Eine Reportage von Max Wiegmann
Die Kanus sind unser Transportmittel, die Natur unsere Küche, und das klare Wasser unsere wichtigste Ressource. Eine Kanutour durch das Rogens Naturreservat in Mittelschweden zeigt, wie zehn Tage Wildnis uns das Wesentliche lehren: wie wenig es zum Glücklichsein braucht – und warum ohne Wasser nichts geht.
Zehn Tage Wildnis
Wir gleiten mit sanften Paddelschlägen durch den engen Schilfkanal, ehe sich am Ende der spiegelglatte Käringsjön vor uns auftut. Eingerahmt von Bergen mit schroffen Steinufern und Wäldern mit Fichten, Kiefern und goldgelben Birken in ihrem Herbstkleid.
Die Spitzen unserer Kanus durchbrechen die ruhige Oberfläche, während wir mit jedem Paddelschlag kleine Strudel durchs klare, cognacfarbige Wasser ziehen. Wir sind in unserem Element – Wasser, das wir später filtern und trinken werden, das voller Fische steckt, das unser Transportmittel für die nächsten zehn Tage sein wird. Hier, im Rogens Naturreservat in Mittelschweden, ist Wasser nicht nur Kulisse. Es ist ein Lebenselixier und ein Element, das uns Demut lehrt.
Ein Labyrinth aus Seen und Wäldern
Unsere Kanutour startet gegen Mittag im Käringsjön, dem letzten See des Seen-Labyrinths mit Anbindung zur Zivilisation. Hier haben wir uns bei einem alten netten Schweden jeder ein grünes Kanu ausgeliehen, das uns in den kommenden zehn Tagen immer weiter ins Innere des rund 500 Quadratkilometer großen Reservates bringen soll. Wir, das sind mein Kumpel Paul und ich. Wir kennen uns schon seit einigen Jahren. Uns verbinden viele Dinge: in der Nähe wohnen, der gleiche Freundeskreis, Abenteuerlust und das schönste Hobby der Welt – Angeln! Das Rogens Naturreservat ist durch seine vielen Seen mit einem wilden Fischbestand an Barschen, Hechten, Äschen, Forellen und Saiblingen ein besonderes Gebiet für Angler und Abenteurer – und damit auch für uns.
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Mit jedem Paddelschlag ins Abenteuer
Kaum sind wir auf dem Wasser, schauen wir uns grinsend bis über beide Ohren gegenseitig an, ohne ein Wort zu sagen. Und doch zu wissen, was der andere gerade denkt. Wir sind glücklich, voller Vorfreude auf die kommenden Tage und machen die ersten Würfe mit unserer Spinnrute. Lange soll es nicht dauern, bis ich den ersten Biss auf meinen Wobbler, einen länglichen Kunstköder, der einen kleinen Fisch auf der Flucht im Wasser imitieren soll, bekomme.
Während ich den Köder langsam einkurbele, zupft es plötzlich in der Schnur, ich setze einen Anhieb und habe den ersten Fisch am Band. Nach einem kurzen, kraftvollen Drill durchbricht das grünlich schwarz gestreifte Schuppenkleid eines großen Barsches die Wasseroberfläche und ich lasse einen kurzen Freudenschrei aus mir. Der erste Fisch der Tour, gleich ein 35cm langer Barsch, den wir uns später am Abend schmecken lassen werden. Denn wir haben nur wenig Nahrung an Bord. In der Vermutung, dass kurz vor dem Kanuverleih sicherlich noch ein Laden kommen wird, haben wir den letzten Einkauf auf unserer Tour nach hinten geschoben – eine Fehleinschätzung. Nun sind wir auch auf das Angeln angewiesen.
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Wasser als Kraftquelle – innen und außen
Der Weg ist das Ziel – nach diesem Motto leben auch Paul und ich auf unserem Trip. Also verharren wir nicht lange in einem See, sondern steuern auf die erste Portage zum nächsten großen See zu, dem Kraksjön. Manche der Seen hier sind durch kleine Kanäle miteinander verbunden. Die meisten allerdings trennt ein Stück Landschaft aus Felsen und Bäumen, zwischen denen sich kleine Wege hindurchschlängeln. So auch dieses Mal.
In weiser Voraussicht auf die nächsten anstrengenden Minuten, befüllen wir unsere Filterflaschen zum ersten Mal mit Seewasser. Das Wasser hier wirkt so rein, dass man es wahrscheinlich ungefiltert trinken könnte – wir filtern es trotzdem. Ich nehme den ersten Schluck. Es ist kalt, still, leicht süßlich, erfrischend. Kurz darauf zerren wir die schweren Kanus aus dem Wasser und gemeinsam über den unwegsamen Untergrund aus wackligen Steinen, Wurzeln und ein wenig Gras. Immer wieder müssen wir Halt machen und durchatmen. So anstrengend ist also eine „Überlandfahrt“ mit Kanus. Wir vermissen die Tragfähigkeit und die gleitenden Eigenschaften des Wassers, durch die wir bisher fast mühelos vorangekommen sind. Doch der nächste See ist schon in Sichtweite.
Ein Festmahl für die erste Nacht
Allmählich setzt die Abenddämmerung ein, und wir müssen uns auf die Suche nach einem geeigneten Platz für die Nacht machen. Schon kurz nachdem wir die Kanus ins Wasser des Kraksjön gesetzt haben, sehen wir ein paar Paddelschläge später eine recht freie Fläche, auf der eine Feuerstelle eingerichtet ist. Eigentlich möchten wir solch angelegte Lagerplätze meiden und uns neue, wilde Stellen suchen.
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Doch dafür bleibt uns vor Anbruch der Dunkelheit kaum mehr Zeit. Also bereiten wir uns auf die Nacht vor, stellen die Zelte auf, richten sie ein und gönnen uns ein kühles Bad im See, ehe wir das Abendessen kochen. Heute auf dem Speiseplan: frisch gefangener Barsch mit Bratkartoffeln, die wir vorher noch mit einem Gaskocher im Seewasser weichkochen und später mit dem Barsch anbraten. Wir genießen die Ruhe. Keine anderen Menschen oder Lärm, nur die leise Country-Musik aus unserer Bluetooth-Box und das Knistern des bratenden Abendessens. Dabei schauen wir uns den orange-roten, sich in der glatten Oberfläche des Sees spiegelnden Sonnenuntergang an. Wir sind glücklich, gelassen und merken einmal wieder mehr, wie wenig es zum Leben braucht. Nur ohne Wasser geht es nicht – Lebenselixier, unser Ruhepol und Grundlage für das Abenteuer, das wir hier erleben.
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Neun Tage voller Wasser und Weite
Noch neun Tage liegen vor uns – voller Seen, voller Wasser, voller Weite. Wir lassen uns treiben, von einem Ort zum nächsten, und merken mit jedem Tag mehr, wie sehr das Wasser uns trägt – körperlich und seelisch. Das Plätschern der Wellen am Kanurand begleitet uns – ein stetiger Rhythmus, der uns tiefer in die Wildnis des Rogens Naturreservates trägt.
Wir paddeln, schlafen an verschiedenen Plätzen und fangen viele weitere große Barsche, später Hechte und sogar zwei Äschen – ein sehr schöner, gräulicher Fisch aus der Familie der Salmoniden, mit einer großen rötlich-gestreiften Rückenflosse. Besonders gefesselt hat uns der Camping-Spot am Ufer des Stor-Sjuten, an dem wir ganze fünf Nächte verbracht haben. Durch die zentrale Lage im See war er der perfekte Start- und Endpunkt für Erkundungstouren in den umliegenden Buchten. Ein Ort, an dem wir uns wohlgefühlt haben, und der hinter unseren Zelten einige erntereife Blaubeersträucher bereitgehalten hat, dessen Früchte jeden Morgen unser Porridge versüßen sollten.
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