Interview: Lennart Otto
Herr Rose, was macht den Sonnenhof speziell aus?
Der Sonnenhof ist eine Einrichtung der Stiftung Nieder-Ramstädter Diakonie. Wir sind eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderung, der Hauptschwerpunkt ist also die Unterstützung und Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung. Hauptsächlich handelt es sich dabei um geistige Behinderung aber in manchen Fällen auch um Mehrfachbehinderungen. Das heißt in erster Linie ist der Sonnenhof für die Menschen da. Der zweite Schwerpunkt ist dann die Produktion. Dort haben wir die Hauptrichtungen Ackerbau, Milchviehstall und Weiterverarbeitung der Produkte Milch und Kartoffeln.
Wie fand die Entwicklung bis heute statt? Womit haben Sie angefangen, wie haben Sie das Angebot erweitert?
Der Sonnenhof besteht seit 1899. Damals stand er noch unten im Dorf. Der Hof ist mehrmals abgebrannt und dann hier oben 1973 neu aufgebaut worden. Dazu wurden neue Wohnplätze errichtet. Damals waren es 16 Wohnplätze und die Mitarbeiterwohnungen. Es wurde hauptsächlich Milchvieh gehalten und Ackerbau betrieben, also Getreide, Kartoffeln und Futter. Im Laufe der Zeit hat man sich dann Gedanken gemacht: Wie können wir uns so weiterentwickeln, dass wir Arbeitsplätze anbieten können für die Menschen und dabei auch wirtschaftlich arbeiten? Wir sind dazu angehalten, die schwarze Null zu erzielen.
So hat man im Jahre 1993 als erstes den neuen Kuhstall gebaut. Im Jahr 2000 haben wir uns dazu entschlossen, die produzierten Kartoffeln hier im Betrieb zu schälen. Wir haben angefangen mit 14 Leuten. Mittlerweile arbeiten in dem Betrieb 25 Menschen, zuzüglich der Betreuer. Im nächsten Jahr wird alles komplett renoviert. Wir werden eine neue Käserei bauen, die Quark, Joghurt und Käse produziert. Das wird eine spannende Weiterentwicklung. Darum haben wir auch lange gekämpft. Gerade in den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Bioprodukten weiter gestiegen.
Wen beliefern Sie mit den Produkten? Bleibt alles in der Region?
Ja, wir sind unterwegs im Rhein-Main Gebiet. Im nördlichsten Teil beliefern wir im Main-Taunus-Kreis eine Catering-Firma, irgendwo hinter Frankfurt. Im Süden geht die Milch bis nach Heidelberg in ein italienisches Café. Westlich bis nach Mainz und im Osten bis nach Aschaffenburg.
Die meisten Produkte gehen an Caterer, die die Sachen dann weiterverarbeiten. Zum Beispiel in Darmstadt sind es die kommunalen Betriebe der Stadt, die mittlerweile sechs Schulen bekochen. Da liefern wir Kartoffeln und zukünftig hoffentlich auch Milch. Ein weiterer großer Abnehmer sind die Studierendenwerke in Darmstadt, deren Mensen von uns mit Milch und Kartoffeln beliefert werden. Dazu kommen dort noch die Krankenhäuser und Altenheime.
Wir beliefern bewusst ein großes Einzugsgebiet. Es ist manchmal ein weiter Anfahrtsweg, aber wenn mal eine Kunde wegbricht, dann reißt das für uns kein Loch. Es gibt Einrichtungen, die beliefern nur einen einzigen Caterer und da kann schnell mal was passieren. Wir haben insgesamt 36 Kunden, um das zu umgehen. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist groß genug, sodass wir schnell Ersatz finden, wenn mal ein Kunde wegbrechen sollte.
Wie funktioniert die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen?
Das ist unterschiedlich. Die Leute freuen sich, wenn sie einen sehen, umarmen einen. Man sollte offen sein für diese Menschen. Bei mir ist das einfach gewachsen. Wenn man neu reinkommt in so eine Werkstatt – ich habe ja auch neue Kollegen hier, die jetzt eingearbeitet werden – dann ist das erstmal eine Herausforderung. Wenn mal einer laut wird, schreit, es Streit oder Liebesprobleme gibt, ist es manchmal schwer, mit diesen Menschen umzugehen. Dazu braucht man Erfahrungen. Die musste ich auch sammeln, viele Jahre, bis ich da war, wo ich jetzt bin. Dann entstehen Anerkennung und Vertrauen. Das ist sehr wichtig.
Und wie genau läuft das bei der Produktion ab?
Bei der Produktion ist das so, dass sogenannte „Fitte“, solche, die ihre Arbeit relativ normal verrichten können, die Leistungsträger sind. Die sitzen dann an den Schnittstellen, also beim Absacken, Zuschweißen, Milch abfüllen oder Kartoffeln schneiden. Die Menschen, die nur wenige Handgriffe können, bearbeiten dann die Kartoffeln nach. Ohne die Mitarbeit – sowohl von den Kollegen als auch von den Menschen mit Behinderung – würde das Ganze nicht funktionieren.
Offensichtlich ist das eine sehr menschennahe Arbeit. Inwiefern hat die Coronazeit dem geschadet?
In der Coronazeit haben wir ein halbes Jahr ohne unsere Beschäftigten gearbeitet. Das war schwer, weil wir die Arbeit mit den Kollegen allein machen mussten. Von Vorteil war, dass wir weniger Aufträge hatten, da die Studierendenwerke geschlossen waren. Schwer war es vor allem, für die Menschen mit Behinderung, die verwurzelt sind in diesem Betrieb und nicht mehr kommen durften. Die haben regelrecht geweint und waren froh, als wir wieder aufgemacht haben.
Das war eine Belastung, muss man ehrlich sagen – vor allem weil wir nicht wussten, wie es weiter geht. Wir haben immer gesagt: „Wir geben nicht auf, wir lassen es weiterlaufen.“ Das haben wir auch gemacht, mit vielen Anstrengungen, mit Arbeit am Sonntag und so weiter. Wir haben alles durchgezogen und das Endresultat ist, dass wir jetzt umbauen können, um Platz zu schaffen für Neues.
Der Klimawandel sorgt für trockene Sommer in denen Wasser knapp wird. Wie ist der Hof darauf vorbereitet?
Bei den Kartoffeln arbeiten wir mit Vertragspartnern aus der Region zusammen. Die haben ihre Kartoffeln unter Beregnung. Ansonsten würde das schon gar nicht mehr funktionieren. Dann gibt es Betriebe, die müssen mit dem auskommen was die Natur uns gibt. Da werden die Kartoffeln kleiner. Wir merken es beim Futter für die Kühe. Wir haben aus den Vorjahren noch genug Vorlauf und hoffen, dass wir damit hinkommen. Zumindest für zwei Jahre haben wir genügend Futter.
Sie sind ein Bio-Hof und gehören dem Naturlandverband an. Damit haben sie sich gewisse Standards gesetzt. Wie halten Sie Ihre Tiere?
Es ist genügend Platz vorhanden. Bei hohen Temperaturen gehen die Kühe nur nachts raus. Sie können fressen und zum Melken gehen, wann immer sie wollen, da wir einen Melkroboter und somit keinen Zwang mehr haben. Die Kühe werden auch verkauft und deswegen machen wir keine Bullenbesamung, sondern alles über den Tierarzt. Es ist natürlich schwierig zu vermitteln, dass wir von der Kuh jedes Jahr ein Kalb brauchen, damit die Nachzucht immer gewährleistet ist. Das ist nicht so einfach, denn das ist eine wirtschaftliche Frage. Man sagt, man tauscht ungefähr 25 Prozent des Betriebs jährlich aus. Das heißt bei uns zum Beispiel, dass wir Rinder, die wir gezüchtet haben, auf Auktionen verkaufen. Und es kommt leider auch vor, dass Tiere, die krank oder alt sind zum Schlachter gehen.
Wie stehen Sie persönlich zur Schlachterei, zum Fleischverzehr?
Als Landwirt bin ich damit großgeworden, auf dem Dorf war das normal. Es ist jetzt etwas schwieriger geworden, das zu vermitteln. Zum Beispiel bei meiner Tochter in der Schule. Da geht es schon manchmal haarig zur Sache, wenn man den Kindern erklären muss: „Ihr grillt ja auch. Was grillt ihr denn?“ Das muss man dann den Menschen auch begreiflich machen, gerade den jungen Menschen. Deswegen machen wir auch Schulbauernhof, bieten Praktika an und laden Grundschulklassen und Kindergärten ein, um zu zeigen, was wir hier mit den Tieren machen. Das sollte meiner Meinung nach noch verstärkt werden, damit wir wissen, was unsere Ressourcen sind und was wir brauchen. Daher müssen wir gucken: Wie gestalten wir unsere Umwelt und die Landwirtschaft gemeinsam?
Sie sprachen vom Neubau, der Hof wächst – zu Gunsten neuer Arbeitsplätze auch?
Wenn wir bauen, ist es immer das Ziel, mehr Arbeitsplätze anzubieten. Durch den Umbau wollen wir zehn neue Arbeitsplätze schaffen. Wir haben zum Beispiel noch keine Rollstuhlfahrer. In der neuen Anlage wollen wir auch diese beschäftigen können.
Welche Vorteile bringen Technologien wie der Milchroboter ein?
Alswir noch mit der Hand gemolken haben, waren da auch Menschen mit Behinderung dabei. Morgens und am Wochenende früh aufstehen war hart; sie hatten keine Freude daran. Zunächst haben wir das dann allein gemacht und sind dann später auf den Roboter umgestiegen. Dadurch sind Kapazitäten frei geworden für andere Dinge, hauptsächlich auf der pädagogischen Seite. Es geht hier ja nicht nur um Arbeit, diese Bilder über meinem Schreibtisch zum Beispiel, sind alles Bilder, die die Leute mir gemalt haben. Wir bieten das Malen an, singen und spielen Fußball und Tischtennis, das gehört alles mit dazu.
Schauen wir einmal auf das große Ganze: Was waren für Sie die größten Veränderungen in der Landwirtschaft in den vergangenen 20 Jahre?
Von den Bauern, die hier waren, als ich angefangen habe, ist keiner mehr da. Die Familie Neumeister und wir sind die letzten, die hier noch Milchvieh haben. Wir haben unseren Bestand nicht vergrößert, sondern den von 62 Tieren gehalten. Es sind viele Betriebe weggebrochen. Das ist bedenklich. Die Technik wird immer größer, ob das bedenklich ist, weiß ich nicht. Die Maschinen verbrauchen auf jeden Fall viel Energie.
Es ist spannend, wie die ganze Entwicklung weiterläuft mit den Vorgaben, die wir von der EU und unserer Regierung bekommen hinsichtlich des Ackerbaus und der Viehzucht. Allein der Bürokratismus, dem wir unterworfen sind, kostet mich jeden Tag zwei bis drei Stunden. Das ist schon heftig. Und ich hoffe nicht, dass es noch mehr wird.
Was ist ihrer Meinung nach der Hauptgrund für das Höfesterben?
Nehmen wir mal so einen Milcheimer. Der hat vor einem Jahr knapp 80 Cent gekostet. Der kostet mittlerweile 1,90 €. Jetzt muss man diesen Preis bei den Einkäufen berücksichtigen, dazu kommt Futter und Diesel, was beides teuer geworden ist. Das muss man an den Verbraucher weitergeben. Der überlegt sich momentan gut, was er kauft, wo er kauft und zu welchen Preisen er kauft. Das kann ich auch keinem verübeln.
Dann sagst du dir als Landwirt: „Lohnt sich das Ganze noch? Ich kämpfe um meinen Betrieb, ich kämpfe um meinen Acker, aber ich kriege nichts mehr zurück.“ Ich kenne Bauern, die waren seit Jahren nicht mehr im Urlaub. Und jetzt kommen noch Existenzängste dazu, weil das Geld nicht mehr reicht. Die habe ich nicht, weil wir in der Nieder-Ramstädter Diakonie sind. Wir haben einen sicheren Arbeitsplatz. Ich habe keine Angst, aber ich bin schließlich Angestellter. Als selbstständiger Landwirt hätte ich schon Angst.