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Arbeitszeitmodelle der Zukunft – Fragen zu einem neuen Medienthema

Herr Bruder, wie sieht Ihr eigenes Arbeitszeitmodell derzeit aus?

Mein Arbeitszeitmodell ist sicherlich ein Vollzeit-Modell.

Nehmen Sie sich bewusst Freizeit?

Für Menschen in Führungspositionen ist es manchmal schwierig, eine Grenze zu ziehen. Das erlebe ich selbst. Ich genieße völlige Freiheit und das führt dazu, dass ich mehr arbeite als ich eigentlich müsste. Aber ich habe zwei Kinder, sie sind sieben und zehn Jahre alt. Ich glaube verstanden zu haben, dass es noch andere wichtige Dinge außer der Arbeit gibt. Ich habe gewisse Spielregeln.

Nämlich?

Ich achte am Wochenende auf gemeinsame Zeiten mit meiner Familie und versuche auch in der Woche, mehrere Abende mit der Familie zu verbringen.

Wie viele Stunden arbeiten Sie durchschnittlich in der Woche?

Meine Gesamtarbeitszeit ist relativ hoch, ich arbeite mehr als 50 Stunden in der Woche. Aber ich genieße eine gewisse Flexibilität. Wenn ich auf der Arbeit bin, bin ich oft stark eingetaktet. Meine Zeitsouveränität ist relativ gering. Ich werde manchmal für Wochen von meiner Assistentin verplant. Aber da, wo ich mir selbst die Zeit einteilen kann, zum Beispiel in meiner Freizeit, ist alles in Ordnung.

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Prof. Dr. Ralph Bruder ist seit 1996 Professor für „Ergonomie im Design“ an der Universität Duisburg-Essen und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Ergonomie und Designforschung. Seit 2005 leitet er zudem das Institut für Arbeitswissenschaften an der TU Darmstadt, wo er Elektrotechnik studierte, promovierte und als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Die menschengerechte Gestaltung von Arbeitsprozessen und Produkten zählt zu seinen Schwerpunkten.

Sie wirken sehr zufrieden. Aber ist es überhaupt wichtig, sich auf der Arbeit wohlzufühlen?

Für viele Menschen ist die Arbeit ein sehr wichtiger Teil ihres gesamten Lebens, schon alleine zeitlich gesehen. Und wenn das so ist, müssen sie diesen Teil auch bestmöglich gestalten. Also ja: Es ist wichtig sich auf der Arbeit wohl zu fühlen. Das Wohlfühlen bei der Arbeit hat zudem etwas mit dem eigenen gesundheitlichen Wohlbefinden zu tun.

Sind wir dann beim Thema Burnout?

Ja, wenn ich mich nicht wohlfühle, kann ich ausbrennen. Aber andersherum funktioniert es eben auch: Wenn ich aus einer Arbeit positive Elemente ziehe, dann stärkt mich das und es hält mich gesund. Deswegen sind Leute, die einen interessanten Job haben, oft Leute, die auch sehr lange gesund bleiben.

Ist es nicht auch gut für das Image von Unternehmen, wenn ihre Mitarbeiter glücklich sind?

Glückliche Mitarbeiter allein reichen nicht. Das funktioniert nur, wenn es mit  wirtschaftlichem Erfolg verknüpft ist. Es ist eindeutig nachgewiesen, dass die Unternehmen am erfolgreichsten sind, in denen Kunden und Mitarbeiter zufrieden sind. Unternehmen, in denen nur die Mitarbeiter zufrieden sind, die Kunden aber nicht, sind auch nicht erfolgreich. Sie können aber ganz leicht herausfinden, dass sich Mitarbeiter ganz anders einbringen, wenn sie sich wohlfühlen. Daher ist das auch aus der wirtschaftlichen Perspektive sinnvoll.

Wie versuchen die Unternehmen, ihre Mitarbeiter zufriedener zu machen?

Viele Unternehmen tun sich schwer, das konsequent durchzuziehen. Das merkt man vor allem bei der Arbeitszeit. Nichts beeinflusst so sehr das Wohlbefinden der Mitarbeiter wie die Arbeitszeit und die Souveränität über die Zeit. Und nichts ist für einen Arbeitgeber so schwer zu regeln wie die Arbeitszeit. Kompliziert wird es, wenn es um die Kunden geht. Wenn die auf einmal abends um 22 Uhr einkaufen gehen möchten, freut sich der Einzelhandel und verlängert seine Öffnungszeiten. Dann haben sie aber immer Mitarbeiter, die zusätzlich arbeiten müssen und denen das nicht gefällt.

Bei dem ROWE-Prinzip (Results Only Work Environment) werden die Mitarbeiter nach Aufgaben entlohnt und können nach getaner Arbeit gehen. Glauben Sie, dass dieses Modell auch praktikabel für Deutschland sein kann?

Ich glaube, das Prinzip, nach Aufwand und nicht nach Anwesenheit zu bezahlen, ist sehr vernünftig. Das ROWE-Prinzip ist ja ein Modell, bei dem man vom starren Arbeitszeitmodell wegzukommen versucht. Mittlerweile sind Menschen viel souveräner, sie wollen auch selbst planen und haben unterschiedliche Dinge, die sie unter einen Hut bringen müssen.

Also ein Zukunftsmodell?

ROWE funktioniert nur, solange man gut abschätzen kann, wie viel Zeit man für eine Aufgabe braucht. Es wird dann schwierig, wenn man nicht genau einschätzen kann, wie zeitintensiv eine Aufgabe ist. Das macht dieses Prinzip so herausfordernd. In Kreativunternehmen, auch im Journalismus, sind die Aufgaben oft wenig vorherbestimmbar. Sie wissen nicht ganz genau wie lange ein Interview oder eine Reportage dauert. Umso schwerer wird es dann zu planen.

Werden solche Prinzipien in Deutschland zu wenig angewendet?

Womit wir Deutschen uns ein wenig schwer tun, sind völlig ungeregelte Arbeitszeiten. Das ist nicht ungewöhnlich, weil wir viele Regelungen haben, zum Beispiel in Betriebsvereinbarungen und Arbeitszeitgesetzen. Pauschal kann man das aber nicht sagen. Auch in Deutschland kommen immer mehr Unternehmen weg vom starren Arbeitszeitregime.

Aber führt die größtmögliche Freiheit nicht auch zu mehr Faulheit?

Im Gegenteil! Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass die Mitarbeiter, denen man die größte Zeitsouveränität gibt, die sind, die am meisten arbeiten. Bei großen Konzernen gibt es oft Führungspersonen, die müssen nicht einmal mehr den Urlaub beantragen. Man weiß, dass Leute mit freier Zeiteinteilung eher dazu neigen, die Zeit auszunutzen, weil man sie damit motiviert. Da ist dann die Gefahr, dass sie für sich selbst keine Regeln haben.

Es gibt auch viele Unternehmen die schon „Bremsen” eingelegt haben um zu verhindern, dass ihre Mitarbeiter Mails außerhalb der Arbeitszeiten beantworten.

Das klappt nicht. Die Mitarbeiter machen sich ihre eigenen Regeln. Die meisten haben drei oder vier Mailadressen. Das heißt, es gibt zwar einen offiziellen Kanal. Der funktioniert aber nicht mehr, denn sie haben andere Mailanbieter, SMS oder Twitter. Darüber kommunizieren sie dann weiter.

Bei der „kurzen Vollzeit” sollen die Menschen nur noch 30 Stunden pro Woche arbeiten. Was halten Sie davon?

Viele Modelle die “Vollzeit” sagen, meinen auch, dass das der dominierende Teil des Lebens ist. Bei 30 Stunden kommen sie in einen Bereich, wo sie auch etwas anderes haben können, das ihnen sehr wichtig ist. Daher finde ich die „kurze Vollzeit” schon interessant. Einfach weil es ein anderes Modell des Lebens bedeuten würde.

Das hört sich gut für die Mitarbeiter an. Bedeutet das für die Unternehmen aber nicht viel mehr Aufwand in der Organisation?

Die Unternehmen bekommen das schon gestemmt. Die Organisation ist nicht allein die Aufgabe der Betriebe, sondern es ist das Zusammenwirken von Unternehmen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Also ein Vorzeige-Modell?

Man muss aufpassen, dass die Arbeitszeitverkürzungen nicht zu Sparzwecken genutzt werden. Es gibt Unternehmen, die stellen ihre Mitarbeiter als Teilzeitkräfte an, lassen sie aber trotzdem voll arbeiten. Das lehne ich komplett ab.

Die Unterstützer der „kurzen Vollzeit” kritisieren unter anderem die Gewerkschaften, weil sie ihnen vorrangig um Lohnerhöhungen geht.

Gewerkschaften brauchen Akzeptanz von ihrer Klientel. Und für diese Klientel spielt Geld im täglichen Leben eine bedeutsame Rolle, die sind einfach darauf angewiesen und stemmen sich gegen Lohneinbußen. Sie können ihnen nicht so leicht erklären, dass ihre Zeit auch etwas wert ist. Das würde ja heißen, dass man den eigenen Lebensanspruch entsprechend anpassen muss – und das ist leichter gesagt, wenn sie auf einem hohen Lohnniveau sind. Arbeitszeiten sind ein ganz sensibles Thema.

Müsste man da vielleicht auch Anreize schaffen? Vielleicht sogar vom Staat?

Wenn eine Gesellschaft dafür bereit ist, sich auch in die Richtung Ökologie zu bewegen, dann macht das Sinn. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man Anreize in Form von steuerrechtlichen Entlastungen für Arbeitgeber schafft. Zum Beispiel für die Modelle bei denen man statt fünf nur noch vier Tage arbeitet.

Unterstützen Sie die Theorie der Postwachstumsökonomie? Also eine Wirtschaft ohne Wachstum?

Ich glaube die meisten Menschen verstehen, dass das ständige Wachstum an eine Grenze kommt. Das Problem ist, dass wir es alle noch nicht erlebt haben. Und das macht das Thema Postwachstum so schwer greifbar. Es gab immer noch eine Möglichkeit zu wachsen. Aber es ist ein Konstrukt, über dessen Begrenztheit und dessen mögliches Ende es sich unbedingt nachzudenken lohnt.

Wie kann man die Menschen für das Thema sensibilisieren?

Was ich interessant finde ist die Diskussion, ob Arbeit immer nur etwas ist, was zum Wachstum beitragen muss. Wenn wir Arbeit nur an Wachstum knüpfen, dann haben wir Arbeitsbedingungen, die manchmal schwierig sind. Wenn wir Arbeit aber als gesellschaftlich notwendig ansehen, dann könnte man auch über Tätigkeiten reden, die eine Gesellschaft weiterbringen, die aber nicht für Wachstum sorgen. Zum Beispiel die Altenbetreuung.

Diese ganzen Modelle einer nachhaltigeren Arbeitszeitgestaltung, wie wirken sie sich eigentlich auf die Umwelt aus?

Jetzt kommen die Geschichten von früher. Es tut mir Leid, aber ich bin in einem Alter, da darf ich auch von früher reden. Ich war 29 als ich fertig mit der Promotion war. Damals habe ich beschlossen, Teilzeit zu arbeiten. Das war einerseits aus einer mentalen Erschöpfung heraus, andererseits war da aber auch der Gedanke der Nachhaltigkeit. Wie verhalte ich mich, wenn ich auf einmal mehr Zeit habe? Das habe ich für zweieinhalb Jahre gemacht und mein Eindruck war, dass ich nachhaltiger gelebt habe. Vielleicht auch nachhaltiger als jetzt.

Ein interessanter Versuch…

Ich habe mir damals sehr genau überlegt, was ich kaufe. Und vieles aus dieser Zeit habe ich noch. Das, was ich mir gekauft habe, als ich Stress hatte, waren Dinge, die ich sehr schnell wieder weggeschmissen habe. Das ist sehr pauschal, sehr schwarz-weiß, aber ich glaube Zeitgewinn könnte auch zu ökologischem Wandel führen. Bei der 30-Stunden-Woche hätten viele Menschen zehn Stunden mehr Freizeit als jetzt. Die überlegen sich dann, vielleicht auch mal das Fahrrad zu nehmen oder andere Lebensmittel einzukaufen.

Das Interview führten Sophia Naas, Timo Niemeier und Hanna Ganpantsur. Es erschien bereits auf dem Blog Zukunft Leben von Journalismus-Studierenden der Hochschule Darmstadt.

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