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Kampf um die Welt: das Machtstreben des World White Webs

Plattformen wie Google und Facebook gehören zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Daran ändert auch das Corona-Virus nichts. Die Tech-Konzerne konnten ihr Marktkapital soger steigern.

Die Apps und Services aus dem Silicon Valley sind allgegenwärtig. Sie beeinflussen und prägen unser digitales Leben massiv. Wenige Unternehmen besitzen die bekanntesten Suchmaschinen (Google und Microsoft), Betriebssysteme für Smartphones (Google und Apple), Betriebssysteme für Computer und Notebooks (Apple und Microsoft) oder soziale Netzwerke (Google und Facebook). Durch diese Anwendungen können wir Einkäufe online tätigen, uns miteinander vernetzen und haben besonders in der COVID-19-Pandemie auch gelernt, digital zu arbeiten und zu lernen. Jedes Mal, wenn wir einen dieser Services nutzen, entscheiden wir uns bewusst für diese Plattformen und stärken ihre wirtschaftlichen Positionen auf dem Markt. So kommt es, dass die anfangs genannten Unternehmen zu den wertvollsten der Welt gehören. Daran ändert auch das Coronavirus nichts: Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC (vgl. 2020) konnten die Tech-Unternehmen ihr Marktkapital sogar leicht steigern.

Diese digitale Vormachtstellung wird von den Konzernen energisch geschützt. Wie vehement diese Verteidigungsstrategie aussehen kann, zeigt das Beispiel Google mit seinem Betriebssystem Android. Bereits beim Kauf sind diverse Google Anwendungen auf den Smartphones vorinstalliert: YouTube, Google Maps, Gmail, Google Drive oder die gleichnamige Suchmaschine. Der Konzern dringt in den Gestaltungsraum des Nutzers ein, um ihn an seine Anwendungen zu binden. Dieses Vorgehen hat die EU-Kommission als unlauteren Wettbewerb kritisiert und eine Milliardenstrafe verhängt. Google hat daraufhin nach einer Lösung gesucht und eine nach seinem Geschmack gefunden: Konkurrenten haben nun die Chance ebenfalls auf Android-Handys vorinstalliert zu werden – allerdings nur, wenn sie dafür zahlen. Auch Apple steckt derzeit in einem ähnlichen Kartellverfahren. Das Unternehmen bietet nur Apple Pay als digitale Zahlungsoption an. Die Services anderer Kreditinstitute lassen sich demnach nicht nutzen.

Das breite Publikum macht sich über diese Machtspiele wenig bis kaum Gedanken. Doch unter den Nutzern dieser Anwendung muss differenziert werden: Die Anwender aus den reichen Industrieländern (dem Globalen Norden) befinden sich im Vergleich zu den Entwicklungs- und Schwellenländern (dem Globalen Süden) in einer privilegierten Situation. Im Prinzip haben sie die Möglichkeit aus einem reichen Angebot an Programmen und Anwendungen zu schöpfen. Theoretisch können sie auf Apps der Konkurrenz umsteigen. In der Praxis tun das die wenigsten – häufig aus Bequemlichkeit. Suchmaschinen wie Google oder soziale Medien wie Facebook üben starke Netzwerkeffekte aus. Ihr Wert und ihre Bedeutsamkeit steigen, je mehr Nutzer ihren Service verwenden. 

Die Ausgangssituation des Globalen Nordens lässt sich nicht auf die des Globalen Süden übertragen. Dort sind ganze Gegenden nicht oder nur mit begrenztem Internet vernetzt. Dieser Umstand macht sie besonders interessant für die Tech-Konzerne: der vermeintlich ideale Nährboden, um neue, „unvernetzte“ Nutzer an ihre Produkte zu binden und mögliche Konkurrenten auszuschalten. Während diese Aspekte im Zentrum ihres wirtschaftlichen Handelns stehen, werden zugleich implizit paternalistische und kolonialistische Machtstrukturen manifestiert. In diesem Zusammenhang werfen sich verschiedene Fragen auf: Wie sieht diese Form der digitalen Unterdrückung genau aus? Sind Daten das neue Gold? Inwiefern sind die Narrative der Digitalisierung noch konsistent und glaubwürdig, wenn sie für wirtschaftliche Interessen ausgenutzt werden? Und kann die Kluft zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden überhaupt überwunden werden?

Der Kolonialismus im digitalen Zeitalter

Der digitale Kolonialismus beschreibt eine neue imperiale Machtstruktur, die von Tech-Unternehmen aus dem Globalen Norden ausgeht. Diese bieten ihre Anwendungen in Ländern des Globalen Südens an. Wie bereits in der Vergangenheit werden den jetzt „Unvernetzten“ neue Erkenntnisse vermittelt und aufgedrängt – diesmal in Form digitaler Technologien und dem Versprechen des Fortschritts. Dabei drängen sie nicht nur lokale Konkurrenten vom Markt, sondern sammeln und analysieren die Daten ihrer Nutzer, um damit Prognosen über zukünftiges Verhalten zu treffen (vgl. Zuboff 2019). Zudem werden die Daten dazu verwendet, sie an Dritte weiterzuleiten und für die individuelle Ausspielung von Werbung zu nutzen. An dieser Stelle zeigt sich: Der digitale Kapitalismus und der digitale Kolonialismus müssen zusammengedacht werden. Sie bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Der Konsum soll nicht nur gesteigert werden, sondern die Nutzer sollen sich ihren Services auch unterwerfen. 

Problematischer als die finanzielle Gewinnorientierung sind die psychologischen Aspekte zu betrachten, die mit den neokolonialistischen Strukturen einhergehen. Unter dem Deckmantel der Selbstlosigkeit und Philanthropie werden der Bevölkerung des Globalen Südens westliche Wertvorstellungen und Paradigmen aufgezwungen. Die Plattformen sind von der Kultur ihres Herkunftslandes im Speziellen und der Denkweise des Globalen Nordens im Allgemeinen geprägt. Diese soziokulturellen Faktoren spiegeln sich zudem im Personal wider: Die Mitarbeiter von Apple, Facebook, Google und Microsoft waren bzw. sind noch überwiegend weiß und männlich. Es liegt somit bereits ein Bias im System vor. Durch diese ethnischen Merkmale entstehen zwangsläufig blinde Flecken. Die Mitarbeiter befinden sich in einer privilegierten Position und sind kognitiv nicht in der Lage, Diskriminierungen vorauszuahnen. Denn wer selbst nicht von Ausgrenzung betroffen ist, kann solche kaum vollständig berücksichtigen. Diese Verzerrungen können in rassistischen Technologien münden. So hat die App „Google Fotos“ dunkelhäutige Menschen als Gorillas identifiziert. Und Facebook hat das Foto einer indigenen Frau mit nackten Brüsten zensiert – obwohl diese Nacktheit Teil ihrer kulturellen Identität ist. 

Doch allein mit technischen Bugs lässt sich dieses Problem nicht entschuldigen. Technik ist per se nicht rassistisch – das Problem sitzt vor dem Computer. Diejenigen, die Künstliche Intelligenz trainieren oder das Programm entwickeln, reproduzieren ihre gesellschaftlichen Einstellungen (ob bewusst oder unbewusst) in die technischen Anwendungen. Dies lässt sich exemplarisch auch an „FaceApp“ aufzeigen. Die Bearbeitungsapp bietet ausschließlich Filter mit europäischen Schönheitsidealen an: helle Haare, helle Haut, helle Augenfarbe.

Weitere Parallelen zwischen dem historischen und dem digitalen Kolonialismus lassen sich in der Geographie finden. Die von Facebook, Microsoft und Google verlegten Unterseekabel folgen zum Teil den Routen der früheren Kolonialmächte. Auch Datenzentren sollen an den Stellen gebaut werden, wo in Zeiten des Kolonialismus gesiedelt wurde. Sind die Technik-Nerds mit T-Shirt und Turnschuhen aus dem Silicon Valley somit die neuen Imperatoren?

Gänzlich bejahen lässt sich diese Frage nicht. Verneinen allerdings auch nicht. Im Unterschied zum historischen Kolonialismus wird die Bevölkerung des Globalen Südens nicht gewaltsam unterdrückt. Und auch verläuft der digitale Kolonialismus im Vergleich zur Vergangenheit unipolar: Während damals pauschal vom „Westen“ als Kolonialmächte die Rede war, so sind es nun primär die USA. Als Zwischenfazit lässt sich jedoch festhalten: Die moderne und digitale Kommunikation der Gegenwart folgt partiell der Kartierung der Vergangenheit. 

Ausbeutung menschlicher Daten und Weg ins Abhängigkeitsverhältnis

Obwohl die Bevölkerung wie eben festgestellt, keine körperliche Gewalt erlebt, kann dennoch von einer Ausbeutung gesprochen werden. Denn längst geht es nicht mehr um die physische Unterdrückung. Jegliche soziale Beziehungen werden digitalisiert und somit für die Unternehmen sicht- und auswertbar. Sie mutieren zu Datenbeziehungen, die primär numerische Werte erfüllen. Der Begriff des „Mining“ erhält im Zusammenhang mit Daten eine neue Bedeutung. Daher sind die bislang nicht vernetzten, übersehenen Gebiete des Globalen Südens besonders interessant für die Tech-Unternehmen. Unheimlich viel Ausschöpfungspotenzial ist für sie hier vorhanden.

Dieses hegemoniale Streben schwächt das Entwicklungspotenzial des Globalen Südens und verstärkt das Abhängigkeitsverhältnis. Durch die Einführung der verschiedenen digitalen Services bleibt der Kontinent vom Geld, der Expertise und der Technologie des Globalen Nordens abhängig. Kaum ein lokales Tech-Unternehmen stellt zum jetzigen Zeitpunkt eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Giganten des Silicon Valleys dar. Dem Globalen Süden wird somit die Hoffnung auf eine souveräne und eigenverantwortliche Digitalisierung genommen, in der sie langfristig gesehen selbstbestimmend und unabhängig eigene Projekte entwickeln können. Stattdessen eignen sich amerikanische Tech-Giganten die Herrschaft im Globalen Süden an – in Form der Datenhoheit.

Facebook bietet in Ländern des Globalen Südens den Service „Free Basics“ an. Das Angebot ist umstritten, da es den Nutzern nur einen beschränkten Internetzugang erlaubt.

Doch warum nur Daten sammeln? Warum nicht gleich bestimmen, welche Websites der Nutzer besuchen darf und welche nicht? Den Superlativ zum reinen Datensammeln hat Facebook in seinem Projekt „Free Basics“ implementiert. „Free Basics“ ist ein eingeschränktes Internet-Angebot des US-Konzerns, das als Smartphone-App in Ländern Afrikas, Südamerikas oder Asiens nutzbar ist. Das beworbene Ziel des Projekts ist es, die digitale Spaltung zu überwinden. Zwar können Nutzer des Globalen Südens mit dieser Anwendung auch ins Internet – allerdings beschränkt Facebook den Zugang. Es sind nur ausgewählte Seiten erreichbar, unter anderem Wikipedia. Das Blogger-Netzwerk „Global Voices“ untersuchten in mehreren Fallstudien den Nutzen der App. Das Ergebnis: Die App berücksichtigt keine einheimischen Sprachen, fördert kaum lokale Inhalte und priorisiert stattdessen die Facebook-App.

Damit verletzt Facebook nicht nur die Netzneutralität. Darüber hinaus wird der Bevölkerung des Globalen Südens suggeriert, dass es sich bei „Free Basics“ um „das“ Internet handle. Der eigentliche Gedanke des freien Internets wird dabei unterminiert: Inhalte zu konsumieren, aber auch zu produzieren. Dies schränkt folglich auch die Wettbewerbsfähigkeit des Globalen Südens ein. Der solutionistische Gedanke, mittels einer Technologie ein gesellschaftliches Problem (Teilhabe am digitalen Leben) zu lösen (vgl. Nachtwey / Seidl 2017) schlägt hier fehl. Die Lage stellt sich nur einseitig für Facebook als Win-win-Situation dar – dafür aber gleich in doppelter Hinsicht. Das Unternehmen kann ungehindert Daten sammeln und im selben Augenblick die Web Experience des Nutzers maßgeblich prägen. Langfristig betrachtet kann der Nutzer so an die Anwendungen Facebooks gebunden werden und zieht konkurrierende Services gar nicht erst in Erwägung. Denn was trotz der Kritik an den großen Tech-Unternehmen berücksichtigt werden muss, ist, dass ihre Dienstleistungen auf große Begeisterung stoßen. Sie sind einfach zu bedienen, haben eine übersichtliche Nutzeroberfläche und erfüllen ihre Zwecke auf unkomplizierte Art und Weise. Wäre all dies nicht der Fall, wäre die Erfolgsgeschichte der Unternehmen undenkbar.

Welcher Handlungsspielraum bleibt den Bewohnern des Globalen Südens? Ist ein eingeschränktes Internet besser als gar kein Internet? Die Option, die Facebook mit „Free Basics“ anbietet, wirkt eher wie ein faustischer Pakt: Informationen gegen Daten. In Verbindung mit diesem Deal tritt häufig folgender Vergleich auf: Daten seien das neue Gold. Doch es gibt einige Punkte, die dieser Gleichsetzung widersprechen. Im historischen Kolonialismus waren die Menschen das Mittel zum Zweck, um die Ressource Gold zu fördern. Nun sind die Rollen vertauscht worden: Menschen und ihre Daten werden zum Subjekt des Interesses.

Zudem erfüllen Daten im Gegensatz zum Gold noch ein weiteres Ziel, der über die rein monetären Aspekte hinausgeht. Für den Überwachungskapitalismus sind sie essentiell, um zukünftiges Verhalten vorherzusagen und für kommerzielle Ziele und die Ausspielung von Werbung auszunutzen (vgl. Zuboff 2019). Außerdem sind menschliche Daten der Rohstoff, um maschinelles Lernen oder Künstliche Intelligenz zu trainieren. Darüber hinaus drängt sich ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu materiellen Rohstoffen auf: Während die Preise für Gold in der Öffentlichkeit transparent gehandelt werden, ist der Wert für Daten weitgehend unbekannt. Oder welchen Preis würden Sie für Ihre Daten verlangen?

Trotz Pandemie bleiben die Tech-Giganten auf Erfolgskurs

Den finanziellen Erfolg, den die Tech-Giganten erfahren, offenbart sich auch aktuell während der COVID-19-Pandemie. Das Coronavirus verstärkt den Prozess, dass unsere sozialen Interaktionen zu Datenbeziehungen werden. Die Technologie-Unternehmen profitieren davon und gehören zu den großen Gewinnern der Krise. Während in anderen Wirtschaftszweigen Stellen abgebaut werden, stellen die Tech-Giganten verstärkt neue Mitarbeiter ein. Eine Recherche auf den Jobportalen der jeweiligen Unternehmen bestätigt die Annahme, dass die große Mehrheit der Arbeitsplätze im Globalen Norden entstehen.

Dieses Geschäftsmodell ist unausgeglichen. Das zeigt sich besonders bei Facebooks „Free Basics“. Das Unternehmen schöpft aus einer großen Menge von Daten und sichert sich dabei den Zugang zu einem schnell wachsenden Mark – zu seinen Bedingungen. Indien hat diese Form der digitalen Ausbeutung erkannt und „Free Basics“ verboten. Die indische Bevölkerung stellt einen relativ großen Anteil der Facebook-Nutzer dar. Abgesehen vom stark eingeschränkten Internet, erhält Indien im Gegenzug nicht viel. Gemessen an der Zahl der Nutzer hat Facebook in der Vergangenheit wenig in die lokale Dateninfrastruktur investiert. Hinzu kommt, dass fraglich ist, ob und wie viele Steuern die Tech-Unternehmen in dem Land zahlen, in denen sie ihren Gewinn generieren. Und ein Gewinn liegt vor, auch wenn Daten bislang nicht bepreist wurden.

Die bisher beschriebene digitale Ausbeutung ist allerdings noch mit weiteren Faktoren verknüpft: Der Fall von Cambridge Analytica zeigt, dass Nutzerdaten auch für politische Beeinflussung genutzt werden können. Insofern bestehen geopolitische Risiken, dass eine Einflussnahme auch in Ländern des Globalen Südens stattfinden kann – wenn bereits industrialisierte Länder des Globalen Nordens mit weitestgehend starken Demokratien nicht gegen solch ein Vorgehen immun sind. Hier würden die Parallelen zum historischen Kolonialismus offenbar werden: Denn die politischen Interessen wären sicherlich stark von den USA geprägt und nicht unbedingt im Sinne der heimischen Bevölkerung. Die digitale Ausbeutung hat somit das Potenzial, das anmaßende Verhalten der Tech-Giganten noch weiterhin zu steigern – und für ein verzerrtes und asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Regierung und Unternehmen zu sorgen.

Dabei ist ohnehin kritisch zu betrachten, dass Facebook allein bereits drei der beliebtesten Social Media Apps auf sich vereint: WhatsApp, Instagram und eben Facebook mit seinem Messenger-Dienst selbst. Wer sich mit anderen Personen vernetzen will, kommt meist um die Plattformen nicht herum. Bereits im Globalen Norden gibt es kein Unternehmen außerhalb des Silicon Valleys, dass eine vergleichbare Alternative darstellt (im Verhältnis zur Reichweite und Nutzerzahlen). Start-up-Unternehmen aus dem Globalen Süden können meist aufgrund mangelnder finanzieller Mittel und politischer Unterstützung erst recht nicht mithalten.

Doch selbst wenn sie bis zur Lancierung ihres Projektes gelangen: Ein Großteil der Einnahmen, beispielsweise über Online-Werbung, landen mangels Reichweite trotzdem bei den Tech-Giganten. Der Netzwerkeffekt, der das Verhältnis der Nutzerzahlen zum Nutzen des Produkts beschreibt, ist für lokale Start-ups zu stark und kaum zu überwinden. Auch die Skaleneffekte, die sich mit der Wirtschaftlichkeit der benötigten Infrastruktur beschäftigen, erschweren den Markteintritt. Und sollten sie wider Erwarten dennoch Erfolg haben, können die größeren Tech-Unternehmen sie aufkaufen. Oder eben aussperren, wie im anfangs vorgestellten Beispiel mit Android und Google.

Die Narrative der Digitalisierung werden entzaubert

Nach dieser Darstellung wird deutlich, dass den Tech-Unternehmen nicht an gleichberechtigter Teilhabe gelegen ist. Dies kristallisiert sich auch im Bildungsbereich heraus. Durch eingeschränktes Internet ergeben sich Bildungslücken. Das Beispiel „Free Basics“ zeigt, wie sich Facebook die Rolle des Gatekeepers anmaßt, der entscheidet, welche Informationen zugänglich sind und welche nicht. Hinzu kommt, dass die meisten Inhalte im Internet auf Englisch sind. Natürlich handelt es sich dabei um eine Weltsprache. Doch Menschen in entlegenen Gebieten des Globalen Südens fehlen möglicherweise diese Sprachkenntnisse. Selbst wenn sie das Internet nutzen, so erfüllt es nicht denselben Mehrwert wie bei einkommensstarken und bildungsnahen Personen, die das Internet in Bezug auf das Informationsverhalten gezielter und gewinnbringender nutzen. Der Globale Süden kann so seine Nutzungskompetenz nicht stärken – auch wenn er das wollte. Das Internet darf mittlerweile nicht nur als Ort der Zerstreuung, sondern muss auch als Katalysator für Bildung betrachtet werden.

In Anbetracht dieser Punkte sind die Narrative des Internets – Partizipation, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Netzneutralität, Wissensverteilung – nicht mehr konsistent. Die Realität hat die Digitalisierung längst eingeholt: Die Wohlstands- und Machtverhältnisse werden im Netz reproduziert. Eine technologische Souveränität erscheint angesichts dessen für die Länder des Globalen Südens utopisch. Um die Situation zu ändern, wären politische Maßnahmen ein erster Schritt. Jahrzehnte nach der Entwicklung des Internets fehlen solche Richtlinien noch immer – auch im Globalen Norden. Möglicherweise kann der Globale Süden, wie das Beispiel Indien zeigt, eine Vorreiterrolle einnehmen. Das Verbot von „Free Basics“ hat Vorbildcharakter und weist die Arroganz des Globalen Nordens in die Schranken. Denn je abhängiger sich eine Regierung von der Dateninfrastruktur der Tech-Unternehmen macht, desto stärker unterwirft sie sich ihren kolonialen Bestrebungen.

Mögliche Ideen für eine Art „Digital New Deal“ wären verpflichtende Kooperationen von US-amerikanischen Digitalunternehmen mit Unternehmen des Globalen Südens, eine dezentrale Datenspeicherung oder die Stärkung von Open-Source-Programmen. Von einer energischen Einschränkung oder einem Verbot der Plattformen ist abzuraten, da sie Nutzerbedürfnisse erfüllen und sich die Regierungen nur selbst zur Zielscheibe von Kritik machen würden – Stichwort Zensur. Diese Mammut-Aufgabe kann allerdings nicht allein die Politik meistern. Denkbar sind Kollaborationen mit Organisationen, Verbänden, Vereinen oder sozialen Bewegungen. Auch Medienentwicklungsarbeit (zum Beispiel mit der Deutschen Welle) kann den Aufbau eigener technologischer Start-ups fördern. Im Bildungsbereich können Programme eingeführt werden, die über Medienkompetenz hinaus, jungen Menschen eine qualifizierte und wertvolle Ausbildung im digitalen Bereich anbieten.

Die Position des Globalen Südens in Kontrast zu denen der Tech-Unternehmen ist nicht so schwach, wie sie zunächst scheint. Sie bieten einen wenig berührten, dafür aber großen Markt mit einem enormen Entwicklungspotenzial. Ähnlich wie Indien muss die Politik die Chancen und Risiken abwägen und sich bewusst werden, dass es sich bei der Digitalisierung am Beispiel „Free Basics“ nicht um ein Alles-oder-Nichts-Szenario handelt. Soll heißen: Eingeschränktes Internet muss nicht zwangsläufig die bessere Option darstellen als gar kein Internet. Die politischen Entscheidungen des Globalen Südens werden zeigen, welche Rolle ihre lokalen Tech-Unternehmen in Zukunft einnehmen werden – und ob sie sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten von Google und Co. entwickeln.

Quellen:

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