Herr Reuter, Sie waren an der Entwicklung und Gründung von WiwoGreen beteiligt, dem Pionier unter den grünen Wirtschaftsmedien im deutschsprachigen Internet. Wie kam es dazu?
Es gibt bei der WirtschaftsWoche seit 2011 die Beilage „Green Economy“, die viermal im Jahr der WirtschaftsWoche beiliegt. Dieses Heftprojekt ist aus dem Ressort Technik & Wissen heraus entstanden, das heute Innovation und Digitales heißt. Die Beilage war sehr erfolgreich, sowohl was Werbeeinnahmen angeht als auch die Rückmeldung von den Lesern. Wir haben dann gemerkt, dass ein vierteljährliches Magazin der Dynamik im Bereich Nachhaltigkeit und grüne Energie überhaupt nicht gerecht wird. Jedesmal nach der Heftproduktion haben wir den riesigen Stapel an Themen angeschaut, die wir nicht im Heft bringen konnten. Wir dachten uns: Diese ganzen Entwicklungen und Startups sind viel zu toll, um sie einfach auf dem Themenstapel versauern zu lassen. Lasst uns die doch online vorstellen. Sebastian Matthes, damals Ressortleiter bei Technik & Wissen und ich haben dann zusammen die Idee und das Werbekonzept enwickelt.
Haben Sie mit so viel Erfolg gerechnet?
Wir haben es gehofft, aber man weiß nie, wie groß die Zielgruppe für so ein Thema ist. Nach dem Launch dachten wir, wir könnten sehr viele Leser erreichen, weil wir davon überzeugt waren, dass wir was Neues machen im Journalismus. Und wir dachten, dass sich auch Leute für das Thema begeistern, die sich dem bisher noch nicht zugewandt haben. Leute, die dachten, Öko macht keinen Spaß, und Technik sei unverständlich. Inzwischen hat die Seite rund eine halbe Million Seitenaufrufe pro Monat. Das ist dafür, dass wir häufig nur drei Artikel pro Tag bringen, sehr gut.
Das entschleunigte Werbekonzept ist eher untypisch.
Bei der Entwicklung des Portals haben sich natürlich neben journalistischen Fragen auch Fragen nach der Finanzierung gestellt. Uns kam nach viel Überlegen die Idee, spezielle Werbeplätze für ein Jahr zu verkaufen. So binden wir uns für ein Jahr an die Unternehmen, und die Unternehmen sich auch an uns. Mit den Werbepartnern machen wir Sachen über die Banner hinaus: Wir moderieren zum Beispiel Veranstaltungen der Unternehmen, wir haben sie auch schon mit klar gekennzeichneten Advertorials in die Berichterstattung eingebunden oder haben Diskussionsrunden auf der Seite gestreamt, in denen Leser live über Twitter Fragen stellen konnten. Das Besondere ist also einerseits das Commitment über längere Zeit und andererseits diese zusätzliche Zusammenarbeit.
Gab es Versuche seitens der Unternehmen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen?
Nein. Advertorials werden von den Firmen geschrieben und wir überprüfen, ob sie unseren Standards entsprechen, so wie das Medien bei Anzeigen auch machen. Was uns für Unternehmen natürlich attraktiv macht, ist, dass wir vor allem Lösungen vorstellen. Wir sind keine miesepetrige Plattform, die nur darüber schreibt, was alles nicht funktioniert.
Unterscheidet sich die Berichterstattung bei WiwoGreen in der Form von klassischem Wirtschaftsjournalismus?
Wir fahren eher unter der Blogfahne und bei der Erzählweise geht es ins Magazinige: Wir sind bunt, machen gerne Personengeschichten und sind nicht so kühl nachrichtlich. Alles Dinge, für die Magazine und Blogs stehen. Vom Ton und von der Herangehensweise unterscheiden wir uns da also schon.
Wie ist das Verhätnis zur WirtschaftsWoche?
WiwoGreen entstand ja aus dem Ressort Technik & Wissen, wo die Redakteure ohnehin viel Interesse an grünen Themen haben. Und WiwoGreen befruchtet inzwischen auch unsere Printausgabe, das ist ein Geben und Nehmen. Wir leben die Zusammenarbeit zwischen Online und Print vor. Das kann man auch gar nicht so trennen, viele Autoren schreiben für beides.
Was nehmen Sie mit aus zwei Jahren WiwoGreen?
Ich habe gemerkt, dass unsere Autoren dieses Thema lieben und leben, und sie deshalb natürlich anders damit umgehen als wenn sie über etwas schreiben, dass sie nichts angeht. Vielleicht kann man das mit Sportberichterstattung vergleichen, wo sich die Reporter auch für Vereine oder Sportarten begeistern. So ist das bei uns auch. Alle die an Bord sind, finden es faszinierend, wenn ein cooles Startup oder eine coole Technik um die Ecke kommt, die die Welt erobern könnte.
Sind Sie als Privatperson und Journalist bemüht, einen nachhaltigen Lebenswandel zu führen?
Das würde ich schon sagen, die Frage ist, ob mehr als andere. Klar beziehe ich Ökostrom, kaufe Biolebensmittel, gehe bewusster mit Sachen um, schmeiße nicht so viel weg und habe keine Auto, sondern fahre nur öffentliche Verkehrsmittel und Fahrrad. Gleichzeitig vermisse ich das Auto auch nicht und finde, dass Biolebensmittel besser schmecken. Das hat also nichts mit Verzicht zu tun.
Der Begriff „Verzicht“ wird in den Medien im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sehr kontrovers verwendet. Was denken Sie darüber?
Das hängt davon ab, wie radikal man den Begriff ansetzt. Heißt Verzicht nicht mehr zu fliegen? Dann fallen die USA als Urlaubsziel raus. Ich fliege, reise auch nach Übersee und möchte da ungern drauf verzichten, weil es mir viel gibt und ich es für wichtig halte, dass Menschen sehen, wie andere Menschen leben. Ich möchte Verzicht nicht so radikal auslegen, aber ich glaube, jeder hat ein paar Sachen in seinem Alltag, auf die er gut verzichten kann, ohne sich einschränken zu müssen.
Hat ihre Arbeit ihr Verhalten da beeinflusst?
Nachdem man einmal über die konventionelle Hühnerhaltung recherchiert hat, will man am liebsten nur noch Demeter-Eier kaufen. Aber vor allem will ich die Dinge, die ich eh schon gemacht habe, besser verstehen. Als Radfahrer interessiert mich zum Beispiel, wie Städte Radwege planen, ob eine Kreuzung sicher ist für Räder und wie man mehr Leute dazu bekommt, Fahrrad zu fahren. Da überschneiden sich die Interessen. Es ist aber glaube ich noch nicht vorgekommen, dass ich eine Geschichte recherchiert und daraufhin mein Konsumverhalten völlig umgestellt habe. Sie bestätigen mich eher in meinem Lebensstil.
Sie haben kürzlich ein Streitgespräch um die Frage moderiert, ob Klimaschutz und Nachhaltige Entwicklung mit dem derzeitigen Wirtschaftsmodell vereinbar sind. Wie stehen Sie zu der Frage?
Wenig akademisch ausgedrückt kann man sagen: Wir müssen runter mit unserem Komsum. Ob wir dafür den Kapitalismus abschaffen oder auf Wachstum verzichten müssen, da muss man einen Ökonom und einen Wirtschaftsphilosophen fragen. Aber es ist Fakt, dass wir zu viel Müll produzieren, zu viele Rohstoffe verbrauchen und eine ganze Menge unsinnigen Konsum haben, den wir nicht brauchen und der auf die Umwelt negativ durchschlägt.
Aber wenn man die große Systemfrage stellt, dann glaube ich schon, dass die derzeitige Wirtschaft Innovation fördert, wenn die Politik kluge Rahmenbedingungen schafft. Die erneuerbaren Energien sind das beste Beispiel. Ich glaube, dass Kapitalismus, von einer klugen, umsichtigen Politik flankiert, die sagt, Umweltschutz ist wichtig, funktionieren kann.
Inwiefern darf und soll Journalismus die Wirtschaft in eine bestimmte Richtung leiten?
Ein gutes Beispiel ist der Guardian mit seiner Divestment-Kampagne (Anmerkung der Redaktion: In der Aktion „Keep it in the Ground“ fordert der Guardian große Unternehmen und Gesellschaften wie Banken oder Universitäten dazu auf, ihre Vermögen aus Geldanlagen in fossilen Rohstoffen abzuziehen. Auch die Kirche soll dazu gebracht werden auf diese Weise eine Nachhaltige Entwicklung zu fördern.) Die ist für deutsche Journalisten sehr überraschend, weil es in Deutschland nicht Tradition ist, dass ein gesamtes Blatt eine Position ergreift und eine Kampagne macht. Das kennt man bei uns eher aus den Boulevardmedien. Aber ich halte das für wichtig.
Eine Haltung zu haben ist für Journalisten also in Ordnung?
Die ist sogar geboten und nötig. Das ist wie bei der Flüchtlingsfrage: Man muss darüber diskutieren, wie man im Detail damit umgeht. Aber dass es nicht in Ordnung ist, wenn im Mittelmeer hunderte Flüchtlinge ertrinken, darüber brauchen wir nicht zu streiten, das ist ganz klar bei unserer europäischen Werteordnung. Und dazu gehört eben auch, die Umwelt nicht zu zerstören und den Nachfahren eine intakte Erde zu hinterlassen, das ist für mich nicht zu diskutieren.
Inzwischen arbeiten Sie für die Huffington Post. Dort schreiben viele Vertreter aus Politik und Wirtschaft in ihren eigene Blogs. Ist das noch neutraler Journalismus?
Das hatten wir bei der WiwoGreen auch, vor allem Fachtexte von Wissenschaftlern, die Texte mit einem anderen Mehrwert produzieren können. Diese Beiträge sind nicht klassisch journalistisch, das gilt auch für Politikerbeiträge. Aber man weiß, wer der Absender ist, und dass ein Grünenpolitiker nicht die Abschaffung der Umweltzonen fordert, ist klar. Vor allem sind seine Argumente spannend. Denen muss man ja nicht zustimmen. Leser können sehr gut damit umgehen und das einordnen. Die Idee hinter solchen Beiträgen ist es, dass sie eine Debatte auslösen. Dafür steht die HuffingtonPost. Ich finde es positiv, vielen Leuten die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern.
Sie haben schon öfters aus den USA berichtet. Wie nehmen Sie die grüne Medienszene dort wahr?
Die sind da schon sehr viel weiter als wir hier in Europa. Man kann nur neidisch sein, was da gemacht wird und gut sehen, was möglich ist. Hier ist ja nicht alles schlecht, es gibt gute Portale wie Utopia, Klimaretter oder Grüner Journalismus. In Deutschland sind wir aber noch dabei, der Nische zu entwachsen. Das läuft auf sehr kleinem Niveau und wird von Leuten gemacht, die begeistert sind, die wahnsinnig viel Herzblut reinstecken. In den USA gibt es mit Treehugger, Grist, Thinkprogress und vielen andern große, tagesaktuelle Portale, die das Thema „Green“ ganz umfassend behandeln, toll aufbereiten und Millionen Leser erreichen. Das sind Zahlen, von denen wir in Deutschland weit entfernt sind. Das hat auch damit zu tun, dass der Medienwandel dort allgemein viel weiter fortgeschritten ist als hier, also alternative Medienmarken von den Lesern sehr viel besser angenommen werden und auch Blogs einen sehr viel höheren Stellenwert haben. Traditionelle Medien haben dort schon sehr viel mehr Einfluss verloren. Aber das wird hier genauso passieren, es dauert einfach seine Zeit.