Spätestens seit den Kriegsverbrechen in Butscha stellt sich nicht nur die Frage, ob Deutschland sich einen Gasverzicht aus Russland leisten kann. Die Begründung ist genau so entscheidend. Ein sofortiger Stopp der Gaslieferungen aus Russland stellt für Deutschland immerhin einen drastischen Schritt dar, der wohl kaum ohne massive wirtschaftliche Auswirkungen einhergeht.
Doch schwere Zeiten erfordern schwere Maßnahmen. Diese Zeitwende wird die Welt nachhaltig verändern. Deshalb ist es umso wichtiger, als einiges Europa ein Zeichen gegen Russland zu setzen.
Ein weiterer Aspekt, der für den Stopp von Gaslieferungen aus Russland spricht, liegt in alternativen Importmöglichkeiten von Gas. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DWI) hat in einer Studie im April errechnet: Deutschland kann auch ohne eigene LNG-Kapazität in diesem Jahr auf russische Gaslieferungen verzichten.
Voraussetzung dafür sind jedoch erstens nachhaltige Energieeinsparungen – und zweitens der Ausbau der Gaslieferung aus dem Ausland über bestehende Terminals in den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Dann sei die deutsche Versorgung auch ohne russische Importe für das laufende Jahr und den kommenden Winter 2022/23 gesichert.
Nur ein Teil des großen Ganzen
Allerdings muss der Tank rechtzeitig vor Beginn der Heizperiode zu 80 bis 90 Prozent gefüllt sein. Höhere Lieferungen aus Norwegen können laut DWI bereits ein Fünftel der Importe von mehr als 50 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ersetzen. Alternative Gasimporte stellen aber nur einen kleinen Teil des großen Ganzen dar.
Um den Wegfall russischen Gases zu kompensieren, werden Einsparungen notwendig sein. Etwa das Absenken von Raumtemperaturen während der Hitzeperiode oder durch weniger Wasserverbrauch in Privathaushalten. Weiterhin gehen Wirtschaftsforscher und Forscherinnen davon aus, dass die Industrie den Gasverbrauch um bis zu einem Drittel senken kann. Für das Erreichen dieses Zieles muss, wo technisch möglich, Wärme mit Strom, Kohle oder Biomasse statt mit Erdgas erzeugt werden.
Ein notwendiges Risiko
Eines darf man bei all der Kalkulation nicht außer Acht lassen: Sollte Deutschland in Zukunft vollständig auf russische Gaslieferungen verzichten, bleibt diese drastische Maßnahme sicher nicht ungesühnt. Die russischen Sanktionen, die Moskau auf den Weg gebracht hat, werden auch deutsche Unternehmen treffen. Gleichzeitig käme Deutschland im Falle des Stopps der Gaslieferungen und Einsparungen der Haushalte einigermaßen über den Winter, so Bundeswirtschaftsminister Habeck.
Deutschland würde mit dem kompletten Verzicht auf russische Gaslieferungen ein hohes Risiko eingehen und ein Schritt wagen, den die deutsche Wirtschaft zu spüren bekommt. Dieses Risiko ist aber ein notwendiges Risiko und fördert die Unabhängigkeit. Damit das Vorhaben gelingt, müssen die Bürger und Bürgerinnen Deutschlands auch einen Teil dazu beitragen.