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In einem See vor unserer Zeit

Gleich kreischt die Kettensäge ihr ohrenbetäubendes Lied. Zwei Forscher suchen nach versteinerter Vergangenheit. Sie tragen Bergstiefel und Gehörschutz – die inoffiziöse Messel-Kluft. Die Paläontologen verankern ihre Füße im Sediment. Für ihr Vorhaben brauchen sie festen Stand. Der eine nickt und wechselt das Standbein, der andere setzt an. An dieser Stelle, genau hier, ja gleich dort an der Kante scheint es gut zu sein. Die Säge senkt sich und fräst sich in den Ölschiefer. Er führt das Werkzeug tiefer ein.

Ihr Arbeitsplatz, die Grube Messel, liegt nur wenige Kilometer von Darmstadt entfernt. Der Ort bettet sich vor die Tore des heutigen Odenwalds. Im Eozän, dem „Zeitalter der Morgenröte“, vor rund 48 Millionen Jahren, hätten die Forscher hier nicht auf dem Felsplateau stehen und graben können; sie hätten schwimmen müssen. Vor Jahrmillionen war der rund sechzig Meter tiefe Krater noch ein See. Der Ausbruch eines Maarvulkans hatte ein artenreiches Biotop geschaffen. Das Klima war subtropisch, die Natur eine andere. Nach dem Aussterben der Dinosaurier gehörte nun zum ersten Mal den Säugetieren die Welt.

„Die Qualität der Fossilien ist enorm“

Das Gewässer im Urwald zog allerlei Lebewesen an, auch die sogenannten Urpferdchen. Einige Arten waren schäferhundgroß, die kleineren kompakt wie Dackel. Das braune Fell der Pferdchen war eine praktische Tarnung, denn der charakteristische schwergrüne Pflanzenwuchs verschmolz zu einem schwer zu durchblickenden Dschungel. So blendeten die Tiere mühelos in ihre Umgebung ein. An den See trieb sie dann ihr Durst. Womöglich war allerdings das Ufer glatt, womöglich schnappte sie auch ein Krokodil.

„So ganz genau kann man das nicht sagen“, sagt der Paläontologe Pascal Schmitz. Sicher sei jedenfalls ihr Ende im See. Wenn er nicht selbst forscht oder gräbt, führt er Besucher durch die Grube Messel. Dieser Ort sei für ihn etwas „ganz Besonderes.“ Denn wenige andere Fleckchen seien so gut im Konservieren, der Fossilisation. In anderen Grabungsstätten werden üblicherweise nur einzelne Zähne oder Fragmente von Skeletten gefunden, in Messel ist das mitnichten so. Das sei den Algen des ehemaligen Sees zu verdanken, die seinerzeit im Wasser wuchsen und dann hinab auf den Grund sanken. So vollzog sich in Messel die so seltene „Weichteilerhaltung“. Ja selbst die Mageninhalte der Tiere blieben über die Zeit hinweg intakt. „Die Qualität und Quantität der Fossilien ist hier enorm.“ Jedes Jahr fänden sie hier im Boden mehrere tausend Stücke. Schimmernde Käfer in blau-grünen Rüstungen aus Chitin. Riesige Flugameisen mit der Spannweite eines herkömmlichen Lineals. „Die größte Ameisenkönigin der Welt wurde hier gefunden.“ All das verstecke sich hier im Gestein, sagt Schmitz. Die Vergangenheit sei hier im wahrsten Sinne des Wortes greifbar.

Mittlerweile ist der Schnitt in das Sediment gesetzt und ein Gesteinsblock herausgelöst. Die Wissenschaftler transportieren ihn zu nur einen Steinwurf entfernten Sonnensegeln, ihrer Forschungsstation. Das Ölgestein vertrage keine Sonne. „Es wird schnell brüchig und zerbröselt.“ Deshalb legen die Forscher die einzelnen Schichten zusätzlich noch in ein Bad aus Wasser und Glycerin ein, um die verletzlichen Sedimentschichten zu schützen.

Immer tiefer in die Vergangenheit

Dann blättern sie. „Als würden wir ein Buch lesen.“ Mit feinen Messern heben die Forscher dort den millimeterdünnen Schieferstein vorsichtig um, eine Seite nach der Nächsten. So fanden sie bereits über siebzig Urpferdchen. „Und es werden wohl noch mehr.“

Diese und andere Funde lassen weit blicken. Die Fossilien aus dem einstmaligen See, der seit 1995 UNESCO-Weltkulturerbe ist, erlaube gar die präzise Rekonstruktion komplexer Tier- und Pflanzenwelten. „Wir konnten hier eine Schlange finden, die eine Echse gefressen hatte, die in ihrem Magen noch einen Käfer hatte.“ Das sei bislang weltweit erst ein einziges Mal gelungen.

Auch wegen solcher Funde trage die Grube Messel „wie keine andere“ Stätte dazu bei, „das Eozän zu verstehen“, schreibt die UNESCO. Und wenn auch nicht immer von solcher Besonderheit, kommen doch jedes Jahr etwa dreitausend weitere Fossilien hinzu. Nicht immer sind das ikonische Urpferdchen, noch nicht einmal immer Säugetiere. Manchmal seien es auch nur Pflanzen oder deren Blätter. Doch harrt hier eine seltsam artenreiche Vergangenheit im Stein. „Und je tiefer wir graben, umso weiter geht es zurück in der Zeit.“

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