Als ihre Zwerghenne mitten im Dezember zu brüten begann, wussten sie, dass sich etwas verändert hatte. Der Winter 2012 war sehr mild, und nach einer kurzen Recherche waren sich Jana und Jens Steingässer sicher: Dass ihre Henne Emma bereits in der kalten Jahreszeit Eier legte, das konnte nur am Klimawandel liegen. Bereits zuvor hatte sich die Ethnologien Jana Steingässer mit wissenschaftlicher Literatur zu dem Thema beschäftigt. Sie sagt: „Nichts davon hat mich berührt.“ Das wollte sie gemeinsam mit ihrem Mann ändern.
Mit ihren vier Kindern, das jüngste davon war damals gerade mal zwei Jahre alt, sind Jana und Jens Steingässer in den darauf folgenden vier Jahren um die Welt gereist: von Grönland, Island und Skandinavien bis nach Marokko, Südafrika und Australien. Festgehalten haben sie ihre Eindrücke in einem Bildband und einer Multivisionsshow mit dem Titel „Die Welt von morgen“ – einer Reportage, mit der die Steingässers den Klimawandel greifbarer machen wollen.
„Wettern oder den Zeigefinger erheben bringt gar nichts“
Auf ihren Reisen haben Jana und Jens Steingässer mit Menschen gesprochen, die den Einfluss der Erderwärmung im Alltag spüren können. Mit dem australischen Farmer Russell etwa, dessen Ackerland binnen weniger Jahre zu einer leblosen Salzpfanne vertrocknet war. Immer wieder sind sie dabei auf Misstrauen gestoßen: Über den Klimawandel reden wollte Russell nicht – und wenn er es doch tat, dann war er stets darauf bedacht, den Begriff niemals zu verwenden. „Wettern oder den Zeigefinger erheben bringt gar nichts“, erklärt Jens Steingässer. Stattdessen solle man sich die nötige Zeit nehmen, um Vertrauen zu schaffen. Tage-, teils wochenlang hat sich die Familie den Menschen angenähert, die später die Helden ihrer Geschichten werden sollten. „Das Projekt war häufig eine Gratwanderung“, sagt Jens Steingässer.
Leisten konnten sie sich die aufwändigen Reisen nur durch eine Kooperation mit dem Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin: Das Unternehmen kam für die Reisekosten der Familie auf, im Gegenzug lieferten die Steingässers Bildmaterial, Making-Off-Szenen und Blogbeiträge. Ein Geschenk sei diese Zusammenarbeit gewesen, sagen sie rückblickend. „Es hat uns die nötige Freiheit gegeben.“ Nicht immer waren sie sich vor dem Beginn ihrer Reise sicher, ob sie den Vertrag mit Jack Wolfskin tatsächlich unterschreiben sollten: Würden sie ihre Geschichte trotz der Abhängigkeit so erzählen können, wie sie es geplant hatten? Würde es ihnen gelingen, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren? Trotz aller Zweifel entschieden sich die Steingässers für die Kooperation. Für sie war es der beste Weg. Und letztlich auch der einzig realistische.
Zwischen Umweltbewusstsein und Flugmeilen
Die finanzielle Abhängigkeit scheint die Zuhörer und Leser ohnehin nicht zu stören. Wenn Jens und Jana Steingässer für ihr Projekt kritisiert werden, hat das meist einen anderen Grund. „In die weite Welt reisen mit vier Kindern und dabei mit Flugzeugreisen ein Haufen CO2 produzieren“, schreibt ein Youtube-Nutzer unter einem Trailer der Multimedia-Reportage, „einfach lächerlich.“ Jens und Jana Steingässer wissen, dass die vielen zurückgelegten Flugmeilen und ihre Botschaft widersprüchlich erscheinen. Es ist ein Konflikt, den sie auch nach zahllosen Überlegungen nicht lösen konnten. Schließlich nahmen sie den Widerspruch in Kauf. „Die Geschichte war es wert, produziert zu werden“, sagt Jens Steingässer.
Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein – sowohl für die Steingässers, als auch für Jack Wolfskin: Etliche Publikationen haben bereits über die Familie auf den Spuren des Klimawandels berichtet; vom Wirtschaftsmagazin Enorm bis zur Boulvard-Zeitschrift Closer. Ihre Reportage, sagen Jens und Jana Steingässer, lebe vor allem von der Entwicklung ihrer Protagonisten. Solch eine Entwicklung konnten sie auch bei dem australischen Farmer Russell beobachten. Gerade wollten sie sich von ihm verabschieden, da erklärte er, warum er die Gespräche bislang vermieden hatte: Wenn er den menschengemachten Klimawandel akzeptieren würde, dann müsste er auch die Schuld dafür auf sich nehmen. Und damit könnte er nicht leben. „Es sind Geschichten des Gelingens, die wir erzählen“, sagt Jana Steingässer. Nicht selten beginnen solche Geschichten mit einem schmerzhaften Eingeständnis.