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Die Vermittlerrolle als Balanceakt

 

Eine Familie in der Nähe des Flüchtlingslagers Dadaab in Kenia. Quelle: Oxfam East Africa

Es gibt Menschen, die davon überzeugt sind, dass der Klimawandel die größte Flüchtlingskrise in der Geschichte der Menschheit auslösen könnte. Barack Obama ist einer von ihnen. Auf einer Messe in Mailand sagte er vor zwei Jahren: „Wenn sich die Regenzeiten des Monsuns über dem indischen Subkontinent verändern, könnten sich womöglich Hunderte Millionen Menschen nicht mehr ernähren. Das könnte zu einer noch nie dagewesenen Anzahl an Flüchtlingen führen.“

Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass die mediale Darstellung von Klimaflüchtlingen bislang kaum erforscht ist. Sowohl international als auch in Deutschland gibt es nicht einmal ein Dutzend Arbeiten dazu.

Während meines Onlinejournalismus-Studiums an der Hochschule Darmstadt habe ich mich deshalb mit diesem Thema beschäftigt und meine Bachelorarbeit darüber geschrieben. Dazu habe ich 53 Texte über Klimaflüchtlinge aus den Tageszeitungen taz, Tagesspiegel und die Welt gesammelt. Diese Texte habe ich inhaltlich analysiert und mehrere Experten dazu befragt. Herausgekommen sind fünf zentrale Erkenntnisse.

1. Zeitungen berichten immer häufiger über Klimaflüchtlinge

Genauso wie die mediale Debatte über den Klimawandel insgesamt, so nimmt auch die Debatte über Klimaflüchtlinge zu. Vor einigen Jahren war das Thema in der deutschen Presse quasi nicht existent. Im vergangenen Jahr erschienen dann aber über 600 Artikel, in denen entweder der Begriff „Klimaflüchtling“ oder „Umweltflüchtling“ vorkam.

2. Konzepte aus der Forschung zu Klimaflüchtlingen werden von Journalisten oft vernachlässigt oder unterschlagen

Ohne Frage wirkt sich der Klimawandel auf Migrationsbewegungen aus. Trotzdem streiten Wissenschaftler darüber, ob man überhaupt von „Klimaflüchtlingen“ sprechen sollte. Mittlerweile haben sich die sogenannten Minimalisten in dieser Debatte weitgehend durchgesetzt. Doch ihre Ansichten finden in der Presse kaum Beachtung.

Minimalisten gehen davon aus, dass der Klimawandel nur selten der alleinige Grund für Abwanderung ist, sondern nur in Kombination mit anderen Faktoren wie Überbevölkerung oder fehlenden staatlichen Strukturen zu Migration führt. Sie lehnen den Begriff „Klimaflüchtling“ in der Regel ab und sprechen stattdessen beispielsweise von “umweltbedingter Migration”. Konkrete Angaben zur Anzahl an Betroffenen sind ihnen ein Gräuel.

Die sogenannten Maximalisten hingegen ziehen direkte Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und Flüchtlingen. Ihre Denkweise: Wenn der Regen ausbleibt, fällt die Ernte aus und Menschen sind dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Maximalisten sprechen dann gerne mal von 250 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050.

In den untersuchten Texten orientieren Journalisten sich fast ausschließlich an Maximalisten. Sie verwenden durchgehend den Begriff „Klimaflüchtling“ und warnen oft vor hunderten Millionen von Migranten. Dies ist verständlich, schließlich besitzen Zahlen einen gewissen Nachrichtenwert und helfen dabei, die Tragweite des Problems bündig zusammenzufassen.

Allerdings wird diese Vorgehensweise zum Problem, wenn die Zahlen unkritisch übernommen und die Unsicherheit dahinter verschwiegen wird. In den analysierten Texten ist dies fast immer der Fall. Es wird nur selten in Frage gestellt, ob der Klimawandel tatsächlich der alleinige Auslöser für die prognostizierten Flüchtlingsbewegungen ist.

In 31 der untersuchten 53 Texte ist von Klimaflüchtlingen die Rede. Andere Begriffe werden kaum verwendet.

In 30 Texten orientieren Journalisten sich an maximalistischen Sichtweisen, in fünf Texten an minimalistischen Sichtweisen.

3. Journalisten blicken nicht dorthin, wo die meisten Menschen betroffen sind. Sie blicken dorthin, wo sich das „Konzept Klimaflüchtling“ am einfachsten erklären lässt

Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlage vieler Millionen Afrikaner und Asiaten. Doch wenn Journalisten über Klimaflüchtlinge berichten, dann tun sie das in der Regel am Beispiel von untergehenden Inselstaaten. Dort sind zwar deutlich weniger Menschen betroffen, dafür ist der Zusammenhang zwischen Ursache (steigende Meeresspiegel) und Wirkung (Bewohner müssen weg) deutlich einfacher zu verstehen. Vor allem in Reportagen kommen meist Protagonisten aus Tuvalu, Fidschi oder ähnlichen Ländern zu Wort. „Für weiße Strände und Korallenriffe interessieren sich die Leser mehr, als für irgendwelche bevölkerungsreichen asiatischen Länder“, sagt dazu der Umweltjournalist Toralf Staud.

In mehr als jedem dritten Text wird Ozeanien als Hotspot für Klimaflucht erwähnt.

4. Journalisten stellen Klimaflüchtlinge als Bedrohung dar, erwähnen aber auch die Verantwortung der Industrieländer für den Klimawandel

Die Inhaltsanalyse ergab jedoch auch ein erbauliches Ergebnis: Die Berichterstattung über Klimaflüchtlinge ist nicht nur von Schreckensszenarien geprägt, sondern auch von Diskussionen um Verantwortung und mögliche Lösungen.

Basierend auf einem wissenschaftlichen Aufsatz aus dem Jahr 2012* wurden die Texte nach drei „Frames“, also journalistische Interpretationsrahmen des Themas, durchsucht: ob in ihnen Klimaflüchtlinge als Bedrohung für Industrieländer dargestellt werden, ob die Verantwortung der Industrieländer für den Klimawandel erwähnt wird und ob Emissionsreduktionen als mögliche Lösung propagiert werden. Alle drei Deutungsmuster kamen in den Texten mehrfach vor, am öftesten wurde die Verantwortung der Industrieländer herausgestellt.

5. Die journalistische Vermittlerrolle gleicht einem Balanceakt

Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse sind zunächst einmal mit Vorsicht zu bewerten. Es handelt sich um eine kleine Stichprobe, die nicht statistisch ausgewertet wurde.

Dennoch entsteht ein deutliches Bild, aus dem sich klare Konsequenzen ziehen lassen: Wenn Journalisten über Klimaflüchtlinge berichten, dann genügen sie nur selten wissenschaftlichen Ansprüchen. Doch das alleine ist auch nicht ihre Aufgabe. Sie befinden sich in einer Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Lesern und müssen dabei mehrere Ansprüche gleichzeitig ausbalancieren.

Auf der einen Seite müssen sie Texte schreiben, die gelesen und gekauft werden. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von wissenschaftlichen Informationen, sondern auch um ihre Bewertung und eine interessante Aufbereitung. Dies kann beispielsweise gelingen, indem man die Konsequenzen des Klimawandels am Schicksal eines Südsee-Flüchtlings verdeutlicht. Der taz-Umweltjournalist Bernhard Pötter sagt dazu: „Wenn Journalisten nur über Dinge schreiben dürften, die wissenschaftlich hundertprozentig abgesichert sind, sähen die Zeitungen relativ leer und langweilig aus.“

Auf der anderen Seite sollte es der Anspruch von Journalisten sein, wissenschaftliche Ergebnisse möglichst exakt wiederzugeben oder zumindest umstrittene Erkenntnisse in den Forschungsstand einzuordnen. Wenig hilfreich sind dabei kurze dpa-Berichte über eine neue Studie der Weltbank, die mal wieder vor 140 Millionen Klimaflüchtlingen warnt.

Die Berichterstattung über Klimaflüchtlinge ist für Journalisten also äußerst schwierig. Es ist unklar, wie Klimawandel und Migration zusammenhängen. Klar ist allerdings, dass dieser Zusammenhang existiert und sehr relevant ist. Daher müssen Journalisten über das Thema berichten. Die hier vorgestellten Erkenntnisse dienen bei diesem Balanceakt als Orientierung.

 

*Oels & Carvalho, 2012: Wer hat Angst vor „Klimaflüchtlingen“? Wie die mediale und politische Konstruktion des Klimawandels den politischen Handlungsspielraum strukturiert.Aus dem Buch „Das Medien-Klima“ von Mike Schäfer und Irene Neverla.

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