Heilendes Wasser: Die Kraft der Thermen

Ein Text von Selina Hönnige

Ein sonniger Dezembertag und eine frische Brise machen mir gute Laune – eine Grundlage für einen Nachmittag in der Taunus Therme in Bad Homburg, die mehr als nur wohlige Entspannung verspricht. Hinter der Eingangstür sofort Wärme, Chlorgeruch, Plätschern, Stimmen – die klassische Begrüßung in einem Hallenbad. Doch dann bin ich überrascht: Die Badehalle erinnert mit geschwungenen Brücken, Laternen und pagodenartigen Dächern an einen chinesischen Garten. Das Bad ist an diesem Sonntag gut besucht, Kinder spielen im Becken, Paare genießen ihre Zweisamkeit. Während ich mich mit vorsichtigen Schritten dem ersten Becken nähere, vergesse ich, dass Kälte des Wassers, die ich sonst scheue, hier kein Thema ist. Denn die Wassertemperatur beträgt 32,5 Grad – mehr als in einem gewöhnlichen Hallenbad. Aber eine Therme ist auch weit mehr als ein normales Schwimmbad. Sie ist unter anderem auch ein Ort der Heilung.

Zurück zur Quelle

Die Taunus Therme schöpft ihr Thermalwasser aus der Viktoria-Luise-Quelle. Nur wenige Meter entfernt liefert sie Wasser aus 250 Metern Tiefe mit einem konstanten Fluss von 96 Litern pro Minute. Bevor das Wasser die Thermalbecken füllt, wird es von seinen ursprünglichen 23 Grad auf 34,5 Grad erhitzt. Im Herzstück, dem größten Becken mit 32,5 Grad, vereinen sich Grotte, Whirlpools, Massagedüsen, Wasserfälle und Liegebuchten zur einer Thermenlandschaft. Für Wärmeliebhaber gibt es das Therapiebad mit 34 Grad oder die Hot-Whirlpools bei 37 Grad mit Unterwassermassagen. 

Eine jahrtausendealte Tradition 

Thermalbäder blicken auf eine jahrtausendealte Tradition zurück. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. nutzten die Römer natürliche Quellen für ihre Badeanlagen, die als Thermen bekannt wurden. Diese Badeeinrichtungen dienten nicht nur der Hygiene, sondern auch der Entspannung und dem sozialen Kontakt. Außerdem galt schon damals der Besuch von Thermen als heilend. Um mehr über die „heilende Wirkung“ des Wassers zu erfahren, treffe ich einen Badearzt im Ärztehaus am Kurpark in Bad Nauheim. Dort erklärt er mir die medizinischen Hintergründe von Thermen und Kneipp-Anwendungen. 

Thermalwasser als Therapie 


Seit 30 Jahren arbeitet Dr. Lutz Ehnert als Badearzt. Zu seinen Aufgaben gehört es, Patienten in einem Heilbad zu betreuen und ambulante Badekuren zu verschreiben. Seine Leidenschaft wurde von seinen Eltern geweckt, die in seiner Kindheit selbst oft Heilbäder besuchten. „Wahrscheinlich habe ich unbewusst das Prozedere mitbekommen, das ein Heilbad so besonders macht“, sagt er. Ein Heilbad ist eine Einrichtung, die natürliche Heilquellen oder Mineralwasser für therapeutische Anwendungen nutzt. In Deutschland gibt es über 300 Heilbäder, die diesen Titel nur führen dürfen, wenn ein Badearzt vor Ort tätig ist, erklärt Ehnert. In Bad Nauheim und den umliegenden Heilbädern speist sich das Wasser aus unterirdischen Quellen, deren Ursprung im Vulkangebiet des Vogelsberg liegt. Diese warmen Mineralquellen entstehen durch den Druck von unterirdischen Wasserströmen, die das Wasser durch das Schiefergestein des Taunus nach oben treiben, erklärt der Badearzt. 


Das Wasser enthält wertvolle Mineralien wie Eisen und CO2. Besonders der CO2-Sprudel in den Bädern kann eine heilende Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem haben. Setzt man sich in ein Kohlensäurebad mit etwa 32 Grad, öffnet die Kohlensäure die Blutgefäße, was die Durchblutung fördert und den Blutdruck senkt. Solche Bäder sind also besonders hilfreich bei Durchblutungsstörungen oder auch Bluthochdruck. Regelmäßige Anwendungen über mehrere Wochen trainieren das Gefäßsystem und fördern eine Erholung, die bis zu einem Jahr anhält. „Außerdem ist die warme Thermalquelle besonders wirksam bei Muskel- und Gelenkerkrankungen, da sie die Muskulatur entspannt und Schmerzen lindern kann“, erklärt Lutz Ehnert. Bei rheumatischen Erkrankungen wie akuter rheumatoider Arthritis oder Fibromyalgie setzt das Ärztehaus am Kurpark die Sohle-Thermaltherapie ein. Dafür wird das natürlich mineralisierte Thermalwasser zusätzlich mit Salz angereichert. Ehnert erstellt präventive und rehabilitative Behandlungspläne aus Wassertherapie, Ernährung, Bewegung und Physiotherapie. Momentan betreut er vor allem ältere Patienten mit Rückenbeschwerden, Übergewicht und Bluthochdruck. 

Heilung oder Täuschung?

Doch bleibt die Frage, ob schon der einfache Kontakt mit Thermalwasser heilend wirkt oder es der Placebo-Effekt ist, der uns das glauben lässt? Dazu erklärt Mediziner Ehnert, dass der Placebo- und Erholungseffekt tatsächlich eine Rolle spielt. Denn schon allein die Zeit, die man sich für die Entspannung in der Therme nimmt, trägt zu mehr Wohlbefinden bei. Bei regelmäßigen Anwendungen oder eben im Rahmen einer „ambulanten Badekur“ kommen dann die nachgewiesene medizinische Vorteile durch die Bädertherapie hinzu – wie etwa bei Blutdruck-Problemen.

Warm und kalt: die Kneipp-Wasseranwendungen

Zu den weiteren Behandlungsmöglichkeiten zählen die 120 Kneipp-Wasseranwendungen, die meist präventiv eingesetzt werden. Sie wirken durch gezielte Reizreaktionen auf den Körper. Kaltwasseranwendungen oberhalb des Nabels wie Armbäder oder Gesichtsgüss, erfrischen am Morgen, lindern Kopfschmerzen und steigern die Wachsamkeit. Abends entspannen Anwendungen unterhalb des Nabels und helfen beim Abschalten. Obwohl Kneipp für seine Kaltwasseranwendungen bekannt ist, kann man ebenfalls mit der Wechselwirkung von kaltem und warmem Wasser arbeiten. Diese Methoden bevorzugt der Badearzt selbst: „Ich bin wahrscheinlich der einzige Kneipparzt Deutschlands, der kaltwasserscheu ist.“ Eine wichtige Regel besagt, dass kaltes Wasser niemals auf kalte Körperteile angewendet werden sollte. Vor einem kalten Wasserguss oder Wassertritt müssen Füße oder Arme zuerst erwärmt werden, damit der Wechselreiz von kalt und warm von den Gefäßen aufgenommen und verarbeitet werden kann. 

Wie Wasser langfristig gesund hält 

Im Grunde hat auch das Wasser aus dem Wasserhahn eine heilende Wirkung. Ehnert erzählt, dass er während des Duschens auf die Kaltwasseranwendung zurückgreift, indem er seine Beine mit kaltem Wasser übergießt. Viele entscheiden sich sogar für den ganz kalten Guss. Dafür muss man „heroisch sein“, scherzt er. Abschließend rät Lutz Ehnert auch jungen Menschen, über eine präventive Wasserbehandlung nachzudenken, vor allem zur Immunstärkung und Erholung des Körpers durch Kaltwasseranwendungen. „Wenn sie diese Elemente regelmäßig in ihren Jahresablauf einbauen, können sie ihre Gesundheit langfristig verbessern, den Blutdruck senken und ausgeglichener werden“, verspricht er. 

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