Von Simone Danne
Montagmorgen, halb sieben: Der Mensch geht auf die Toilette, duscht und putzt sich die Zähne. Das verbrauchte Wasser läuft in den Abfluss und von da in die Kanalisation. Verborgen fließt es weiter, durch ein kilometerlanges System von Röhren und Höhlen, länger als das Fürther Straßennetz. Eine fremde Welt, die sich nur wenige Meter unter den Füßen der Passanten erstreckt. Wenig bekannt ist auch das Ziel der Reise – die Hauptkläranlage Fürth. Hier wird das Wasser gereinigt und weitergegeben.
Durchschnittlich produziert ein Mensch pro Tag 150 Liter Abwasser — so viel wie eine volle Badewanne. Das 265.000-fache dieser Menge erreicht täglich die Kläranlage – Abwasser von Haushalten und Industrien aus dem Großraum Fürth. Um das Wasser reinigen zu können, braucht es vor allem eins: Technik. Vielfältige Verfahren werden eingesetzt, um den Schadstoffen Herr zu werden. Eine mechanische, eine biologische und eine chemische Stufe gibt es momentan. Neue Technologien machen nun eine vierte Stufe denkbar, die selbst Mikroplastik und Arzneistoffe aus dem Wasser holen kann. Das Klärwerk der Zukunft soll sogar eigene Energie produzieren und Abfallstoffe nutzen, um Düngemittel zu produzieren.
„Vorsicht, hier kann es gleich etwas stinken“, warnt Abwassermeister Alexander Bansemer. Er steht vor dem Rechenwerk, der ersten Station für das Abwasser. Aus drei Kanälen kommt es an, trüb und voller Verunreinigungen wie Fäkalien und Toilettenpapier. Im Rechenwerk rauscht es durch zwei Gitter, größere Teile bleiben hängen. Eine schwere Harke hebt und senkt sich in einem langsamen Takt und räumt die Abfälle beiseite. In der Halle nebenan wird die Fließgeschwindigkeit des Wassers stark verlangsamt. Glas, Sand und kleine Steine können sich so am Boden absetzen.
Sauerstoff für die Bakterien
Gleichzeitig erzeugt eingeblasene Luft eine Strömung, die Öl und Fett an der Oberfläche aufschwimmen lässt. Sie müssen dringend aus dem Abwasser, weil sie Leitungen verstopfen und Ratten anziehen. Der Sand wird herausgefiltert, weil er zu Maschinenverschleiß führt. Dass so viel Fett in die Kanalisation gelangt, stört Bansemer. „Es liegt vor allem an Essensresten. Die sollte man eigentlich nicht in die Toilette kippen.“ Stattdessen gehören sie in die Biotonne oder den Restmüll. Vor der biologischen Stufe wird das Abwasser noch einmal verlangsamt.
Bei einer Geschwindigkeit von nur einem Meter pro Minute setzt sich der Schlamm ab, der für den Sandfang zu leicht war. Ein Laufgitter aus Metall führt über langgezogenen Betonwannen. In einigen von ihnen schäumt und brodelt das Wasser. In den sogenannten Belebungsbecken erfolgt dann die biologische Reinigung des Abwassers. Unzählige Mikroorganismen ernähren sich von den Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorverbindungen, die im Wasser gelöst sind. Einige von ihnen wirken giftig, andere sind Nährstoffe, die zu einem starken Algenwachstum führen. „Damit die aeroben Bakterien richtig arbeiten können, brauchen sie Sauerstoff“, erklärt Bansemer. „Dafür pumpen wir Luft in die Becken.“
Alles können die Bakterien aber nicht abbauen. Vor allem mit dem Mineralstoff Phosphor haben sie Probleme. Deswegen werden in der chemischen Stufe sogenannte Fällmittel eingeleitet. Das sind Metallsalze, die den restlichen Phosphor im Schlamm binden. Im Nachklärbecken setzt er sich ab. Das Wasser ist nun klar. Ob auch die Wasserqualität stimmt? Bansemer weiß es. Denn Sonden erfassen automatisch die Werte – vor dem Ablauf in die Regnitz, beim Eintritt in die Kläranlage und nach der ersten Stufe. „So können wir die Reinigungsleistung überprüfen und reagieren, wenn ein Parameter mal nicht stimmt.“ Rund einen Tag haben sie dafür Zeit. So lange braucht das Abwasser, um die Kläranlage zu durchlaufen.
Giganten aus Beton und Stahl
Das geklärte Wasser fließt in die Regnitz. Um den ausgefilterten Schmutz muss sich die Anlage kümmern. Fett und Schlamm schlagen dabei einen besonderen Weg ein. Sie wandern in zwei Faultürme, eiförmige Riesen aus Beton und Stahl. Zusammen fassen sie dreizehntausend Kubikmeter faulenden Schlamm, fünf Mal so viel, wie in ein olympisches Schwimmbecken passt. In den Faultürmen bleibt der Schlamm zwei bis drei Wochen lang, während Bakterien seine organischen Bestandteile zerlegen und dabei Methan und Kohlenstoffdioxid produzieren.
Eine willkommene Energiequelle für das Klärwerk, denn das Klärgas sorgt für Strom. Seit zwanzig Jahren gibt es auf der Anlage ein Blockheizkraftwerk, das das Gas in Wärme und Strom umwandelt. So können die Gebäude beheizt und Pumpen und Maschinen betrieben werden. Ungefähr sechzig Prozent seines Bedarfs an Strom erzeugt das Klärwerk selbst. Waldemar Simon, technischer Betriebsleiter des Klärwerks, möchte diesen Anteil weiter steigern. Schon 2010 war der Bau einer Photovoltaikanlage im Gespräch, diesen Herbst sollen die Planungen abgeschlossen werden. „Letztlich ist es unser Ziel, eigenständig zu werden und gar keinen Strom mehr von außen zu beziehen.“ Effizientere Motoren und Generatoren sollen das ermöglichen. „Das Thema Energieeffizienz hat einen sehr hohen Stellenwert“, bekräftigt Franz Knoll, technischer Leiter des Nürnberger Klärwerk 1.
Sowohl die Fürther als auch die Nürnberger Anlage sind Teil der Arbeitsgemeinschaft Gewässerschutz obere Regnitz, die sich momentan mit einer neuen Technologie zur Klärschlammverwertung beschäftigt. Das sogenannte Mephrec-Verfahren soll eine zweifache Nutzung ermöglichen: Neben Energie soll aus dem Schlamm auch Dünger entstehen. Lange Zeit war es üblich, den ausgefaulten Schlamm mit seinem hohen Nährstoffgehalt auf den Feldern auszubringen. Heute gibt es Vorschriften, die die Eigenschaften von Düngeschlamm genau festlegen. Oftmals ist der Schwermetallgehalt zu groß und der Schlamm wandert in die Verbrennungsanlage. Die neue Bundesregierung will die landwirtschaftliche Nutzung ganz verbieten.
Schwindende Rohstoffe
Eine Rückgewinnung des Phosphors aus dem Klärschlamm würde sich lohnen. Das Mineral ist einer der wichtigsten Düngergrundstoffe, die abbaubaren Vorkommen schwinden. „Zwischen fünf und acht Prozent Phosphor stecken im Schlamm“, sagt Knoll. Die Arbeitsgemeinschaft will in Nürnberg eine Demonstrationsanlage bauen, um das Mephrec-Verfahren in der Praxis zu erproben. Vereinfacht kann man sich die Anlage als einen Hochofen vorstellen, ähnlich wie sie bei der Roheisenerzeugung gebraucht werden.
Bei einer Temperatur von zweitausend Grad schmilzt der getrocknete und gepresste Klärschlamm. Dabei können für den menschlichen Körper schädliche Schwermetalle in der Schmelze abgeschieden werden. Die organischen Schadstoffe verbrennen. Übrig bleiben Phosphorgranulat und Rauchgas. Das kann gereinigt und in den Blockheizkraftwerken verstromt werden, um einen Teil der Verbrennungsenergie zurückzuerlangen. „Neunzig Prozent des Phosphors lassen sich so wiedergewinnen, ungefähr dreimal so viel wie bei derzeitigen Verfahren“, erklärt Knoll.
Außerdem müssten die Klärwerke nicht mehr für die Entsorgung des Schlammes zahlen, sondern hätten Einnahmen durch den Phosphorverkauf. Noch ist das aber Zukunftsmusik: „Phosphorrückgewinnung ist ein schwieriges Thema.“ Die Ergebnisse aus dem Labor müssen erst noch umgesetzt werden. Momentan läuft der Fördermittelantrag beim Staat.
Aufwendige Reinigung
Im Abwasser steckt auch eine ganze Apotheke an Medikamenten, denn der Mensch scheidet einen Großteil der eingenommenen Wirkstoffe wieder aus. Doch die Kläranlagen sind nicht darauf ausgelegt, kleine Partikel wie Arzneistoffe, Pestizide oder Mikroplastik auszufiltern. Ihre Konzentration im Abwasser ist gering, aber sie sammeln sich an – teilweise schon im Grundwasser. Umweltschützer sind besorgt. „Unsere Kläranlage reinigt das Wasser momentan zu 98 Prozent“, schätzt Bansemer. „Für die Zukunft hoffe ich auf 100 Prozent.“
Eine zusätzliche Reinigungsstufe mit Mikrofiltern könnte das zumindest annähernd ermöglichen. Dabei würde das Wasser durch winzige Poren fließen, die selbst Bakterien stoppen. Der Nachteil: Die Technik ist sehr teuer, nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Betrieb. Die Filter müssen aufwendig gereinigt und immer wieder ausgetauscht werden. Noch fehlen zudem Grenzwerte vom Staat. „Eine so teure Anlage aufzustellen, das wäre ein Schuss ins Blaue“, so Simon. Erst muss klar sein, was die Filter können müssen. Knoll ist jedoch überzeugt, dass noch vor 2020 staatliche Auflagen kommen.
Bis dahin will die Kläranlage noch einige andere Projekte umsetzen. Steigende Einwohnerzahlen und strengere gesetzliche Vorschriften zum Reinigungsgrad machen mehrere Neubauten nötig. Drei Nachklärbecken warten momentan auf ihre Fertigstellung. Sie sollen feine Schwebstoffe besser aus dem Wasser holen. Im Herbst 2014 beginnen die Arbeiten an einer neuen mechanischen Stufe. Vier bis fünf Jahre soll die Fertigstellung dauern. Zudem soll ein neues Betriebsgebäude her, das den aktuellen Arbeitsschutz-Standards entspricht. „Wir sind eben eine Dauerbaustelle“, meint Bansemer.