Die Sonne geht gerade erst auf. Nebelschwaden ziehen im gelb-orange gebrochenen Licht über die Felder. Ein dunkles Etwas bewegt sich langsam in der Ferne. Nur das Haupt ragt aus der goldenen Gerste heraus. Der Blick durch das Fernglas schafft Klarheit. Ein schwarzer Rehbock. Ein „Spießer“, wie dieser Bock im Jägerjargon genannt wird. Christian Mau erkennt ihn an seinen zwei Stangen, also dem Geweih ohne Verzweigungen. Der 35-jährige Jäger aus Niedersachsen schätzt das Alter des Tieres auf ein Jahr. Wir beobachten das Reh noch eine ganze Weile aus dem olivgrün lackierten VW Caddy, ehe es uns bemerkt und davonrennt. „So ein Anblick ist selten.“, flüstert Mau. Er bedeutet ihm viel. „Wild zu beobachten ist cool und interessant. Es lässt mich den Stress des Alltags vergessen, fühlt sich gut an und bringt mich in engen Kontakt mit der Natur. Auch darum bin ich vor fast zehn Jahren Jäger geworden.“. Das Schießen, so sagt er, ist der kleinste Teil der Jagd. Und doch stehen er und seine Jagdkameraden gerade deshalb in der Kritik – bei Natur- und Tierschutzverbänden sowie weiten Teilen der Gesellschaft. Sie töten Wildtiere zum Fleischerwerb. Aber auch aus Gründen des Naturschutzes – zumindest aus Sicht der Jäger.
Balanceakt zwischen Nahrungsbeschaffung und Naturschutz
Die Gräser streifen den Unterboden des Autos, während wir langsam durch die Felder fahren. Mau erklärt: „Die Jagd hat viele Gesichter. Natürlich geht es einerseits darum hochwertiges Wildfleisch für Nahrungszwecke zu beschaffen. Aber es geht auch um die Hege und Pflege der Wildbestände. Genauso wichtig ist es, Schäden in der Landwirtschaft zu vermeiden und die Artenvielfalt zu fördern. Das alles in Einklang zu bringen, ist oftmals gar nicht so einfach.“.
Er beschreibt, wie die Jagd in Deutschland streng reguliert ist. Jeder Schuss muss gut überlegt sein, denn es gibt Abschusslisten, die mit den Behörden abgestimmt sind. Die Jagd des „Raubwildes“ beispielsweise. Dazu gehören Füchse, Marderhunde, Dachse, Waschbären, Marder, Wildkatzen, Iltisse, Nerze, Hermeline und Wiesel. Sie sei unabdingbar, um das Niederwild, also Wildkaninchen, Rebhühner, Fasane und Hasen im entsprechenden Revier zu schützen – und damit auch die Artenvielfalt. „Füchse haben keine natürlichen Feinde. Wenn wir ihren Bestand nicht regulieren würden, gäbe es hier kaum Wildkaninchen oder Rebhühner.“. Der Naturschutzbund „NABU“ sieht das anders. Er setzt sich kritisch mit der Jagd auseinander, lehnt sie aber nicht prinzipiell ab. In einem Artikel aus 2015 zum Thema, ob Jagd und Naturschutz vereinbar seien, schreibt der NABU: „Weder das Abschießen von Tieren noch die Hege, die zumeist einseitig nur jagdbare Tiere fördert, ist notwendig, um die Natur in unserem Lebensraum zu schützen und zu erhalten.“.
Das Wild im Blick
Wir halten an einem Waldrand. Mau zeigt auf eine Lichtung, auf der ein Mineral Leckstein und ein Hochsitz stehen. Nebendran ist ein Wildacker mit Mais. Auch Wildkameras sind hier platziert. „Hier füttern wir das Wild zusätzlich, um die jungen, neuen Bäume des angrenzenden Waldgebietes zu schützen. Wir versuchen, ein Gleichgewicht zu halten.“, erläutert er. „Und von hier aus beobachten wir die Tiere, vom Hochsitz oder mit den Wildkameras. So können wir feststellen, wie der Bestand im Revier ist und welche Stücke entnommen werden müssen.“. Auf dem Weg zu dieser Lichtung schleichen wir durch einen brusthohen, dichten Farnteppich. Der Jäger nimmt zum Schutz seine Waffe mit. Denn im Farn könnten immer Wildschweine lauern, klärt er auf.
An der Lichtung angekommen, besteigen wir einen Hochsitz. „Diese Fläche ist gut einsehbar und bietet uns die Möglichkeit das Wild lange und ruhig zu betrachten. Das ist auch für einen sicheren Abschuss wichtig.“, so Mau. Für ihn gibt es nichts Schlimmeres, als das Tier beim Abschuss nicht direkt zu töten. „Das Tier soll im Knall liegen. Ohne Qual.“. Ein Reh springt plötzlich über die Lichtung und verschwindet im Unterholz. Mau lächelt. „Es ist ein ständiges Abwägen. Wir wollen die Population gesund halten, aber auch verhindern, dass es zu viele Tiere werden, die den Wald und die Felder schädigen.“.
Jagd in der Kritik – trotz guter Ausbildung
Die Kritik an der Jagd ist laut. Tierschutzorganisationen wie PETA werfen den Jägern vor, Wildtiere ohne Grund zu töten und dabei unnötiges Leid zu verursachen. Ihre Motivation dazu würden sie rein aus der Lust am Töten, dem damit verbundenen Machtgefühl und der Trophäenjagd schöpfen. Auch in den sozialen Medien ist die Diskussion oft hitzig. Viele Jäger posten nur einen Schnappschuss eines erlegten Tieres, das in seinem eigenen Blut liegt. Das weckt negative Emotionen. „Mörder“ und „Tierquäler“ sind noch die harmloseren Beschimpfungen, die im Netz umhergehen. In Deutschland gibt es derzeit rund 435.000 Jagdscheininhaber, so die aktuellen Zahlen des Deutschen Jagdverbandes. Sie alle haben das „Grüne Abitur“ – wie Jäger die Jagdprüfung gerne betiteln – absolviert. Sie ist eine staatlich anerkannte Prüfung, die in drei Teile untergliedert ist: Die Schießprüfung, eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. Voraussetzungen für den Antritt zur Prüfung sind ein Mindestalter von 15 Jahren, ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis sowie die geistige und körperliche Eignung. Mau erklärt mir, dass er zum Bestehen der Prüfung sehr viel über Pflanzen, Tiere, Rechte, die Verantwortung und Ehre der Jagd lernen musste. Und auch eine ständige Weiterbildung sei Pflicht.
Jagd bedeutet Verantwortung
„Es ist eine Verantwortung“, sagt er ernst. „Eine Verantwortung, die nicht jeder übernehmen möchte und auch nicht jeder kann. Die Jagd hat sich verändert und wird sich weiter verändern. Auch die Vorschriften verändern sich – zum Schutze der Natur“. Als Beispiel spricht er das Verbot von Bleischrotmunition im Umkreis von 100 Metern um Feuchtgebiete herum an. Mittlerweile ist es kurz vor Mittag. Gejagt wurde heute noch nicht und dennoch hat sich der Jäger mehrere Stunden des Tages seinem Hobby gewidmet – ohne ein Tier zu töten. Solche Kontrollfahrten durchs Revier unternimmt er regelmäßig. Meistens früh morgens oder in der Abenddämmerung, denn zu diesen Zeiten zeigt sich das Wild am häufigsten.
Es ist dieser Zwiespalt, der die Jagd so kontrovers macht. Auf der einen Seite das Töten von Tieren, auf der anderen Seite der Schutz der Natur. Für Christian Mau ist es ein Balanceakt, der viel Verantwortung erfordert. Ein Balanceakt, den er mit Freude, Hingabe und Respekt ausübt.