Von Dr. Joachim Borner
Nachhaltige Entwicklung kann man mit den bekannten drei Säulen oder mit dem Dreieck beschreiben. Sollte man aber nicht. Schon deshalb nicht, weil weitere Säulen fehlen (wie die Politik oder die Kultur). Andererseits geben diese Zugänge zwar Managementregeln vor – wie z.B. die, dass nur so viel an erneuerbaren Ressourcen genutzt wird, wie Quellen und Senken reproduzieren können – aber wie Konflikte zwischen der wirtschaftlichen, der ökologischen und der sozialen Effizienzbetrachtung gelöst werden oder wie durch welche Spielregeln die Wachstumsdominanz der Ökonomie domestiziert wird, läßt sich nicht beantworten.
Nachhaltige Entwicklung kann man an critical loads orientieren, das kann man wirklich. Man kann damit sagen: Hier überschreiten wir Grenzen – zuviel Cadmium ist im Boden, zu viel Feinstaub in der Luft, zu viel Nitrat im Trinkwasser usw. Es sind Grenzwerte, aber wie viele brauchen wir? Unendlich viele – und selbst das ist zu wenig.
Warum? Weil wir mit Grenzwerten nicht nur das Systemverhalten der Natur, der Wirtschaft, der nationalen Gesellschaften, der globalen Gemeinschaft erfassen, sondern es auch begreifen und damit steuern können. Und – das macht das alles noch komplizierter – mit Grenzwerten oder critical loads wissen wir mehr oder weniger, was wir nicht tun sollen. Es sind Leitplanken oder warnende Syndrome. Aber was wollen und sollen wir innerhalb dieser Leitplanken tun?
Wir müssen uns Alternativen vorstellen können
Das ist ein wesentlicher Zugang: Er ist präventiv. Aber er ist nicht prognostisch und epistemisch (zwangsläufig und aus der Erfahrung abgeleitet) präventiv sondern heuristisch präventiv! Das meint, dass wir – wenn wir klug sind – nicht darum herum kommen, uns Zukunftsalternativen vorzustellen und auf dieser breit kommunizierten Basis in großen gesellschaftlichen Kontroversen aushandeln, welche der Alternativen wir prinzipiell wählen wollen. Das ist methodisch ein anstrengender Lernprozess, denn wir müssen „nicht einfach Wünsche oder Visionen“ formulieren sondern kulturell eine Alternative im Futur 2 beschreiben. „So möchten wir gelebt haben“ – das ist die Verantwortungskomponente: Wir leiten jetzt (!), weil wir in einem großen gesellschaftlichen Dialog und einer Kontroverse die für uns passende Alternative gewählt haben, konsequent die Schritte der Transformation ein, die wir gehen müssen, um in die Nähe unserer Zukunftsalternative zu gelangen.
Zur Diskussion stehen idealerweise bei den Szenarien möglicher Zukünfte nicht Fragen des Overshoot-Day (das ist der Tag im Jahr an dem wir alle biotischen Ressourcen, die die Natur innerhalb eines Jahres produziert verbraucht haben, heute im August). Es geht auch nicht um Fragen zu den Kippschaltern in Natur und Gesellschaft – wo der Monsunmechanismus in Asien oder die Golfstrompumpe nicht mehr wie Jahrtausende lang üblich funktioniert oder wo die sozialen Systeme Migranten aus Dürre- und Armutszonen nicht mehr aufnehmen können. Das hat die Menschheit begriffen! Drei oder vier Erden haben wir nicht.
Leider ist dieser sehr naheliegende, sinnvolle, kluge und friedensstiftende Handlungsansatz der Politik bei den internationalen Klimakonferenzen seit Kopenhagen nicht zu sehen. Wir steuern z.B. auf +4 Grad und knappste Ressourcen an seltenen Erden, Kupfer, Lithium etc. zu.
Nachhaltige Entwicklung ist ein Kulturauftrag
Wie können wir jetzt (wo noch knappe Zeit zum gesellschaftlichen Begreifen und Lernen und Üben besteht) Spielregeln, kulturelle und politische Vereinbarungen in regionalen Verbünden und in der globalen Gesellschaft entwickeln, die uns verpflichten, in den Anstrengungen der Klimaanpassung und Katastrophen der Klimafolgen solidarisch miteinander umzugehen? Der Taifun Catarina war 2004 deshalb (auch) so desaströs, als dass er die Aufkündigung traditioneller kultureller Handlungsorientierungen und -gebote auslöste. In Deutschland gelten dagegen das Oder- und das Elbehochwasser als positive Beispiele für kulturelle Widerstandspotentiale gegen Bedrohungen. Das ist sicher richtig – aber man sollte die Beispiele vorsichtig nutzen.
Nachhaltige Entwicklung ist keine Roadmap für gezielte (Geo-)Ingenieurleistungen mehr. Es ist so offenkundig, dass technische Reparaturen am Selben nicht die wirklich existentielle Bedrohung unserer Kultur beruhigen. Das wäre vielleicht noch eine nette Illusion zu Zeiten des Club of Rome Berichts „Grenzen des Wachstums“ gewesen. Jetzt nicht mehr.
Nachhaltige Entwicklung ist aus meiner Erfahrung in erster Linie nicht durch technische Innovationen, verfeinerte Grenzwerte und staatliche Regelsysteme, sondern durch kulturelle Selbstermächtigung gebildeter Nationen sowie ihrer Bürger und ihrer (neuen) Institutionen zu erreichen. Um autodidaktische Selbstermächtigung bei der Steuerung des Raumschiffs Erde geht es – wofür es keine Bedienungsanleitung gibt. Um Gestaltungskompetenzen und -vermögen hinsichtlich einer gesellschaftlich kontrovers ausgehandelten Zukunftsalternative dreht sich der „große Transformationsprozess“, der zu nachhaltiger Entwicklung oder Klimakultur lenkt.
Nachhaltige Entwicklung wird in den Medien banalisiert
Zur Nachhaltigkeits-Debatte in den (öffentlichen) Medien ist meine Wahrnehmung sehr, sehr ambivalent. Einerseits ist „nachhaltige Entwicklung“ angekommen. Umweltverantwortung, Abfalltrennung, Feinstaub, Klimaanpassung und Energiewende sind aktuelle Themen. Bis auf wenige Ausnahmen finden wir aber keinen Erzählansatz der die „big story der nachhaltigen Entwicklung“ erzählt. Nachhaltige Entwicklung wird banalisiert und reduziert zu einfachem Umweltverhalten und zu traditionellen Fortschrittsbeschreibungen, etwa: Wir haben zu viel CO2 (aus der Braunkohle) – also verpressen wir das in den Boden.
Geoengineering ist da die weitreichende Botschaft. Meist ist die Konnotation: Wir finden/wir haben eine technische Lösung, die das/alle Probleme entschärft und Du kannst mitmachen bei Lohas etc. Es sind nicht diese Erscheinungsformen des Wandels, die journalistischen Arbeiten nutzen vielmehr das unmittelbar Problematische. Die nun wirklich existentielle Frage der Klimafolgen wird dann im Ranking mit der Finanzkrise, dem demografischen Wandel, der Ukrainekrise, der Pflegeversicherung und dergleichen abgehängt und zwar wider besseres Wissens. Das ist bei der Energiewende der Fall – wo die Wende und mit ihr eine positive Energieressourseneffizienz möglicherweise ausgehebelt wird. Für die journalistische Verantwortung besteht die Aufforderung, die richtigen Fragen zum Problem (an die richtigen Leute) zu stellen. Nicht Fragen zu einer technologischen Lösung, die das Problem nicht tangiert.
Der öffentliche Diskurs beginnt sich zaghaft diesen Fragen zu öffnen. Es gibt einzelne Wissenschaftsformate im Fernsehen, die sich aus sehr unterschiedlicher Perspektive dem Nachhaltigkeitsding stellen – Gallileo von Pro 7 zum Beispiel. Es gibt im Bereich der Blogs und der sozialen Netze eine Vielzahl spannender Diskussionen zur nachhaltigen Entwicklung – nur nicht unter diesem Titel. Für beides – für neue Medienformate (Telenovela) und für neue Medien (Web 2.0) muss sich Nachhaltigkeitskommunikation öffnen; für die höchst spannenden Themen hochkomplexer und dynamischer Transformationen (wie der Klimawandel) muss sich Journalismus begeistert qualifizieren und neue Kooperationsformen mit der Wissenschaft aber auch anderen Wissenstypen und Wissensträgern suchen. Was dort transdisziplinäre Erforschung der Welt heißt könnte in der Kommunikation „transmediale Narration“ bedeuten. (Text von 2019)
Dr. Joachim Borner ist Gründer des KMGNE – Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung (KMGNE) und forscht zu Bildung und Kommunikation nachhaltiger Entwicklung, etwa auch im Rahmen des CCCLab – Climate Comunication and Cultur Laboratorium.