, desto mehr kann ich Opas Frustration verstehen. Es geht hier nicht nur um Geld, sondern um ein ganzes Berufsfeld, um unsere Umwelt und deren Zukunft. Wenn mein Großvater mir Wissen vermittelt, streut er immer wieder Anekdoten und Erinnerungen aus seiner Kindheit ein. Dieser Mann hat einen Krieg überlebt und Deutschland am Boden gesehen. Zusammen mit seiner Generation hat er ein ganzes Land aufgebaut. Seit Kriegsende befand sich Deutschland im Aufbau und im Wachstum. Während er als kleiner Junge an einem Nachmittag fünf Autos zählte, die seine Straße passierten, stehen die Autos heutzutage im endlosen Stau, sobald die Ampel rot wird. Auch ich merke einen Wandel mit meinen 27 Jahren in vielerlei Hinsicht. Doch die Veränderungen, die dieser Mann erlebte, sind für mich nicht vorstellbar. Der Klimawandel verändert alles – selbst hier an der Limburg werden sogar Aprikosen angebaut. »Das brauchen wir nicht« sagte der 82-Jährige entschieden zu Beginn unserer Wanderung. »Wir haben hier doch so viele Obstsorten. Außerdem können sie unbekannte Schädlinge mitbringen.« Zuerst konnte ich seine Aussage nicht verstehen. Doch zum Ende unserer Erkundung spüre ich seinen inneren Konflikt: Nach all den Jahren ist da der Wunsch nach Beständigkeit und Tradition. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit zur Anpassung an die neuen klimatischen Bedingungen. Viele verspüren den Wunsch nach Traditionen. Sie geben Sicherheit in einer Zeit, in der sich die negativen Schlagzeilen täglich übertreffen und ein TikTok-Trend den nächsten jagt. 


In diesem Moment wird mir bewusst: Unsere Erkundungstour in den Limburger Streuobstwiesen ist mehr als nur ein Ausflug in die Natur. Sie ist eine Reise durch Zeit und Raum – eine Auseinandersetzung mit dem Wandel unserer Umwelt angesichts des Klimawandels.



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