Von Torsten Schäfer
Wie kann man eine Online-Serie zur Überfischung in Europa konzipieren, die multimedial sein soll und thematisch so angelegt ist, dass sie den Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht. Und damit einen Versuch darstellt, ein journalistisches Produkt wissenschaftlichen Normen anzunähern? Diese Frage leitete die Autoren bei der Planung der Serie, die 2013 auf GEO.de lief.
Die erste Frage war die, ob es nicht einen Plattformtext gibt, von dem aus sich der Leser crossmedial nach Lust und Laune vorarbeitet, also sich das Video seiner Wahl anschaut oder die Bildstrecke entlang geht, die er möchte.
Ergebnis der Besprechungen zwischen Autor Torsten Schäfer, Filmer Ben Tepfer und der GEO.de-Redaktion: Ein gesamtes crossmediales Produkt, das heißt eine Textbasis mit mehrmedialen Pfaden, hätte sicher seinen Reiz, böte aber auch klar Grenzen für die Menge der Information. Und damit für die Aufmerksamkeit, die schlichtweg bei einer längeren Serie größer wird, weil die Redaktion mehr anbieten kann.
So fiel die Entscheidung für eine siebenteilige Serie, die im Kern textbasiert ist und von Blogs, Bildstrecken und Videos flankiert wird. Es gab noch Spielraum für mehr Bildstrecken, aber da stellte sich die Frage, wie ähnlich sich dann die Inhalte in verschiedenen Medienangeboten sind, die alle während einer Reportagefahrt entstanden – eine grundlegende Frage für die crossmediale Produktion: Wo verlaufen die Grenzen bei der Verbindung eines Themas in mehreren Produkten (Artikel, Video, Audio, Blog) und dem Wiederholen des bereits gesagten oder gezeigten?
Eine kleine Produktgeschichte
Die Frage stellte sich vor allem für die Ausspielungen der Reportage-Recherchen auf einem dänischen Fischkutter. Letztlich wählten wir eine Fotostrecke, einen längeren Film und den Reportage-Text aus. Es funktioniert, auch wenn teils die gleichen Informationen vermittelt werden. Dennoch gibt es einen Informations-Mehrwert in jedem einzelnen Produkt:
– Die Fotostrecke etwa zeigt, wie auch vorher angedacht, eine kleine „Produktgeschichte“: die Fischerei vom Einholen der Netze bis zum Abtransport des küchenfertigen Fisches im Lastwagen.
– Der Film geht zwar teilweise auch diesem Muster nach, durchbricht es aber immer wieder, gerade zum Schluss, wenn es um die Anbindung an die große Politik in Brüssel geht – die inhaltlich sein musste.
– Auch, um die Anbindung an das zweite große Kriterium zu gewährleisten: die mehrdimensionale Darstellung im Sinne der Nachhaltigkeit, die natürlich ganz verschieden diskutiert wird, etwa auch journalistisch-konzeptionell an der Universität Lüneburg.
Zweifach mehrdimensional
Mehrdimensionalität, die Verknüpfung ökologischer Perspektiven mit sozialen, wirtschaftlichen und auch kulturellen Sichtweisen, ist vorerst die handhabbarste theoretische Nachhaltigkeits-Forderung an den praktischen Journalismus.
Sie bedeutet erstens den journalistischen Versuch, in einem Beitrag, etwa in dieser Filmreportage, verschiedene Sichtweisen – hier die des Fischers, der Wissenschaft, der Verbrauchers und der Politik – abzubilden und mitunter auch noch direkt auf Nachhaltigkeit zu sprechen zu kommen. Zweitens kann es heißen – und das war der Versuch für das ganze Projekt, eine Serie einmal so zu planen –, dass sich einzelne Beiträge gezielt einzelnen Dimensionen eines Oberthemas widmen und so insgesamt eine „360-Grad“-Perspektive auf es entsteht. Hier sind dies:
- die politische Dimension mit dem ersten Beitrag über die EU-Reform
- die technische und soziale Dimension mit der Reportage über den Fischer und die Netze
- die ökologische und damit wissenschaftliche Dimension durch das Interview mit einem Fischereiwissenschaftler
- die ökonomische Frage verbunden mit starken Verbraucher-Sichtweisen (Analyse der Siegel und Kommentar mit Anleitungen zum Fischkauf)
- erneut die wirtschaftliche und auch soziale Perspektive mit Blick auf die Fischzucht und die Situation der deutschen Fischer
- die globale soziale Perspektive mit Blick auf „Fischereiflüchtlinge“ aus Afrika
- individuelle Perspektiven durch Blogs, in denen es z.B. um eigene Erfahrungen beim Fischkauf geht
Vom Thema zur Geschichte
Vielleicht kann dieser Versuch, eine journalistische Produktion anhand des Konzeptes der Nachhaltigkeit zu entwickeln, Anstoß für weitere Serien und Projekte sein. Klar ist, dass Nachhaltigkeit, die man freilich nicht immer so benennen muss sondern journalistisch anhand ihrer Einzelthemen erzählt, die story of the century ist, wie der New York Times-Reporter Andrew Revkin sagt. Und Unmengen an Büchern und Studien und immer wieder klar machen.
Doch noch ist das Thema nur potenziell eine Geschichte; zu sperrig und linear ist oft seine Darstellung. Wie sie womöglich besser gelingen kann ist die spannende Frage. Das Publikum denkt über Nachhaltigkeit ganz unterschiedlich, wie ein Test auf GEO.de zeigt.
Wenn wir die Assoziationen der User und Leser kennen, lernen wir womöglich Denkweisen kennen. Und darüber vielleicht Wege, das Thema neu anzudenken und dann auch im übernächsten Schritt anders zu erzählen. Vorbilder gibt es dafür genug, sei es die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson, der die Ludwig-Maximilians-Unversität München ein eigenes Forschungszentrum gewidmet hat, der US-Publizist Jeremy Rifkin oder der deutsche Autor Stefan Klein, der die Dimensionen der Zeit, ein Faktor nachhaltigen Lebens, aufgearbeitet hat.
Dieser Artikel erschien bereits auf onlinejournalismus.de