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Ich erreiche den Waldrand an einem frühen Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch die dichten Baumkronen brechen. Es ist ruhig, beinahe gespenstisch still. Ich bin hier, um Insekten zu finden, um zu erfahren, wie dramatisch ihr Rückgang wirklich ist. Die Zahlen sind erschreckend: Wie eine Darmstädter Studie belegt, sind 60 Prozent der Insektenarten in den letzten Jahren in deutschen Wäldern zurückgegangen. Wälder, die fast ein Drittel der Landfläche Deutschlands ausmachen, verlieren ihre kleinen Bewohner.

Ich bin mit Daniel verabredet, einem Forscher der Technischen Universität Darmstadt. Er erwartet mich am südlichen Rand des Darmstädter Stadtwalds gleich neben dem Vivarium, offiziell dem Naturpark Bergstraße-Odenwald, wo wir unsere kleine Wanderung beginnen. Daniel wirkt nachdenklich, als er mir von der Studie erzählt, die unter der Leitung von Forschenden der Technischen Universitäten Darmstadt und München in Zusammenarbeit mit weiteren Forschenden durchgeführt wurde. Sie haben die Entwicklung der Populationen von 1.805 Insektenarten in deutschen Wäldern von 2008 bis 2017 untersucht.

Obwohl die Studie bereits ein Jahr alt ist, kann sich Daniel noch sehr gut erinnern. „Zu unserer Überraschung ist die Individuenzahl bei der Mehrzahl der ausgewerteten Arten über die Zeit zurückgegangen,“ sagt er, während wir den breiten Weg entlang gehen. „Wir wussten, dass es um die Insekten nicht gut steht, aber das Ausmaß hat uns dann doch schockiert.

Vom Insektensterben

Ich bücke mich und drehe einen alten, feuchten Ast um. Asseln, Käfer, Ameisen und andere Insekten huschen umher. „Für das ungeübte Auge ist das Insektensterben kaum zu bemerken”, schmunzelt Daniel. Ich frage ihn nach den Ursachen des zunehmenden Rückgangs. „Die genauen Ursachen sind noch unklar,“ antwortet er. „Aber die Erderwärmung durch den Klimawandel spielt mit Sicherheit eine Rolle. Höhere Temperaturen, veränderte Niederschlagsmuster und extreme Wetterereignisse setzen den Insekten stark zu.“ Neben dem Klimawandel sei vor allem die Landwirtschaft verantwortlich für das Insektensterben.

Wir marschieren tiefer in den Wald, den Darmbach wie einen treuen Begleiter stets zu unserer Rechten, der Weg eingefasst vom Band des Waldes. Ich erinnere mich an die Studien, die zeigen, dass gerade in Wäldern mit einem hohen Anteil von Nadelbäumen wie Fichten und Kiefern der Rückgang der Insekten besonders stark ausgeprägt ist. Der Klimawandel macht diesen Wäldern schwer zu schaffen. Hitze, Trockenheit und Stürme schwächen die Bäume, und das wirkt sich auch auf die Insekten aus, die von den Bäumen abhängig sind. Während wir weitergehen, erläutert Daniel die verheerenden Auswirkungen des Insektensterbens auf die Umwelt und die Nahrungskette. „Insekten sind zentral für das Ökosystem. Sie bestäuben Pflanzen, zersetzen organisches Material und dienen vielen Tieren als Nahrungsquelle. Wenn sie verschwinden, hat das weitreichende Konsequenzen.“ Denn ohne Insekten seien auch andere Waldbewohner vom Aussterben bedroht.

Am Wegesrand bleiben wir kurz an einem alten Baumstamm stehen, der wie ein gefallener Krieger auf dem Schlachtfeld daliegt. Daniel seufzt. „Die Insekten sind oft die ersten, die auf Umweltveränderungen reagieren. Ihr Rückgang ist ein Alarmzeichen. Es zeigt, dass das gesamte Ökosystem in Gefahr ist.“

Ernüchterung am Darmbach

Am Ufer des Darmbaches machen wir länger halt. Hier erwarte ich etwas Leben, vielleicht ein paar Libellen oder Wasserläufer. Doch ich werde enttäuscht. Nur ein Schwarm Mücken tanzt über der Wasseroberfläche wie Trauergäste auf einer Beerdigung. Obwohl Daniel meint, dass das schleichende Schwinden der Insekten für uns kaum bemerkbar ist, erscheint mir dieses Bild ungewohnt. Ich erinnere mich, dass ich diesen Ort bereits in meiner Kindheit besucht habe. Damals waren die Sommertage von einem Summen und Brummen erfüllt, die Luft voller fliegender, krabbelnder, springender Insekten. Heute herrscht Stille.

Während wir uns wieder auf den Weg machen, erzählt Daniel von anderen Forschenden, die ähnliche Beobachtungen machen. „Unsere Kolleginnen und Kollegen beobachten in allen Teilen Deutschlands einen drastischen Rückgang. Besonders in Nadelwäldern, die ohnehin schon durch den Klimawandel stark belastet sind.“ Wir erreichen eine Kreuzung, wo einige Wildblumen blühen. Noch 5,3 Kilometer bis nach Roßdorf, verkündet ein Wegweiser. „Hier könnte man eigentlich ein paar Schmetterlinge erwarten,“ sagt Daniel. Doch auch hier sieht es düster aus. Nur eine einzelne Hornisse ist zu sehen. Es ist ein schwacher Trost.

Rast an der Fischerhütte

Nach rund 45 Minuten erreichen wir die Fischerhütte, ein Restaurant im Blockhausstil, in malerischer Lage gleich neben mehreren Fischteichen gelegen. Hier legen wir eine kleine Pause ein, ohne etwas zu bestellen, danach wollen wir uns auf den Rückweg machen. Während ich den Blick über die Fischteiche schweifen lasse und mich freue, dass hier doch die ein oder andere Libelle umherschwirrt, denke ich über die Auswirkungen nach, die das Insektensterben auf das Ökosystem hat. Ohne Insekten gerät das gesamte Nahrungsnetz ins Wanken. Vögel, die sich von Insekten ernähren, finden immer weniger davon und müssen sich andere Nahrungsquellen suchen oder sterben aus. Das ganze Gleichgewicht des Waldes droht zu kippen. Stumm treten wir den Heimweg an.

Die Stille im Wald kommt mir nun sehr eindringlich vor. Sie erinnert daran, dass das Verschwinden der Insekten nicht nur ein Verlust dieser kleinen Lebewesen ist, sondern ein Zeichen für eine viel größere Krise. Während wir zurückgehen, frage ich Daniel, was getan werden kann, um den Insekten zu helfen. „Es gibt keine einfache Lösung,“ sagt er ernst. „Aber wir müssen die natürlichen Lebensräume schützen und wiederherstellen, den Einsatz von Pestiziden reduzieren und den Klimawandel bekämpfen. Jeder kann einen Beitrag leisten, auch im Kleinen.“

Ein Hilferuf

Endlich kommt der Parkplatz des Vivariums in Sicht. Unser Spaziergang endet mit einem noch stärkeren Bewusstsein für die Dringlichkeit des Handelns. Mit schweren Schritten verlasse ich den Wald, verabschiede mich von Daniel und steige auf mein Fahrrad. Der Wald, ein summender, zwitschernder Mikrokosmos, droht seine Stimme zu verlieren. Die Stille ist ohrenbetäubend.

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