Langsam schlendere ich über den kahl gemähten Acker. Ich versuche nicht über die knöchelhohen Halme zu stolpern und suche dabei über mir den blauen Himmel ab. Dabei übersehe ich fast, was direkt vor meiner Nase passiert. Flügel flattern, zwei große, braune Schwingen falten sich aus und schon fliegt der Vogel aus dem nahestehenden Apfelbaum in die Lüfte. Ich lasse die Tasche meiner Kamera fallen, zücke sie so schnell ich kann, suche das unendliche Blau nach dem Raubtier ab, entdecke es und halte drauf.
Gemächlich zieht der Vogel, den ich noch nicht bestimmen kann, über mir seine Kreise. Er lässt sich vom Wind tragen, schlägt nur ab und zu mit den Flügeln und steigt höher auf. Immer wieder bringt er sich über mir in Position, als wolle er sich für das Fotoshooting richtig ins Zeug legen.
Im Hintergrund dieser Szenerie erhebt sich die Ronneburg über das Tal und die gleichnamige Gemeinde. Dort befindet sich die lokale Falknerei. Walter Reinhart ist dort seit vielen Jahren als Falkner tätig und kümmert sich um die Greifvögel in der Umgebung. Und davon gibt es reichlich in der Region. „Ronneburg hat eine sehr abwechslungsreiche Landschaft zu bieten. Wir haben hier Wälder, Hügel, kleine Dörfer, einen gemäßigten Verkehr und vor allem viele Wiesen und Felder. Diese werden häufig gemäht und geerntet, wodurch viele Insekten in der Luft sind und kleine Beutetiere aufgescheucht werden.“, erklärt Walter Reinhart.
Dank dieser vielseitigen Biotope gibt es verschiedene Greifvogelarten in Ronneburg. So zum Beispiel der Habicht, der Sperber und der Mäusebussard. Dazu leben hier einige Falken-Arten und der Rot- sowie der Schwarzmilan.
Tierschutz in der Falknerei
Mit all diesen Arten arbeitet der Falkner täglich. Die klassische Arbeit in der Falknerei besteht aus Lehrveranstaltungen für Schulen, Gruppen und Vereine zur Ornithologie und zum Artenschutz, der Abrichtung der Greifvögel und entsprechenden Vorführungen. Doch darüber hinaus betreibt die Falknerei Ronneburg Naturschutzprojekte und führt eine Auffangstation für Greifvögel und Eulen, in der die Tiere gepflegt und wieder ausgewildert werden. „Seit 40 Jahren kümmere ich mich um verschiedene Steinkauz-Projekte und hänge Steinkauz-Röhren auf. Wir bringen Nisthilfen für Eulen an, da diese mittlerweile weniger Nistplätze finden, weil zum Beispiel Scheunen weniger zugänglich sind als früher.”, berichtet Herr Reinhart.
In der Auffangstation landen zumeist Vögel, die einen Verkehrsunfall haben. Die meisten Verunglückten sind die häufig vorkommenden Turmfalken und Mäusebussarde. In der Brutzeit fallen auch immer wieder Jungvögel aus ihren Nestern, die dann aufgepäppelt werden müssen. „Dann haben wir auch noch oft verletzte Sperber.“, ergänzt Walter Reinhart. „Diese Vögel jagen sehr rasant, oft in der Nähe von Häusern und dann verletzen sie sich häufig an Zäunen oder anderen Hindernissen.“
Wie steht es um unsere Greifvögel?
Schließlich lässt sich der Vogel langsam vom Wind davontragen. Sein stechender Blick ist stets auf den Acker unter ihm gerichtet. Schon bald hat er Erfolg und schießt in die Tiefe und verschwindet aus meinem Blickfeld.
Ich schaue mir meine aufgenommenen Bilder an. Lange Flügel, die markanten weißen Stellen im Gefieder und ein tief gegabelter, roter Schwanz. Bei diesem imposanten Raubvogel handelt es sich um einen Rotmilan. Mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,8 m gehört dieser anmutige Segler zu den größten Greifvögeln in der Region. Er jagt im Suchflug und frisst vor allem kleine Säugetiere und Vögel. Lange Zeit galt der Rotmilan als gefährdet, nachdem zu Beginn der 90er Jahre der Bestand erheblich abgenommen hatte. Die Gründe dafür liegen vor allem in einer Veränderung in der Landwirtschaft, weshalb das Nahrungsangebot abnahm. Aber auch zunehmende Bedrohungen durch den Verkehr oder durch Freileitungen und Windkraftanlagen sorgten für Unfälle.
Mittlerweile hat sich der Bestand jedoch stabilisiert. Im Jahr 2021 wurde der Rotmilan auf der Roten Liste, einem Ranking der IUCN (International Union for Conservation of Nature) in der die Artenbestände von bedrohten Tierarten eingeschätzt werden, in die Kategorie „ungefährdet“ herabgestuft. Da der Rotmilan fast ausschließlich in Europa vorkommt und zwischen 40 und 50 Prozent des Artbestandes in Deutschland brüten, ist diese Art stark vom Schutz hierzulande abhängig. Aktuell stehen einige Adler- und Weihen-Arten auf der Roten Liste. Aber auch der in Ronneburg ansässige Baumfalke wird als gefährdet eingestuft.
Forst- und Landwirtschaft
Für die Greifvögel sind der Wald und die grünen Felder die wichtigsten Lebensräume. Der Wald bietet ihnen Schutz und einen Platz für ihre Horste und Nester, während die Äcker und Grünflächen ihre wichtigste Quelle für Nahrung wie Mäuse, Hasen oder Insekten sind.
Im Bereich der Forstwirtschaft sieht der Falkner sehr weitreichende Probleme. “Mittlerweile wird zu jeder Jahreszeit im Wald gearbeitet, während früher nur im Winter Holz gemacht wurde. Daher haben die Vögel keine Ruhezeit mehr und werden beim Brüten gestört.” Zudem werden viele Horstbäume gefällt, obwohl verlassene Nester von Greifvögeln wieder benutzt werden. Manche Greifvögel bauen keine eigenen Nester und sind auf diese angewiesen. “Diese Bäume sind Habitatsbäume und von denen hat man die Finger zu lassen. Aber ich spreche mit vielen Forstleuten und mir kann da keiner was vormachen. Die meisten gucken gar nicht nach.”, berichtet Herr Reinhart frustriert.
Die Greifvögel sind bei der Nahrungssuche ebenfalls vom Insektensterben betroffen. Viele Beutetiere sind bei ihrer Ernährung auf ein ausreichendes Angebot an Insekten in den Feldern angewiesen und auch viele Greifvögel stocken ihren Speiseplan damit auf. In der Landwirtschaft werden viele Ackergifte freigesetzt, die Gräser und somit den Lebensraum von Insekten vernichten. Damit wird auch die Nahrungsgrundlage der Vögel eingeschränkt.
Aktuelle Probleme
“Mich hat mal ein Investor eines Windparks gefragt, wie er in Norddeutschland einen Fischadler wegbekommt. Der Adler hat dort ein Nest gebaut und dadurch wurde eine Erweiterung des Parks nicht genehmigt. Ich habe ihm gesagt, er sollte das besser vergessen. Dafür kann er eine Strafe in Höhe von 100.000 € oder sogar eine Gefängnisstrafe bekommen. Er antwortete, dass er die Geldstrafe schon bezahlen würde. Da war ich sehr schockiert.“
In Ronneburg steht seit einigen Jahren das Thema Windkraft auf der Agenda. Während Ronneburg selbst den Bau von Windrädern ablehnt, wollen viele umliegende Gemeinden solche in Richtung Ronneburg errichten. Dafür sollen bewaldete Hügelketten herhalten. Ein großer Teil der Kritik dreht sich um die Schonung des Waldes und eben auch um die Gefährdung für Greifvögel. Falkner Reinhart engagiert sich selbst im Protest gegen die Windkraft: „Vögel können die Gefahr nicht richtig wahrnehmen. Wenn diese Windräder in Hochwaldgebieten errichtet werden, wird dort nicht nur der Lebensraum der Greifvögel zerstört, sie kommen außerdem unweigerlich miteinander in Kontakt. Wenn Greifvögel jagen, suchen sie den Boden ab und ziehen ihre Kreise. Dabei achten sie nicht auf ein näher kommendes Rotorblatt.“
Zudem werden immer öfter Greifvögel vergiftet.. In den meisten Fällen kann den Tieren nicht mehr geholfen werden. “Das ist ganz schön hart, wenn man einen vergifteten Vogel findet.“, beschreibt Walter Reinhart. “Die Muskulatur ist steinhart und nur noch die Augen bewegen sich.“ Die Greifvögel sind häufig durch die Aufnahme eines vergifteten Beutetieres indirekt betroffen. Allerdings gibt es auch immer wieder Fälle von absichtlicher Vergiftung. Zum Beispiel durch Taubenzüchter, die ihre Tiere verteidigen wollen. Zudem wurden vergiftete Vögel oft in Gebieten gefunden, in denen Windräder aufgestellt werden sollen.
Dort oben
Ich hebe die Tasche meiner Kamera wieder auf und verstaue sie sorgfältig. Dann kehre ich zum Feldweg zurück und mache mich auf den Heimweg. In der Ferne kann ich immer noch einige Greifvögel fliegen sehen. Sie ziehen als schwarze Striche ihre Kreise vor den hellen Wolken. Es hat gleichzeitig etwas Beruhigendes und Erhabenes an sich, wenn sie auf dem Wind auf und ab segeln.