Was denken Umweltjournalisten und Medienforscher über den Klimawandel – und darüber, wie Medien das Megathema anpacken? Welche Tipps und Kniffen kennen Sie für die Berichterstattung? Eine Antwort könnte Storytelling sein. Gerade bei der schwierigen Vermittlung von komplexen Themen wie dem Klimawandel setzten viele Hoffnungen in Techniken des journalistischen Erzählens – übrigens nicht nur Journalisten, sondern auch NGO, Forscher, Politiker und Unternehmen.
Storytelling könnte, so die stillschweigende Hoffnung, Menschen endlich dazu bewegen, mehr für den Umweltschutz zu tun. Doch ist das nicht eine überzogene Hoffnung? Und sollte dieses Ziel Aufgabe der Medien sein?
Diesen und anderen handwerklichen und ethischen Fragen stellen sich führende Umwelt-, Energie- sowie ReisejournalistInnen und Medienforscher in der Interviewserie „Klimageschichten“, die von Studierenden der Hochschule Darmstadt in Seminaren geführt wurden – als Teil des gleichnamigen Forschungsprojektes, das an Grüner-Journalismus angebunden ist.
Folge 3: Andreas Ytterstad, Oslo University College
Herr Ytterstad, wie berichten die norwegischen Medien über den Klimawandel?
Das hat sich sehr geändert. Früher diskutierten Klimaskeptiker mit den Menschen darüber, ob es überhaupt einen menschengemachten Klimawandel gibt. Das ist mittlerweile Konsens. Die Debatte hat sich weg entwickelt von der wissenschaftlichen Perspektive. Sie ist heute deutlich politischer.
Was bedeutet das?
Das geflügelte Wort ist „Green Shift“, also eine Orientierung auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Das betrifft vor allem die Wirtschaft. Wir erleben in Norwegen gerade einen Strukturwandel. Zum Beispiel steigt die Arbeitslosigkeit in der Ölförderung, weil stattdessen erneuerbare Energien an Bedeutung gewinnen. Das wird in der Berichterstattung auch thematisiert – es steht also im Vordergrund, welche Auswirkungen und Anpassungen der Klimawandel nach sich zieht.
Das ist zunächst ja positiv. Gilt das für die ganze Medienlandschaft?
Nein, grundsätzlich beschäftigen sich in den großen Medienhäusern nur wenige Journalisten mit dem Thema Klimawandel und schreiben auch darüber. Die Zeitungen „Aftenposten“ und „Dagsavisen“ sind da die Ausnahme. Sie haben dafür sehr erfahrene Journalisten.
Woran liegt das?
Vor allem die Boulevardmedien glauben heute, dass der Klimawandel ein Thema von gestern sei. Vor zehn Jahren war er noch in aller Munde, als Al Gore seinen Film „eine unbequeme Wahrheit“ über die globale Erwärmung in die Kinos brachte. Aber mittlerweile ist das anders. Das ist mir auch aufgefallen, deshalb habe ich den Direktor des Norwegischen Senders TV2 interviewt. Er sagte mir: Die Menschen interessieren sich nicht für den Klimawandel und deshalb reden wir nicht darüber.
Gibt es deshalb Defizite in der Berichterstattung?
Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Wie schon erwähnt, glaube ich, dass der Journalismus in dieser Frage der Politik folgt. Wenn es ein politisches Ereignis gibt, wird mehr über den Klimawandel berichtet. Dabei ist mein Verständnis vom Journalismus ein anderes. Der Journalist sollte frei sein in seiner Themenwahl und über das berichten, was ihn bewegt. Journalisten müssen unabhängig sein in ihrer Funktion als Wächter der Demokratie. Aber es gibt die Tendenz, dass die Themensetzung sehr von der Politik abhängt. Deshalb wird auch nur über den Klimawandel berichtet, wenn er Teil des politischen Spiels ist. Ein norwegischer Journalist hat es vor einigen Jahren auf den Punkt gebracht. Er sagte: Journalisten müssen über den Klimawandel berichten, wenn es Wendepunkte in der Natur gibt. Nicht wenn es Wendepunkte in der Politik gibt. Die Natur achtet nicht darauf, wie langsam die Klima-Bürokratie ist.
Zur Aufgabe der vierten Gewalt gehört es auch, vernachlässigte Themen wieder in gesellschaftlichen Diskurs zu heben. Ist das in diesem Fall möglich?
Natürlich, unsere Medien sind ja nicht homogen oder gleichgeschaltet. Teile des Journalismus stehen zwar der Regierung und politischen Entscheidungsträgern nahe, aber andere wiederum verteidigen den kleinen Mann und berichten über Ungerechtigkeiten. Dazu zählen auch Umweltprobleme. Ich bin mir sicher, dass Journalisten und Medienhäuser seriös und auch systematisch über den Klimawandel als großes Thema nachdenken. Sie erkennen Probleme und sprechen diese an.
Nennen Sie ein aktuelles Beispiel.
Es gab in der jüngeren Vergangenheit eine heftige Debatte über die Erweiterung der norwegischen Ölfelder. Die Medien spielten dabei eine tragende Rolle, indem sie das Thema aufgenommen und den gesellschaftlichen Diskurs befördert haben. Früher wäre das untergegangen, darin sind auch die Erfolge der letzten Jahre zu sehen: Nur weil der Journalismus in den vergangenen Jahren Vorarbeit und Aufklärungsarbeit geleistet hat, herrscht heute in der Gesellschaft ein allgemeines Verständnis über den Klimawandel. So haben die Medien jetzt die Möglichkeit, die aktuelle Klimapolitik zu kritisieren.
Klimawandel ist nicht sexy – mit welchen Darstellungsformen erreichen Sie den Leser am besten?
Es gibt zwei Wege, den Klimawandel zu erklären. Es führt kein Weg dran vorbei, dass die Fakten logisch und verständlich erklärt werden. Das ist die traditionelle Herangehensweise des Wissenschaftsjournalismus. Auf der anderen Seite können sich Journalisten auf Storytelling und Bilder konzentrieren. Das Ziel ist es dann, den Leser emotional zu berühren, dieser soll sich betroffen fühlen, von den globalen Entwicklungen. Beides sind erfolgsversprechende Ansätze.
Ohne Einschränkung?
Nein, ich glaube, Storytelling stößt an seine Grenzen, bei zu komplexen Themen. Ich muss den Klimawandel als politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Problem sehen, denn das ist es nun mal. Ich sage das nicht, um Befürworter des Stroytellings vor den Kopf zu stoßen. Ich möchte nur sagen, sie sollen einen realistischen Blick haben, was sie wirklich erreichen können, wenn sie anders berichten oder Bilder anders zeichnen. Ich vertrete den Ansatz der Realität. Journalismus sollte realistisch sein, denn er behandelt Themen, die Themen, die wahr und wichtig sind. Und die Wahrheit muss meiner Meinung nach mit Fakten und Statistiken erzählt werden.
Storytelling ist also überbewertet?
Ja, würde ich schon sagen. Man muss ein Thema kennen lernen und durchdringen, bevor man darüber schreiben kann. Wenn man keine Zeit hat, das Thema ganz genau zu recherchieren, kann man ein toller Erzähler sein und mit Bildern und Wörtern hervorragend umgehen. Aber die Geschichte wird nicht unbedingt die Realität erzählen. Wenn man eine Geschichte erzählt, sollte die aber unbedingt die Realität reflektieren. Ich bleibe bei meinen realistischen Zielen des Journalismus.
Interview: Moritz Belmann