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Zwischen den Fronten – wie EU-Naturschutzgesetze medial inszeniert werden

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Alles hängt am Großen Mausohr: Die bedrohte Fledermaus bewohnt das Munitionsdepot in der Nähe von Köln, das abgerissen werden soll. (Quelle: flickr.com, Dietmar Nill)

von Claudia Baier

Reichshof in der Nähe von Köln: Auf dem Gelände eines alten Munitionsdepots soll eine neue forensische Klinik entstehen. Im Jahr 2012 wurde der Standort vom Gesundheitsministerium bekannt gegeben – es ist einer von fünf Standorten im Bundesland NRW, an denen Maßregelvollzugskliniken zur Unterbringung psychisch kranker Straftäter entstehen sollen. Das Projekt stößt seit der Bekanntmachung auf Gegenwind in der Bevölkerung. Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen den Neubau. Mit Unterschriftensammlungen und tausenden Flyern versuchen die Mitglieder, das Projekt zu stoppen. Jetzt haben sie neue Hoffnung: den Naturschutz. Die Oberbergische Volkszeitung schreibt dazu: „Derweil wächst auch innerhalb der Bürgerinitiative die Hoffnung, dass letztlich das Thema Naturschutz den Standort kippen könnte. Schließlich ist das Gelände um das ehemalige Munitionsdepot das einzige Paarungsgebiet für die streng geschützte Fledermausart Großes Mausohr.“

Der Naturschutz als Retter für eine Bürgerinitiative? Immer wieder tauchen Berichte über verhärtete Fronten zwischen Naturschutz und Bauvorhaben auf. Das Reichshofer „Große Mausohr“ reiht sich in eine mittlerweile beträchtliche Gruppe an tierischen „Protestanten“ ein, die in den Medien ein großes Echo hervorrufen.

Keine Grenzen für die Kreativität

Eine journalistische Faustregel sagt: „Kinder und Tiere gehen eigentlich immer.“ Je kleiner und niedlicher, desto besser. Gut ist es auch, wenn eine Geschichte an einem Einzelschicksal erzählt werden kann. Dazu noch das Motiv einer Heldenreise, eines ungleichen Kampfs, David gegen Goliath, und fertig ist der perfekte Aufmacher für jeden Zeitungsartikel. Die Protagonisten sind dabei durchaus austauschbar: Kammmolch, Feldhamster oder Juchtenkäfer stehen Autobahnen, Kohlekraftwerken und neuen Bahnhöfen gegenüber. Besonders gut scheint sich die tierische Demonstrantengemeinde auch immer dann zu eignen, wenn es um das Texten von Überschriften geht: Wenn „Der Fluch der Mopsfledermaus“ (National Geographic) zu „Tierischem Zoff“ (DRadio Kultur) führt, und es dann heißt „Kammmolch oder Mensch?“ (Allgemeine Zeitung), „Wenn bedrohte Tiere bremsen“ (Süddeutsche.de) und deswegen „Deutschland mächtigste Blockade-Tiere“ (WELT.de) eigene Portraitserien bekommen und schlussendlich nur die Frage bleibt: „Bringt Mopsfledermaus Hahn zum Absturz?“ (Trierischer Volksfreund) – dann hat man zumindest gewonnen, was eine gute Überschrift erreichen soll: die Aufmerksamkeit des Lesers. Auch wenn die Artikel selbst nicht ganz so viel Wortwitz haben, wie die Überschriften erahnen lassen – journalistisch bietet der Konflikt zwischen Natur und Bauprojekt durchaus viel Stoff.

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Nicht selten liefern bedrohte Arten Munition für die Gegner von Groß-Bauprojekten. (Quelle: flickr.com, PAPFOO)

So wird eine kleine Art sehr schnell sehr berühmt, besonders dann, wenn das betroffene Großprojekt schon ohne Naturschutz in Missfallen geraten ist. Prominente Beispiele: Der Juchtenkäfer, der seine Heimat gleich neben dem umstrittenen Bahnhof in Stuttgart hatte, die kleine Hufeisennase, die zum Demonstranten gegen die Dresdener Waldschlösschenbrücke wurde oder, wie im aktuellen Fall, das Große Mausohr in der Nähe der Forensischen Klinik bei Reichshof.

Aber worum geht es hier eigentlich?

Wichtiges Gesetz: die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

Formal gesehen kollidieren bei solchen Streitfällen die Interessen von Bauherren mit denen des Naturschutzes. Der Konflikt ist nicht beabsichtigt, er kann aber erhebliche Konsequenzen haben – für beide Seiten.

Bei jeder Bauplanung muss im Vorfeld geprüft werden, inwieweit die Arbeiten oder das Bauwerk selbst die Natur beeinträchtigen. Dafür werden von den Bauherren Studien in Auftrag gegeben. Diese werden dann von Landschaftsplanungsbüros wie zum Beispiel dem Büro „Ökotop“ in Halle an der Saale durchgeführt. „Wir prüfen bei so einer Studie, welche Schutzgüter sich in der Nähe befinden, ob Schutzgebiete in der Nähe beeinträchtigt werden und ob eventuell ein Schaden entstehen kann“, sagt Susanne Schuldes, Landschaftsplanerin bei Ökotop. „Wenn wir etwas finden, müssen die Projekte gegebenenfalls geändert werden.“

Im Mittelpunkt stehen bei den Studien die Umweltverträglichkeit und damit auch eine Artenschutzprüfung. In der Nähe von ausgewiesenen Schutzgebieten wird außerdem eine sogenannte „FFH-Verträglichkeit“ geprüft. Die EU-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, kurz Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), ist eine der wichtigsten Naturschutzregelungen auf europäischer Ebene, zusammen mit der Europäischen Vogelschutzrichtlinie.

Sie zeichnet eine Reihe von Gebieten aus, die als besonders schützenswert gelten. Diese Gebiete sind im Verbundnetz Natura 2000 zusammengefasst. Daneben gibt es auf Bundes- und Landesebene eine Reihe weiterer Regelungen. Alle haben gemeinsam, dass sie als Gesetze wirken und es bei ihrer Umsetzung keinen Spielraum gibt. In der Praxis bedeutet das: Stellt ein Gutachten negative Auswirkungen für ein Schutzgebiet fest, muss der Bauherr in jedem Fall Schritte einleiten, um potenziellen Schaden abzuwenden.

Fehlende Sorgfalt bei der Artenschutz-Prüfung

Juchtenkäfer und Feldhamster fallen dabei unter die Kategorie „planungsrelevante Arten“. In Anhang II und IV der FFH-Richtlinie werden alle Arten zusammengefasst, die entweder eine besondere Rolle in dem jeweiligen Schutzgebiet darstellen oder europaweit gefährdet sind. Dazu gehören auch alle Arten der nationalen „Roten Liste“ für gefährdete Arten. All diese Arten gelten als besonders schützenswert. Die Gutachten müssen deswegen zweifelsfrei belegen, dass keine Gefährdung vorliegt. Die Studien werden in der Regel bei jeder Bauplanung durchgeführt.

Wie kann es dann aber sein, dass seltene Fledermäuse ganz plötzlich auftauchen wie im Fall der Dresdner Waldschlösschenbrücke? „In der Regel dürfte so etwas nicht passieren“, sagt Susanne Schuldes. „Aber wenn nicht ordentlich geprüft wird, dann kann einem das natürlich im Nachhinein auf die Füße fallen.“ Wenn im Nachhinein eine bedroht Art nachgewiesen werden kann, dann könne man klagen, so Susanne Schuldes.

Umweltverbände dürfen seit 2011 klagen

Bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Jahr 2011 konnte man nur dann gegen ein Bauvorhaben klagen, wenn man persönlich betroffen war. Seit dem Urteil können auch Umwelt- und Naturschutzverbände vor Gericht ziehen, wenn sie eine Gefährdung des Naturschutzes befürchten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) oder der Naturschutzbund NABU haben das in den vergangen Jahren bereits getan.

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Der Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke in Dresden wäre beinahe durch eine Fledermausart verhindert worden. (Quelle: flickr.com, nemodoteles)

„Es geht uns in der Regel nicht darum, ein Bauprojekt zu stoppen um des Stoppens willen. Sondern es geht darum, Verbesserungen bei den Planungsabläufen zu erreichen“, sagt Rüdiger Rosenthal, Pressesprecher des BUND. „Und meistens geht es darum, Kompromisse zu finden.“ Wenn ein Projekt gestoppt werde, dann habe das oft viel weitere Gründe als das Vorkommen einer einzelnen gefährdeten Art, so Rosenthal. „Die Medien verkürzen diese Konflikte oft. Der Nachweis einer bedrohten Art ist häufig ein letztes Mittel der Naturschützer, wenn zuvor keine andere Lösung für einen Kompromiss zwischen dem nötigen Naturschutz und dem konkreten Bauprojekt zu finden war.“

Seltene Arten als Wirtschafts-Schädlinge

Vermeintlich besonders großen finanziellen Schaden verursachen die kleinen Protest-Tiere häufig dann, wenn sie im Wirtschaftsteil stehen. In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom August 2010 wird mit Fledermäusen, Feldhamstern und Schweinswalen abgerechnet – und zwar wortwörtlich. Dort wird eine ganze Reihe von Fallbeispielen beschrieben, bei denen aufgrund von Naturschutzmaßnahmen Kosten für Bauprojekte nahezu explodierten.

Ein Beispiel: Die Großtrappe, ein fast ausgestorbener und sehr großer Vogel, brütete genau dort, wo eine neue ICE-Trasse von Hannover nach Berlin verlaufen sollte. Für 20 Millionen Euro wurden auf sechs Kilometern Länge Erdwälle aufgeschüttet, um den großen Vogel nicht zu beeinträchtigen. „Die 20 Millionen Euro zeigen Wirkung: (…) Rund 100 Großtrappen werden jetzt gezählt, anstelle der 50 Mitte der neunziger Jahre. 20 Millionen Euro geteilt durch 100 Trappen ergeben 200 000 Euro je Tier“, schreibt die FAZ. Aber ist die Rechnung wirklich so einfach? Wie beziffert man den Wert eines Tieres, dessen Art kurz vor dem Aussterben steht? Laut Landschaftsplanerin Susanne Schuldes sind Fälle wie der der Großtrappe Ausnahmen. „Wenn Ausgleichsmaßnahmen für ein Projekt durchgeführt werden müssen, dann entstehen in jedem Fall Mehrkosten“, sagt sie. „Aber verglichen mit den Gesamtkosten der Vorhaben liegen diese meist im einstelligen Prozentbereich.“ Überhaupt werden die wenigsten Bauprojekte tatsächlich gestoppt.

Instrumentalisierung des Naturschutzes

Doch es sind wohl gerade diese wenigen Fälle, die das größte Medienecho erfahren. „Der Naturschutz wird in solchen Fällen gerne als Baustopper dargestellt“, sagt Franz-August Emde vom Bundesamt für Naturschutz. „Die mediale Darstellung dieser Fälle ist für uns ein sehr großes Problem. Der Naturschutz wird dann instrumentalisiert, um andere Interessen durchzusetzen.“ Der Fall der Reichshofer Forensik-Klink ist für ihn eines der besten Beispiele dafür. Dort werde ganz offen darüber geredet, den Naturschutz als letztes Mittel gegen den Neubau der Klink einzusetzen. „Der eigentliche Sinn, die Natur zu schützen, seht dann nicht mehr im Vordergrund.“ Die Entscheidung, ob das Gebiet um das alte Munitionsdepot in Reichshof offiziell als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden wird, fällt in den nächsten Monaten.

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