Ein Text von Natalie Koch

Hoffnungen, Probleme und Lösungsansätze im Breitensport bei leeren Kassen – wie steht es um die Schwimmfähigkeit der Kinder?

Es ist kurz nach fünf Uhr am Nachmittag. Die Sonne ist nicht mehr ganz so warm wie noch vor ein paar Stunden. Ihre letzten Strahlen tauchen alles in ein warmes Licht. Schon von der Straße hört man Kinder lachen und das Platschen von Wasser.  Es ist die perfekte Zeit für eine Abkühlung nach einem langen, anstrengenden Tag. 

Am Eingang vorbei steigt einem sofort der Duft von frittierten Pommes in die Nase: Willkommen im Dorfschwimmbad Brombachtal! Viele Kinder tummeln sich am Beckenrand. Dazwischen stehen Trainer und Bademeister und geben Anweisungen.  Es ist laut. „Noch 25 Meter“ schreit jemand. Am anderen Ende der Bahn springen schon die nächsten Kinder ins Wasser. Es ist kein normaler Sommertag im Freibad – heute ist der deutsche Schwimmabzeichen-Tag.

Unter dem Motto „SCHWIMMEN IST FÜR DAS ÜBER-LEBEN WICHTIG“ veranstaltet der Deutsche Schwimm-Verband e.V. (DSV) mit der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und weiteren Organisationen und Verbänden seit 2023 den bundesweiten Schwimmabzeichen-Tag.

Eine lebenswichtige Fähigkeit

Joana Dingeldein von der DLRG-Ortsgruppe Bad König erklärt, dass es für sie wichtig ist, dass Kinder schwimmen lernen. Denn das sei  ja „lebenswichtig“. Es gebe so viele Flüsse, Seen und Meere, die immer eine Gefahr darstellten, im Urlaub oder im Alltag. „Und mit der Fähigkeit zu schwimmen kann man eben den Tod durch Ertrinken verhindern.“ Joana arbeitet ebenfalls an diesem Dossier und erzählt Geschichten von der Lebensrettung. 
                                                                                     

Kinder könnten die Gefahren des Wassers oft nicht einschätzen. Beim Schwimmenlernen steht für Joana  und ihrem Team die individuelle Förderung an erster Stelle. Mit ihrer Arbeit als Badeaufsicht wollen sie das Baden sicherer machen.

Hessen macht sich stark fürs Schwimmen

In Hessen, sagt Axel Dietrich vom Hessischen Schwimmverband, startete 2022 unter dem Motto „Hessen lernt schwimmen“ eine ähnliche Initiative. Unter dem Aspekt „wir müssen die Prüfungen und Abzeichen nochmal in den Fokus nehmen“ begann vor rund drei Jahren in Hessen das Programm „LÖWENSTARK“. Es ermöglicht, dass zusätzliche Schwimmkurse in Hessen durch staatliche Mittel gefördert werden.  Ziel der inzwischen bundesweiten Aktion ist es, möglichst viele Schwimmabzeichen abzunehmen. So sind 2024 laut DLRG 4.215 Seepferdchen- und 12.218 Schwimmabzeichen in Bronze, Silber und Gold abgenommen worden. Allein dies entspreche einer Steigerung von 24 Prozent gegenüber dem ersten bundesweiten Aktionstag im vergangenen Jahr. Axel Dietrich ergänzt: „Das Ziel der Abzeichen bleibt es, einen sicheren Schwimmer auszuweisen.“

Was bedeutet „Sicher schwimmen können“?

Nach Auffassung der DLRG sollte ein sicher schwimmendes Kind die Anforderungen des Jugendschwimmabzeichens Bronze erfüllen. Das Seepferdchen, bei dem sich ein Kind u.a. über eine Strecke von 25 Metern nur über Wasser halten muss, reicht nicht aus. In Schulen wird die Schwimmfähigkeit mittlerweile meistens in vier Niveaustufen eingeteilt, die höchste Stufe steht in Analogie zu Bronze.

Ideal wäre, wenn alle Kinder nach der Grundschule das Schwimmabzeichen Bronze besitzen oder Niveaustufe 4 erreicht hätten, sagt Axel Dietrich vom Hessischen Schwimmverband. Er betont auch, dass es ein großer Schritt wäre, wenn alle die Stufe 3 (100m Freistil) nach dem Ablegen des Seepferdchens erreichen würden. „Der Wunsch ist da, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass dies in absehbarer Zeit erreicht, wird“, so der Experte. Das liegt unter anderem an dem Mangel von Personal in den Schulen.

Schwimmfähigkeit in Deutschland 

Aktuelle Zahlen zur Schwimmfähigkeit in Deutschland gäbe es viele, aber die Repräsentativität müsse oft in Frage gestellt werden, sagt Dietrich. – Studien, die beispielsweise die Zahl der Nichtschwimmer:innen messen, seien kritisch zu betrachten. „Denn oft fehlt eine klare Definition dessen, was gemessen wird. Was heißt sicheres Schwimmen? Und wer bewertet am Ende die Fähigkeiten?“, fragt Axel Dietrich.

Die letzten offiziellen Zahlen der DLRG aus 2023 zeigen, dass immer weniger Kinder sicher schwimmen können. Die Zahl der Nichtschwimmenden im Grundschulalter hat sich innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Rund 20 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren konnten 2022 nicht schwimmen, wie das Forsa-Institut im Auftrag der DLRG ermittelte.

Absolute belastbare Zahlen, die darlegen, wer schwimmen kann und wer nicht, gibt es laut Dietrich nicht. „Die Zahl der Ertrinkungstoten können wir auszählen, die Zahl der Nichtschwimmer nicht. Es gibt zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen hat man früher nicht gezählt, das heißt es fehlen Vergleichszahlen. Und zum anderen werden auch die Abzeichen außerhalb der Aktionstage nicht überall gezählt oder gemeldet. Eine subjektive Wahrnehmung der Lehrkräfte in dritten Klassen ist, dass die Zahl der Nichtschwimmer gestiegen ist.“

Warum sinkt der Stellenwert des Schwimmens?

Man könnte von einem „Corona-Stau“ sprechen, so Dietrich. Da sind zwei Jahrgänge gar nicht schwimmen gegangen. Zusätzliche Bäderschließungen bedeuten längere Wege für Schüler:innen und Eltern, damit einher gehe eine Zusammenlegung von Wasserflächen und am Ende ein „Manpower Problem“. Das andere sei, dass Kinder grundsätzlich bewegungsärmer aufwüchsen, was ein generelles motorisches Entwicklungsproblem sei. „Und fürs Schwimmen speziell bedeutet das, dass wir eine andere Wertigkeit bei Eltern haben. Dies hat sehr unterschiedliche Gründe: Eltern, die das Schwimmenlernen nicht mehr als notwendig betrachten. Eltern aus anderen Kulturkreisen, für die das Schwimmen bisher nicht wichtig war“, erzählt Axel Dietrich. – „Die Diversität in der Gesellschaft wächst und dementsprechend wächst auch das Verständnis dafür, ob das Schwimmen erlernt werden soll oder nicht.“ 
 

Mangel an Bädern und Ressourcen

Die DLRG-Ortsgruppe Bad König kämpft vor allem mit infrastrukturellen Problemen. Es gibt viele Anfragen für Schwimmkurse, aber es fehlt an Bädern, Wasserzeiten und Personal. Somit können nicht so viele Kinder, wie gewünscht, das Schwimmen lernen. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen heutige Großeltern noch in kleinen Flüssen das Schwimmen lernten. Heute braucht es an erster Stelle auch ein verfügbares öffentliches Schwimmbad.

Schwimmabzeichenwoche

Der Fokus beim Schwimmabzeichentag, der sich inzwischen zu einer ganzen Aktionswoche entwickelt hat, liegt auf der Abnahme vieler Schwimmabzeichen. „Es soll deutlich werden, dass Schwimmenlernen ein Kulturgut in Deutschland ist“, sagt Axel Dietrich. „Und das Schwimmen können auch mehr als nur Sicherheitsaspekt ist – es ist auch für die die eigene Entwicklung wichtig, sich in einem anderen Medium zu bewegen.“

Langsam verschwindet die Sonne hinter dem großen Baum im Freibad. Inzwischen leert sich das Becken, viele Kinder verlassen heute glücklich das Bad. Für Joana und ihre DLRG-Ortsgruppe endet damit ein erfolgreicher Tag. Beim nächsten Besuch wird die Badekleidung vieler mit ihrem neuen Abzeichen geschmückt sein. Zu den schönsten Moment zählt für die Ortsgruppe, wenn die Kinder den Kurs bestandenen haben. Die strahlenden Kinderaugen und die sichtlich stolzen Eltern, wenn das Kind mit Schwimmabzeichen in der Hand zu ihnen rennt, sind die beste Belohnung für ihre Arbeit.

Share on:

Related Posts

Skip to content