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Sami und der Klimawandel: „Die guten Zeiten sind vorbei“


Juha Virkkunen inmitten seiner Rentiere

Du bist mit einem Drehteam in den Norden Finnlands gereist, um dort einen Film über Juha Virkkunen zu drehen. Warum gerade er?

Juha hat unglaublich viele Seiten an sich. Das macht ihn schwer zu greifen. Er ist ein Intellektueller, der sich viele Gedanken macht. Er hat Fischerei studiert und als Fischereimeister gearbeitet. Sportlehrer war er auch. Heute engagiert er sich im Stadtrat dafür, dass die Leute miteinander reden und produktive Lösungen finden. Trotzdem ist er irgendwie im Beruf des Rentierzüchters hängengeblieben. Mitten auf dem Land, mitten im Nichts. 

Wie kam das?

Er wohnt auf einem historischen Hof, auf dem seit mindestens 170 Jahren Rentierzucht betrieben wird. Seinem Vater hat er versprochen, den Hof zu übernehmen. Jetzt kümmert er sich um 90 Rentiere. Es könnte sein, dass er der letzte in der Familientradition ist. Die Rentierzucht lohnt sich nicht mehr.

Woran liegt das?

Der Klimawandel hat den blöden Effekt, dass der Schnee zwar später kommt als noch vor 30 Jahren, aber dafür in großen Massen. Durch den tiefen und oft vereisten Schnee kommen die Rentiere nicht mehr an ihr Futter darunter. Juha dachte erst, dass es nicht dramatisch ist, wenn es drei Grad wärmer wird. Heute wird ihm bewusst, dass die Rentiere wegen des Klimawandels im Winter versorgt werden müssen. Das ist teuer. Deshalb musste Juha im vergangenen Sommer mehr Tiere schlachten, als er eigentlich wollte.

Ist Juhas Beruf ein aussterbender Beruf?

Die Rentierzüchter sind optimistische Leute und hoffen, dass die Menschen auch in Zukunft Felle und Rentierfleisch brauchen. Aber die guten Zeiten sind vorbei. Rentierzucht ist hauptsächlich das Aufrechterhalten einer Tradition.

Warum wolltest du diesen Film drehen?

Den letzten Sommer habe ich teilweise in Schweden verbracht. Weil es so heiß war, durften wir dort nicht grillen. Das war das erste Mal, dass ich den Klimawandel gespürt habe. Bisher war das alles so weit weg, dass ich mich wie die meisten kaum damit beschäftigt habe. Je mehr ich mich dann über Juha und die Rentierzucht informiert habe, desto mehr dachte ich: Krass, dass jemand in Finnland schon so stark vom Klimawandel beeinflusst ist. 


Juha Virkkunen (unten zw. v. r.) und die Filmcrew mit Regisseur Arne Kasten (oben zw. v. r.)

Und wieso ein Portrait über Juha und nicht eine Reportage über Rentierzucht?

Weil ich es wichtig finde, große Probleme wie den Klimawandel anhand von konkreten Beispielen zu veranschaulichen. Wenn wir Auswirkungen auf Menschen sehen, die nicht auf der anderen Seite der Welt wohnen, beschäftigt uns das emotional vielleicht länger als irgendwelche Fakten oder ein Film über Menschen, mit denen wir weniger gemeinsam haben. Deshalb ist es ein Film geworden, in dem der Klimawandel Teil von Juhas Leben ist, und nicht, in dem Juha Teil des Klimawandels ist.

Juha lebt in Taivalkoski, einige Dutzend Kilometer südlich des Polarkreises. Dort liegen die Temperaturen im März bei etwa zehn Grad unter Null. Wie habt Ihr Euch al Team auf den Dreh vorbereitet?

Wir wussten, dass es sehr kalt wird. Der Schnee war mindestens einen Meter hoch. Wir sind eingesackt, wenn wir auf unpräparierten Wegen ohne Schneeschuhe gelaufen sind. Die Seen waren komplett zugefroren und zugeschneit, also große, weiße Flecken mitten in der Landschaft. Unser Kameramann hat ein bisschen unter der Kälte gelitten. Einmal hat er sich in den Schnee gesetzt und darauf gewartet, dass Juha mit dem Traktor vorbeifährt. Das hat dann eine halbe Stunde gedauert. Danach war ihm erstmal kalt und er musste reingehen. Glücklicherweise ist er nicht krank geworden.

Einige Bäume und viel weiß: die Landschaft im finnischen Norden

War die Stimmung am Set dann nicht etwas unterkühlt?

Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, bis wir an Juha herangekommen sind. Dann gab es einen Tag, da waren wir mit ihm in der Sauna. In Finnland ist die Sauna der Ort, an dem der Ministerpräsident mit dem Bauarbeiter redet. Die Kamera haben wir zwar draußen gelassen, aber dieser Tag war der Durchbruch. Wir haben erfahren, was Juha wirklich beschäftigt.

Und zwar?

Er weiß nicht, wie es mit seinem Hof weitergeht. Er hat damals seinem Vater versprochen, dass er die Rentierzucht übernimmt. Jetzt hat er zwei Söhne, aber es ist ungewiss, ob sie die Tradition fortführen werden. Er will es ihnen nicht aufdrängen. Beide Söhne haben studiert, einer ist Biologe und der andere arbeitet als Förster. Sie haben Jobs, die wahrscheinlich erfolgreicher sind als die Rentierzucht. Das ist der Zwiespalt, in dem Juha momentan steckt.

Glaubst du, dass er das Versprechen an seinen Vater bereut?

Juha hätte so viel machen und sein können. Eigentlich würde man nicht erwarten, dass man jemanden wie ihn als Rentierzüchter antrifft. Manchmal denkt er, es wäre finanziell einfacher gewesen, wenn er Fischereimeister geblieben wäre. Aber er hat sich mit seinem Leben abgefunden. Ich glaube nicht, dass er bereut, Rentierzüchter zu sein. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Der Film über Juha ist unter anderem auf der MediaNight der hdm Stuttgart zu sehen.  Mehr Infos zum Film gibt es auch auf www.portraitofchange.com.

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