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Wie das Skifahren im Odenwald verschwindet

Die Kunkel’s Klause mit dem Bügellift. Links daneben befindet sich die Skipiste.

„Wenn ich wissen will, wie das Wetter ist, dann mache ich morgens den Rollladen hoch und gucke raus“, sagt Georg Kunkel und lacht. Heute bräuchte er nicht mal rausschauen, denn das Wetter ist sogar hörbar. Ein strammer Wind pfeift über die schneebedeckte Wiese am Ortsrand von Birkenau-Schnorrenbach. Dazu schneit es heftig. Das Schneegestöber geht schon den ganzen Tag. Während viele Menschen über solch ein ungemütliches Wetter stöhnen, ist Kunkel erfreut, denn genau darauf hat er gewartet: auf Schnee. Im Winter wird nämlich aus der Wiese eine Skipiste. Seine Skipiste.
 
Denn Georg Kunkel, 43 Jahre alt, ist Liftbetreiber. Er ist ein großer Typ, etwa 1,90 Meter und hat kurze braune Haare. Kunkel trägt eine schwarze dickere Jacke und eine Jeans. An seinen leicht abstehenden Ohren hängt jeweils ein kleiner Ohrring. Seine Brille läuft jedes Mal an, wenn er aus der Kälte in die warme Hütte kommt. Auf Mütze und Handschuhe verzichtet Kunkel, womit er eher wie ein Odenwald-Urlauber wirkt, der vom Schnee überrascht wurde. Doch Kunkel ist das komplette Gegenteil. Er ist ein echter Einheimischer, sofort erkennbar an seinem Odenwälder Dialekt.
 
Er kommt aus Birkenau-Löhrbach, dem Nachbardorf. Den Skilift hat Georg Kunkel von seinen Eltern übernommen, die ihn Anfang der 1970er Jahren errichteten, um ihren Pensionsgästen mehr zu bieten, als die reine Winterlandschaft. Der Lift besteht also seit mehr als 45 Jahren. Doch wie lange er noch laufen wird, ist angesichts des Klimawandels ungewiss.
 
Schon „in den vergangenen Jahren haben wegen mangelnder Rentabilität und auch den Anforderungen des TÜVs immer mehr Lifte geschlossen“, schreibt die Odenwald Tourismus GmbH auf Nachfrage. Übrig geblieben sind nur noch Kunkels Lift in Schnorrenbach und die Piste in der neuen hessischen Gemeinde Oberzent, vormals Beerfelden. Oberzent liegt etwa 20 Kilometer weiter östlich, im Herzen des Odenwalds. Glaubt man den aktuellen Klimaprognosen, dann werden sich auch die Lifte in Schnorrenbach und Beerfelden nicht mehr lange halten können. Die Perspektive für Wintersport im Odenwald ist düster.

Große Probleme auch in Bayern

Sollten die schlimmsten Vorhersagen eintreffen, die eine globale Klimaerwärmung von vier Grad bis 2100 errechnen, dann wird es selbst in Bayern nach einer Berechnung des Deutschen Alpenvereins ohne Kunstschnee nur noch ein schneesicheres Skigebiet geben: das Zugspitz-Skigebiet auf 2.000 bis 2.720 Metern. Eine Ausarbeitung des hessischen Umweltamts errechnete eine Erwärmung der hessischen Winter um bis zu 4,5 Grad. Auch dem Laien wird schnell klar, was das für den Odenwald mit einer Höhenlage zwischen 400 und 600 Metern bedeutet.
 
Der Schnorrenbacher Lift liegt knapp 400 Meter über dem Meeresspiegel. Er ist 271 Meter lang und hat zwei Ausstiege, einen für Anfänger und ein paar Meter weiter oben einen für geübtere Skifahrer. An der Talstation befindet sich ein Holzhäuschen mit Liftkasse und einer kleinen Gastronomie, in der Bratwurst und Glühwein verkauft werden. „Kunkel’s Klause“ heißt das Häuschen, benannt nach Georgs Eltern Georg Senior und Rita Kunkel. Jetzt, Anfang Dezember 2017, ist die Klause komplett eingeschneit. Und der Odenwald ein Winterparadies.

Georg Kunkel hinter dem Tresen, von dem aus er Liftkarten, Essen und Getränke verkauft.

Bessere Winter bis 2021?

Aber nicht hier liegt gerade Schnee. In fast ganz Deutschland schneit es. So ein flächendeckender Schneefall bis ins Flachland ist für die ersten Dezember-Tage ungewöhnlich, auch für Schnorrenbach. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir so früh im Dezember schon Schnee hatten“, sagt Kunkel: „Das muss schon ein paar Jahre her sein.“ Einige Tage zuvor erfuhr er aus einem Bericht, dass die Winter bis 2021 wieder besser werden sollen. Dieser schneereiche Dezember-Start sei ja der beste Beweis dafür, betont der Liftbetreiber.
 
Bessere Winter bis 2021 – stünde das nicht im Gegensatz zur vielfach prophezeiten Klimaerwärmung? Nicht direkt, schließlich vollzieht sich der Klimawandel über einen sehr langen Zeitraum. Das schließt nicht aus, dass es auch kühle und schneereiche Wetterphasen geben kann. Natürlich wird es in Zukunft noch schneien. Aber die Wahrscheinlichkeit für Schnee wird insgesamt abnehmen.
 
Trotzdem stehen die Prognosen für schneereiche Winter in den kommenden Jahren gut. Der Grund dafür liegt laut der internationalen Wetter-Webseite weather.com in zwei unterschiedlichen Klimaszenarien, die in naher Zukunft zusammentreffen: am Sonnenflecken-Zyklus und an der Windverteilung in der Stratosphäre. Beim Sonnenflecken-Zyklus wechselt die Anzahl der Flecken auf der Sonnenoberfläche etwa alle elf Jahre. Bei einer fleckenlosen Oberfläche sinkt die Sonnenaktivität und weniger Sonnenenergie erreicht die Erde. Es wird kühler. Kurz nach einem solchen Minimum gab es meist schneereiche Winter, wie zum Beispiel 2010/2011. Das nächste Fleckenminimum wird für 2021 erwartet.
 
Die Windverteilung in der Stratosphäre wechselt alle zwei Jahre. Bei Ostwind sind die Polarwirbel schwach und die Wahrscheinlichkeit von Kaltluft in Mitteleuropa steigt besonders im Spätwinter. Bei Westwind sind die Polarwirbel stärker und lassen weniger Kaltluft entweichen. Momentan dreht der Wind wieder auf Ostwind. Nimmt man diese beiden Faktoren zusammen, steigt die Wahrscheinlichkeit für schneereiche Winter in Mitteleuropa. Es sind zwei wichtige Indizien, die für mehr Schnee in den nächsten Wintern sprechen. Ob der Schnee dann auch wirklich kommt und dann auch im Odenwald fällt, weiß aber niemand.

Außerdem unterliegt das Wetter schon immer Schwankungen. „Schon in den 1960er gab es im Odenwald schneearme Winter“, merkt Bernd Gerner an. Früher musste auch er sich nach den Launen des Wetters richten. Von Anfang der 1990er bis ins neue Jahrtausend hinein, war er für die Langlauf-Loipe am Kottenberg in Siedelsbrunn mitverantwortlich. Er fuhr mit einer kleinen Pistenwalze durch den Wald und präparierte sie.
 
Doch weil die Winter im Odenwald zu unregelmäßig und nicht schneesicher seien, lohne sich die Arbeit nicht mehr. Das liege nicht nur an der warmen Bergstraße, sondern auch am Klimawandel. „Er trägt sicherlich seinen Teil dazu bei.“ sagt der 59-jährige Gerner: „Es wird dadurch jedenfalls nicht besser,“ Heute betreibt ein Siedelsbrunner Hotelier die Loipe. Gerner sieht die Zukunft kritisch: „Ich bin skeptisch, dass in 30 Jahren noch Wintersport im Odenwald möglich ist. Mit der niedrigen Lage wird das sehr schwierig.“

„Ich hatte die Piste schon fertig“

Auch Georg Kunkel ist sich noch nicht sicher, wie sich der Klimawandel auf seine kleine Piste auswirken wird. Er ist kein Freund von Prognosen, dazu seien sie schlicht zu unzuverlässig: „Vergangenes Jahr hatten wir Schnee. Ich hatte die Piste schon fertig, es hätte gereicht zum Aufmachen. Und dann hieß es: „Es soll schneien!““, erzählt er. Doch dann regnete es bei ihm, während es 300 Meter weiter oben geschneit habe: „Das kann passieren. Wir waren halt die 300 Meter zu tief. Aber deswegen verlasse ich mich darauf nicht, was irgendwelche Wetterberichte vorhersagen.“ Er lebe lieber von Tag zu Tag.
 
Ein Klima-Skeptiker ist er aber nicht: „Ich bin beim Klimawandel zweigeteilt. Er ist auf jeden Fall da: Die Wetterextreme werden im Sommer immer schlimmer. Wenn man sich im Sommer die Hitze und dann die kühlen Tage anschaut. Oder die Regenmengen. Es ist auf jeden Fall etwas da! Aber wie es sich auswirkt?“ Eine Veränderung zu den Zeiten, als seine Eltern noch den Lift führten, sei definitiv erkennbar: „Ich kann mich noch erinnern, als kleiner Bub, da war hier so viel Schnee, da haben sie den Skilift ausgraben müssen. Und da wo das Fensterbrett außen ist, da sind die Leute mit den Ski vorbeigefahren.“ Das entspricht einem Meter Schnee. Davon kann man heute im Odenwald nur noch träumen.
 
Dennoch reichte der Schnee in den vergangenen Jahren für den Betrieb: „In den vergangenen zehn Jahren ist der Lift im Winter eigentlich jedes Jahr gelaufen. Es kann sein, dass es mal nur ein bis drei Tage waren. Mal eine Woche, mal zwei Wochen.“ Die längste Saison habe drei Wochen gedauert, Unterbrechungen eingerechnet.

Ohne ehrenamtliche Hilfe geht nichts

Aber selbst bei drei Wochen Skibetrieb erzielt der Lift keinen hohen Gewinn. Denn die Instandhaltungskosten gehen ins Geld. Alle zehn Jahre muss das Schleppseil ausgetauscht werden, unabhängig davon, ob es noch intakt ist oder nicht. Das schreibt der TÜV vor. Ein Seil kostet 7000 bis 8000 Euro. Hinzu kommen unter anderem die Betriebskosten für das Quad-Fahrzeug, das Kunkel zur Pistenpräparierung nutzt. Von den Arbeitsstunden vor, während und nach der Saison ganz zu schweigen. Wenn der Lift am Wochenende oder unter der Woche abends läuft, kennt Kunkel das Wort Freizeit nicht. Denn genug zu tun gibt es immer. Und ohne die ehrenamtliche Unterstützung von Familie und Freunden wäre es erst recht nicht zu schaffen.

Warum also betreibt er Jahr für Jahr diesen Aufwand? Es ist die Freude am Skifahren und an der Bewegung. Ebenso wie die Gemeinschaft: „Lass die anderen doch ins Fitnessstudio gehen, wir gehen ein bisschen Skifahren, trinken drei warme Getränke und haben unseren Spaß.“ Und es seien die Kinder, die hier mit Freude Ski fahren: „Jedes Kind, das hier lächelnd vorbeifährt, macht mir Spaß.“

Grasski statt Kunstschnee

Doch die Schneemengen und die Skitage werden weniger. Die großen Skigebiete in den Alpen oder im nordhessischen Willingen behelfen sich mit haufenweise Kunstschnee. Kunkel lehnt das ab: „Kunstschnee brauchen wir nicht. Der alte Besitzer in Beerfelden hat Kunstschnee gemacht und ist daran kaputtgegangen.“ In Siedelsbrunn hätten die Pisten-Betreiber in den 1980er Jahren mit Kunstschnee einmal über Nacht das Wasserreservoir leergezogen, so dass die Bewohner morgens kein Wasser mehr hatten. „Also kommt Kunstschnee für mich nicht in Frage. Wenn es geht, dann fahren wir und wenn nicht, dann nicht.“ Stattdessen setzt er, wie viele andere Gebiete auch, auf den Sommerbetrieb. Während in Beerfelden der Lift in der warmen Jahreszeit von Mountainbikern genutzt wird, kann in Schnorrenbach schon seit vielen Jahren auch im Sommer Ski gefahren werden. Nicht mit klassischen Alpinski, sondern mit Grasski.

Ein Grasski sieht aus wie eine Panzerkette. Wer im Sommer in Schnorrenbach Grasskifahren will, muss keine selbst mitbringen. Georg Kunkel hat einen eigenen kleinen Verleih.

 
Bei Grasski hat der Fahrer unter der Bindung keine glatte Unterfläche, sondern eine Rolle. Diese Rolle sieht aus wie eine Panzerkette. Mit dem Grasski-Angebot hat der Schnorrenbacher Lift ein Alleinstellungsmerkmal im Odenwald, doch bleibt es eine Randsportart. „Es könnte besser angenommen werden“, sagt Kunkel: „Aber das liegt auch an den Medien: Grasski ist nicht populär.“
 
Dabei sieht er darin die perfekte Ergänzung zum Schneeskifahren: „Ich kann es nur empfehlen. Gerade wenn ich auf den Winter hin was machen will. Grasskifahren ist wie quasi wie Carven. Das ist ein gutes Training.“ Die einzige Schwierigkeit ist das Bremsen, denn das geht nur durch Bergauffahren. Ein lockeres Abschwingen wie im Winter ist nicht möglich.

Zwei Skilifte mussten schon schließen

Auf der Neunkircher Höhe konnte man zwar im Sommer kein Grasski fahren, dafür aber im Winter oft und lange Ski. Der Schlepplift liegt zirka 25 Kilometer südlich von Darmstadt und war im Odenwald bekannt und lange Zeit gut besucht. „An guten Tagen sind hier über 300 Menschen Ski gefahren“, erzählt Peter Wendel, der ehemalige Liftbetreiber. Doch 2009 musste er die Liftanlage schließen. Es gab einfach nicht mehr genug Schneetage. Waren in den 1980er Jahren noch sechs Wochen Skibetrieb möglich, so seien es in den 2000ern nur noch acht bis zwölf Tage gewesen. „Heute wären es wohl noch weniger“, ergänzt Wendel.
 
Das Schicksal auf der Neunkircher Höhe kennt Georg Kunkel, genauso wie das Schicksal des Lifts auf der Tromm. Dort beendete ein Blitzeinschlag in die Liftanlage das Skifahr-Kapitel. Die Talstation wurde komplett zerstört und die Investitionen in einen Neuaufbau hätten sich nicht mehr gelohnt.
 
Kunkel ist bewusst, dass es auch er irgendwann seinen Lift schließen muss. Doch sofern er von solch großen Schäden wie auf der Tromm verschont bleibt, will er weitermachen: „Solange der Lift da ist, werde ich ihn am Leben erhalten.“ Auch um die Tradition der Familie Kunkel zumindest teilweise fortzusetzen: „Ich bin mit dem Lift groß geworden, daher wäre es schön wenn auch meine Kinder damit aufwachsen.“ Außerdem hat er noch einen Wunsch: „Ich und meine Frau würden gerne unseren Kindern hier das Skifahren beibringen.“ Dann müsste der Skilift ungefähr noch die nächsten zehn Jahre laufen. Laut der positiven Winterprognose von weather.com für 2021 sind ja immerhin die ersten drei davon gesichert.

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