Frau Deffner, Sie sind Leiterin des Forschungsschwerpunkts für Mobilität und urbane Räume am Institut für sozial-ökologische Forschung. Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff „Mobilität“?
Für mich als Mobilitätsforscherin bedeutet der Begriff in erster Linie, unser Potenzial beweglich zu sein, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, wie zum Beispiel uns zu versorgen und andere Menschen zu treffen. Die Handlungen im Raum bezeichnet man dann als Verkehr. Aber ich persönlich verbinde mit Mobilität natürlich auch Unabhängigkeit und Flexibilität.
Das ISOE forscht daran, wie nachhaltiger Verkehr aussehen kann. Und Sie haben bereits einige Forschungsprojekte dazu abgeschlossen. Können Sie uns ein Beispiel geben?
Wir haben vor zwei Jahren die Studie „Share“ abgeschlossen, bei der wir über einen langen Zeitraum die Wirkungen von flexiblem Carsharing untersucht haben. Diese flexiblen Carsharingsysteme beschreiben Autos, die – im Gegensatz zu stationsgebundenen Angeboten – in einem Gebiet in einer Großstadt stehen. Und dort auch wieder zurückgegeben werden können. Dabei kam heraus, dass dieses Angebot einerseits einen großen Komfortgewinn für die Nutzer*innen mit sich bringt, man aber andererseits vor allem die Umwelt- und Verkehrswirkung nicht außer Acht lassen darf. Durch das wie die Leute das Angebot nutzen, können mehr Fahrten entstehen und die Nutzer*innen fahren weniger mit dem Rad oder gehen zu Fuß. Wenn diese Autos mit normalem Verbrennungsmotor fahren, dann ist der Umwelteffekt durch diese Nutzung negativ. Wir kamen daraufhin zu dem Schluss, dass dort, wo flexibles Carsharing angeboten wird, die Rahmenbedingungen gestaltet werden müssen. Das heißt: Wie groß ist das Gebiet, und wo macht es besonders Sinn, die Fahrzeuge stehen zu haben? Welche weiteren Angebote gibt es?
Bleiben wir beim Auto. Die Abgase machen rund ein Fünftel der gesamten Kohlenstoffdioxid-Emissionen in Deutschland aus. Damit liegt der Verkehr auf Platz drei der CO2-Spitzenreiter. Als wie umweltschädlich schätzen Sie unseren Verkehr ein?
Gerade in der aktuellen Debatte ist es mir sehr wichtig, zu betonen, dass CO2 nur eine von vielen Emissionen und nachteiligen Wirkungen des motorisierten Verkehrs ist. Das Thema Klimaschutz ist extrem wichtig und dringlich, aber beim Verkehr geht es nicht nur um CO2, sondern auch um Emissionen, wie Stickstoffoxid, Feinstau oder natürlich Lärm. Und wir müssen auch andere Umweltwirkungen des Verkehrs beachten. Denn der Verkehr nimmt zum Beispiel ein Drittel der Siedlungsfläche in Deutschland in Anspruch.
Brauchen wir jetzt eine umfassende Mobilitätswende?
Der Begriff „Mobilitätswende“ – oder „Verkehrswende“ ist inzwischen fest etabliert, und ich gehöre zu den Wissenschaftlern, die sagen: Ja, wir brauchen sowas! Da geht es natürlich darum, dass der Verkehr dekarbonisiert wird, also nicht mehr mit fossilen Brennstoffen als Energieträger laufen soll. Aber damit das überhaupt möglich ist, sind eine Reihe von Veränderungen notwendig, die mit CO2 überhaupt nichts zu tun haben. Denn sie bedeuten eine Veränderung der Mobilitätskultur. Man sagt: Das eine ist die Technologie und die Energieträger, aber das andere ist auch die Frage „Wie sind wir mobil und welche Vorstellungen haben wir von Mobilität?“ Da geht es nicht nur um die Umwelt, sondern auch darum, die sozialen und ökologischen Wirkungen unseres jetzigen Verkehrssystem zu transformieren.
Wie sieht für Sie ein wirklich nachhaltiges Mobilitätskonzept aus?
Das eine nachhaltige Mobilitätskonzept gibt es leider nicht. Aber wir stellen immer wieder fest, dass es unterschiedliche Wege und Ausprägungen dorthin gibt. In Deutschland oder Mitteleuropa, würde ich sagen, dass der Kern eines nachhaltigen Mobilitätskonzept ein multimodaler Mix ist. Das bedeutet, dass ich die verschiedenen Verkehrsmittel einfach und flexibel kombinieren kann. Ich entscheide also: Heute fahre ich mit dem Rad ins Büro und die Dienstreise bewältige ich natürlich mit der Fernbahn und nicht mit dem Flugzeug. Denn dann habe ich am Ankunftsort wieder sehr einfache Übergänge zum ÖPNV. Alle Bewohner*innen sollen eine Wahlfreiheit haben, wie sie sich fortbewegen. Da spielt Sicherheit eine große Rolle, aber auch Komfort und dass Mobilität Spaß machen muss.
Wie können wir die Digitalisierung nutzen, um den Verkehr in Zukunft nachhaltiger zu gestalten?
Um den multimodalen Mix hinzubekommen, ist die Digitalisierung ein wichtiges Element, das sinnvoll einzusetzen ist. Es müssen große Datenmengen verarbeitet werden, sodass ich verlässliche Informationen über Kosten oder Abfahrtszeiten habe. Es gibt schon einige Bausteine, wie die klassische Echtzeit-Navigation, oder Apps im ÖPNV die funktionieren. Andere hingegen funktionieren noch nicht so gut, weil Fragen um die Datenqualität oder das Eigentum an den Daten noch nicht gelöst sind. Das Thema Autonavigation ist zum Beispiel schon sehr verbreitet, aber im Moment sind diese Routing-Systeme vor allem dazu da, dass man die scheinbar schnellste Strecke fährt. Man könnte sich aber doch auch vorstellen, dass man anstatt der schnellsten, die energieeffizienteste oder nachts die leiseste Strecke durch den Ort raussuchen kann? Zum Beispiel eine Strecke, bei der man langsam aber stetig fährt oder das Navi vorschlägt: „Die Strecke ist zu kurz für eine Autofahrt, nimm das Rad.“
Welchen Klimaeffekt bringt die Digitalisierung mit sich?
Das ist eine riesige Frage, auf die es noch keine Antwort gibt. Es hängt extrem davon, wie klug wir Digitalisierung nutzen, damit sie überhaupt einen positiven Nachhaltigkeitseffekt hat. Derzeit ist zu befürchten, dass durch die digitalen Innovationen wie Automatisierung, Plattformökonomien oder Sharing Economy eher nachteilige Effekte in Bezug auf den Energieverbrauch und den Verkehrsaufwand entstehen. Es braucht meiner Ansicht nach eine hohe Regulierungskompetenz des Staates und kluge Anreize für Anbieter und Nutzer*innen, damit negative Effekte erst gar nicht so stark werden können.
Das eigene Auto ist für viele Deutsche ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. So langsam aber verliert es durch überfüllte Straßen, Parkplatzmangel und Luftverschmutzung seine einstige Funktion, nämlich angenehm von A nach B zu kommen. Wird es das Auto demnach in Zukunft schwer haben, oder wird es sich digital noch weiterentwickeln?
Wir forschen immer wieder an der symbolischen Bedeutung des Autos. Und ja, das Auto verliert vor allem bei jüngeren Menschen bis Anfang 30 in den Städten an symbolischen Gehalt. Zudem ist es aber auch rein von den Optionen in den Städten, die uns heute zur Verfügung stehen, nicht unbedingt notwendig. Diesen Trend versucht man, über die vorhin angesprochenen Mobilitätskonzepte aufzugreifen. Menschen, die kein eigenes Auto haben, sondern Carsharing nutzen, fahren insgesamt sehr viel weniger Auto. Außerdem gibt es derzeit die technologischen Entwicklungen bis hin zum autonomen Fahren. Autonome Taxis oder Shuttles sind andere Fahrzeuge, die für ihren Zweck sehr angepasst sind. Aber auch da muss man sehr genau untersuchen, welche Mobilitätsbedürfnisse damit erfüllt werden können und welche nicht. Ich glaube, vom rein autonomen Verkehr sind wir noch recht weit entfernt. Natürlich wird es in Zukunft noch Autos und Fahrzeuge geben. Die Frage ist eher, wie viele und wofür sie genutzt werden.
Wie sind Sie selbst im Alltag unterwegs?
Ich fahre täglich mit dem Fahrrad. Für weitere Strecken nutze ich die öffentlichen Verkehrsmittel und gelegentlich greife ich auch auf Carsharing zurück.
Wie ist Ihre persönliche Vision von der Mobilität der Zukunft?
Meine Vision wäre natürlich, dass es bestimmte technische und digitale Neuerungen gibt, die ein leicht nutzbares multimodales System ermöglichen. Andererseits schwebt mir aber auch sogar ein Low-Tech Szenario vor. Wir sollten uns nicht nur zur Bewältigung von Umweltproblemen, sondern auch zur Bewältigung von gesellschaftlichen Problemen, wie Gesundheit oder Wohlbefinden, öfter fragen: Wo brauchen wir keine Technik, um uns fortzubewegen?