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Grimme-Preis-Träger Randelhoff: „Ein Masterplan von oben bringt nichts“

Martin Randelhoff (Quelle: privat)
Martin Randelhoff (Quelle: privat)

Von Lena Kasper

Wie kamen Sie auf die Idee, das Blog Zukunft Mobilität zu gründen?

Ich habe mich schon als Zehnjähriger viel mit dem Internet beschäftigt und eigene Webseiten gebaut. Als ich dann mit meinem Studium angefangen habe, wollte ich mich auch mit praktischen Aspekten von Logistik und Verkehr auseinandersetzen. Also habe ich im Netz nach passenden Portalen gesucht. Im englischsprachigen Raum gab es einiges, in Deutschland aber noch nichts. Der Mangel an Angeboten und meine Vorbildung haben im Endeffekt dazu geführt, dass ich mein eigenes Blog gegründet habe.

Was fasziniert Sie am Thema Mobilität?

Mobilität ist für jeden von uns extrem wichtig. Wer nicht mobil ist, kann an unserem heutigen Lebensstil nicht teilhaben. Gleichzeitig ist das Thema extrem komplex und vielschichtig. Jeder Mensch ist tagtäglich Verkehrsteilnehmer, trotzdem kann er viele Dinge nicht richtig einschätzen. Es gibt da eine große Kluft zwischen gefühltem und realem Wissen.

Können Sie uns ein Beispiel dafür nennen?

Ganz klassisch ist da das Thema Ampelschaltung. Egal wie man unterwegs ist, man hat immer das Gefühl, dass gerade die Ampeln rot sind, an denen man vorbei möchte.Dann ärgert man sich und fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt. In Wirklichkeit ist das aber ein sehr komplexes System, in dem ganz unterschiedliche Interessen vereint werden müssen, damit es überhaupt funktioniert.

Welche Mobilitätsthemen stehen zu stark im Fokus der Berichterstattung?

Der Fokus liegt vor allem auf dem motorisierten Individualverkehr. Auch die Elektromobilität wird eigentlich immer mit dem Auto in Verbindung gebracht. Dabei fahren Straßenbahnen schon seit 130 Jahren mit Strom, Elektromobilität ist also nichts Neues. Insgesamt konzentrieren sich Medien oftmals nur auf einzelne Bereiche in der Mobilitätsdebatte.

Und welche Aspekte werden dagegen kaum beachtet und vernachlässigt?

Der öffentliche Personennahverkehr wird völlig unterschätzt. Wenn beispielsweise über die Deutsche Bahn berichtet wird, geht es um Preiserhöhungen, Verspätungen oder Zugausfälle. Positive Dinge sind kaum ein Thema. Auch beim Radverkehr konzentriert sich die Berichterstattung eher auf negative Aspekte wie Kampfradler. Und das Thema Fußverkehr findet eigentlich gar nicht statt.

Immerhin werden Verkehrs- und Wirtschaftswachstum mittlerweile getrennt voneinander betrachtet. Trotzdem geht es nicht darum, Verkehr zu vermeiden, sondern ihn zu verlagern. Dabei könnte man den Raum auch so verändern, dass man Autos innerhalb der Stadt gar nicht mehr braucht.

Was ist das größte Problem am Umgang mit Mobilität in Deutschland?

Dass der Unterschied zwischen Mobilität und Verkehr oft vergessen wird. Mobilität ist nur ein Sekundärbedürfnis, das aus dem Bedürfnis nach Essen, Verdienst oder Bildung entsteht. Es ist aber kein Bedürfnis, das wir per se haben. Und Verkehr ist nur das Werkzeug, mit dem wir die gewünschte Mobilität erzeugen.

Wichtig wäre es, viel Mobilität mit möglichst wenig Verkehr zu erreichen. In den Köpfen vieler Menschen ist der Idealzustand aber genau anders herum: Verkehrswachstum ist toll und Verkehr sollte bevorzugt werden. Dabei könnten wir unsere Lebensqualität erhöhen, würden wir den Verkehr verringern.

Gibt es auch erfreuliche Entwicklungen in Deutschland?

Es entstehen immer mehr Bewegungen, die etwas von der Politik einfordern. Bürger erzeugen Druck, um Veränderungen zu erreichen. In Berlin haben beispielsweise 45 Prozent der Haushalte kein eigenes Auto mehr. Dadurch entsteht eine Diskussion, wie das Geld für die Infrastruktur genutzt werden soll. Schließlich profitieren viele Einwohner Berlins überhaupt nicht mehr davon, wenn das Geld komplett in den PKW-Verkehr investiert wird.

Außerdem gibt es immer wieder Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern: Autofahrer gegen Radfahrer, Radfahrer gegen Fußgänger, Fußgänger gegen Autofahrer. Der Verkehrsteilnehmer an sich ist schizophren. Je nachdem auf welche Weise er am Verkehr teilnimmt, fühlt er sich von den anderen gestört.

Mittlerweile versteht auch die Politik diese Problematik und versucht, etwas daran zu ändern. So will beispielsweise London mehr als eine Milliarde Euro in den kommenden Jahren in den Ausbau von Radwegen investieren. Das ist eine Entwicklung die zeigt, dass die Menschen die Probleme verstanden haben.

Welche Länder können beim Thema Mobilität ein Vorbild für Deutschland sein?

Da ist zum einen die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in Frankreich. In Deutschland zahlen der Fahrgast und der Staat für den ÖPNV, obwohl auch andere von ihm profitieren. Beispielsweise der Einzelhandel, der durch den öffentlichen Nahverkehr mehr Kunden bekommt, oder Grundstückseigentümer, deren Immobilen durch eine gute Anbindung im Wert steigen. In Frankreich muss daher jeder Arbeitgeber einen Prozentsatz der Lohnsumme als Steuer zahlen. Dieses Geld wird dann für den ÖPNV verwendet.

Woran wir uns außerdem ein Beispiel nehmen sollten, ist der gut funktionierende Rad- und der geringe Autoverkehr in Kopenhagen. Außerdem fände ich eine Bürgerbeteiligung ähnlich dem System der Schweiz sehr wichtig. Um Fragen zu klären, wie wichtig den Bürgern Verkehr eigentlich ist und wie in Zukunft damit umgegangen werden soll.

Sie schreiben auf ihrem Blog von einer Vision, den Lkw-Verkehr möglichst effizient auf die Schiene zu verlagern. Können Sie sich auch ein Konzept vorstellen, das den gesamten Verkehr in Deutschland nachhaltig macht?

Schwierig ist dabei erst einmal die Frage, was nachhaltiger Verkehr eigentlich ist. Er muss ökologisch gerecht und sozial verträglich sein, gleichzeitig darf die wirtschaftliche Entwicklung nicht eingeschränkt werden. Außerdem müssen die spezifischen Vorteile eines jeden Verkehrsträgers genutzt werden. Man muss das wählen, was in einer bestimmten Situation am sinnvollsten ist. Dabei wird es auch immer irgendwelche Schäden geben.

Ich bin niemand der sagt, das Auto an sich sei böse. Viele, die sich komplett gegen den PKW stellen, übersehen Situationen, in denen es ohne ein Auto schwierig wird. Als vierköpfige Familie ist es kaum bezahlbar, nur noch mit dem Zug in den Urlaub zu fahren. Und den ÖPNV so zu verändern, damit dieses Problem gelöst wird, geht nur auf sehr lange Frist.

Außerdem muss der Verkehr in Deutschland als ein Gesamtsystem verstanden werden. Dieses System hat sich in seinen aktuellen Zustand gebracht und das funktioniert auch irgendwie. Wenn ich daran etwas ändern will, muss ich an die Strukturen des Systems gehen und darf nicht nur an einzelnen Stellen arbeiten. Das ist schwierig, langwierig und teuer.

Ein Beispiel für nicht funktionierende Veränderungen ist die Mitnahme von Fahrrädern in die S-Bahnen. Eigentlich ist für die gar nicht genügend Platz. Und wenn dann mal zehn Räder drin sind, findet die Mutter mit dem Kinderwagen keinen Platz mehr. Und alle alten Waggons gegen neue mit mehr Raum eintauschen? Das wäre extrem teuer und auch wenig sinnvoll.

Auf welche Art könnte man denn dann etwas sinnvoll verändern?

Ich denke, ein Masterplan von oben bringt gar nichts. Wir brauchen Mut und müssen uns eigene Ziele setzen. Bürgermeister haben dabei die größte Macht. Sie könnten Pläne für ihre komplette Stadt entwickeln, die zum Beispiel bis zum Jahr 2030 gewisse Ziele vorgeben. In diesen Plänen wäre dann alles eingeschlossen: Mobilität, Energie, Wirtschaft und so weiter. Das Konzept stellt der Bürgermeister dann seiner Stadt vor und diskutiert mit den Bürgern darüber. Dann wird schnell klar, was gemacht werden muss, um die Ziele zu erreichen.

Dabei ist es wichtig, dass die Stadt als Organismus wahrgenommen wird. Oft wird nicht systemisch gedacht, doch eine Veränderung innerhalb einer Stadt hat Auswirkungen auf alles. Und wenn man das nicht bedenkt, kann diese Veränderung negativ sein. Ende der 80er Jahre hat so ein Konzept sehr gut in Freiburg funktioniert. Und der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg hat 2007 den 23-Jahre-Plan „plaNYCNewYork“ eingeführt, der die Stadt bis 2030 umweltfreundlicher machen soll. Auch in Deutschland müssen wir von den Kommunen ausgehen. Diese Veränderungen haben dann Auswirkungen auf das ganze Land.

Ihr Blog hat bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter auch den Grimme-Online Award im Jahr 2012. Ihre Arbeit wird also wertgeschätzt. Haben Sie außerdem das Gefühl, mit Ihrem Blog etwas zu verändern?

Die Artikel auf „Zukunft Mobilität“ sind sehr lang und nicht gerade einfach zu lesen. Es ist eine kleine Herausforderung, sich damit zu beschäftigen. Also denke ich, wenn jemand meine Beiträge liest, dann interessiert ihn das Thema auch. Und wenn er ihn dann gelesen hat, hat er sicher etwas dazu gelernt, vielleicht hat sich seine Sicht auf die Dinge etwas verändert und er zieht vielleicht auch seine Konsequenzen daraus. Dann hat das ganze doch schon einen Sinn.

Erstveröffentlichung im Januar 2014

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