Interview: Jana Weiß

Herr Scior, Sie sind Heimatforscher, aber auch Geschichtslehrer. Wie lange üben Sie Ihre Tätigkeit als Heimatforscher schon aus?

Ich war Geschichtslehrer, bin aber seit 20 Jahren nicht mehr im aktiven Dienst. Ich war Rektor an einer Gesamtschule und auch Klassenlehrer. Meine Tätigkeit als Heimatforscher, ach Gott, schon immer. Ich hatte in meiner Kindheit ein Buch, „Bilder deutscher Geschichte“, das war damals meine Lektüre. Aus diesem Buch habe ich mein geschichtliches Interesse entwickelt.

Wie kamen Sie zu der Arbeit als Heimatforscher? Gab es für Sie einen speziellen Moment, indem Sie dachten „Ich möchte mehr über die Geschichte meiner Heimat erfahren“?

Der Moment kam, als ich meinen ersten Schultag als Lehrer hatte. Zufällig war in diesem Jahr Jubiläumsfeier in Traisa. Da der Schulleiter wusste, dass ich Geschichte studiert habe, hat er gesagt: „Hör mal, du bist der richtige Mann für die Jubiläumsveranstaltung.“ Da hab ich gesagt: „Mach‘ ich gerne.“ Und so bin ich dazu gekommen. Und das Erste, das danach passiert ist, ist ein Buch von mir: 650 Jahre Traisa. Das war meine erste Veröffentlichung. Seit dem hat mich das nicht mehr losgelassen. Ich halte auch regelmäßig zur Kerb historische Vorträge. Kaum ist das eine Thema abgeschlossen, fällt schon wieder das Nächste an. Ich habe mir schon oft gesagt: „Das ist jetzt das Letzte, es reicht.“ Manchmal denke ich, es ist zu viel, das ich alles andere im Leben versäume. Gott sei Dank habe ich aber noch eine sportliche Leidenschaft zur Erhaltung meiner Gesundheit. Ich war früher Sportschwimmer. Jetzt gehe ich nach wie vor noch zwei Mal die Woche zum Training.

Heimatforscher Scior; privat

Was sind für Sie die interessantesten unbekannten Orte in Mühltal?

Unbekannte Orte gibt es für mich eigentlich kaum mehr. Aber im Grunde bieten sehr viele Orte in Mühltal eine interessante Historie. Nur die wenigsten interessieren sich dafür. Die machen vielleicht ihren Spaziergang und benutzen da einen Weg, aber haben keine Ahnung welche Bedeutung dieser Weg hat. Ganz hier in der Nähe gibt es eine turmartige Ruine. Das war ursprünglich der Sitz eines Großherzogs. Der hat sich diesen Turm bauen lassen, um mit dem Fernglas, die Manöver seiner Truppen in Babenhausen zu beobachten. Wir haben in Trautheim auch ein Forsthaus, die Emmelinenhütte. Die ist schon in der Forstkarte des Bessunger Waldes von 1722 enthalten. Dann gibt es noch eine alte Straße, die die Römer angelegt haben. Die wurde als Durchgangszone zwischen dem Main und Rhein benutzt. Als Trautheim sich entwickelt hat, sind die Leute immer wieder auf vorzeitliche Funde gestoßen. Am Ausgang von Trautheim hat man zum Beispiel ein Mundstück eines römischen Blasinstruments und Münzen gefunden.

Was war für Sie die spannendste Entdeckung bisher?

Die spannendste Entdeckung war eigentlich meine eigene Familienvorgeschichte. Ich bin ja auch Genealoge und habe meine eigene Familie einfach mal zurückverfolgt. Wir kommen aus der Schweiz. Da gibt es heute noch ein Gebirge, das hat den gleichen Namen wie ich, nur mit einem A am Ende. Dann bin ich natürlich mit dieser Kenntnis ganz anders umgegangen und habe überall wo ich war im Süden, in Telefonbüchern nach dem Namen gesucht.

Noch mal zurück nach Mühltal. Es gibt einen Wanderweg, der an Hügelgräbern vorbeiführt. Wann wurden diese entdeckt und was wurde in ihnen gefunden?

Das kann ich nicht genau sagen. Die meisten Hügelgräber stammen aber aus der mittleren Bronze-Zeit.

Die Gräber sind dann viel älter als die Römer, richtig?

Ja, sehr viel älter. Diese Hügelgräber gehen in unterschiedliche Epochen zurück. Dort wo die Hügelgräber waren, gab es mit Sicherheit auch eine Siedlung in der Nähe. Man hat durch die Art der Funde in den Hügelgräbern darauf schließen können, dass dort mehrere Menschen gesiedelt haben müssen. In der Vergangenheit waren die Hügelgräber auch Anziehungspunkt für Grabräuber.

Besteht dieses Problem immer noch und falls ja, wird etwas für den Schutz der Hügelgräber getan?

Da wird nichts getan. Die Stellen sind auch schwer zu finden. Man muss wissen, wie Hügelgräber überhaupt aussehen können. Man muss einen Blick dafür haben, da das Terrain dort ganz anders ist.

Was können Sie mir noch über die Geschichte der Römer in Mühltal erzählen?

Es gibt die Villa Rustica in Trautheim. Eine Villa Rustica ist ein römischer Bauernhof, also im Grunde ein großer landwirtschaftlicher Betrieb. In Nieder-Ramstadt gab es auch eine Villa Rustica, die aber bedauerlicherweise wegen Unterschlagung der Funde nie gemeldet wurde.

Wann kamen die ersten Römer nach Mühltal?

Ungefähr 70 nach Christus. Die Römer haben erst das links-rheinische Gebiet erobert. Dann haben sie das Rheinvorland, also auch die Gegend um Mühltal, besiedelt.

Der alte Steinbruch Steinbuckel soll ebenfalls von den Römern angelegt und genutzt worden sein. Welche Spuren der Römer hat man dort gefunden?

Der Steinbuckel ist kein römischer Steinbruch. Der Steinbruch wurde in einem Vulkanschlot angelegt und die Steine, die dort gebrochen worden sind, findet man in Traisa in alten Häusern wieder. Es kann sein, dass dort schon zu römischen Zeiten Steine gebrochen wurden, aber dafür gibt es keine Beweise. Weitere Vulkane gibt es auch in Roßdorf und Gundernhausen. Auf der gleichen Linie liegt auch der Steinbuckel. Das ist erdgeschichtlich gesehen die gleiche vulkanische Störzone. Und diese Zone ist, tief unter der Erde, bis heute noch aktiv.

Ich habe auch einiges über den Nieder-Ramstädter Steinbruch gelesen. Dieser ist bei vielen auch als „Lost Place“ bekannt. Was können Sie mir über die Geschichte des Steinbruchs erzählen?

Ursprünglich war dort ein Weinberg. Nieder-Ramstadt war vor dem 30-jährigen Krieg das bedeutendste Weinbaugebiet im Kreis Darmstadt. Nach dem Krieg verwilderte der Weinberg, da er nicht mehr genutzt wurde. Als die Eisenbahn um 1870 gebaut wurde, wurde für den Bau Schotter benötigt. Dafür wurde der Steinbruch angelegt und war bis etwa 1970 in Benutzung. Die Tiefe des Steinbruchs geht unter das Niveau der Modau. Der Steinbruchsee besteht nicht nur aus Regenwasser, sondern auch aus Grundwasser, dass sich von unten hochdrückt. Als „Lost Place“ ist er bekannt, weil dort noch Reste der ehemaligen Förderanlage stehen. Er ist aber für die Öffentlichkeit nicht legal zugänglich.

Es gibt die sogenannten Magnetsteine in Mühltal, von denen angenommen wird wird, dass sie durch einen Blitzeinschlag magnetisiert wurden. Ist mehr darüber bekannt?

Ich weiß, dass dort tatsächlich die Nadel eines Kompasses abweicht. Aber warum das so ist und wodurch das entstanden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Man muss einfach mit offenen Augen und ein bisschen Verstand durch die Gegend laufen. Wenn man das nicht tut, läuft man an so Plätzen vorbei und sieht nichts.

Ich habe gelesen, dass an verschiedenen Steinbrüchen in der Gemeinde Mühltal immer wieder illegalerweise Steine von Gesteinssammlern abgeschlagen werden. Was ist an diesem Gestein so wertvoll?

Es gibt halt Mineraliensammler, die hat es auch schon immer gegeben. Es ist auch nicht verboten mal einen Stein abzuschlagen. Aber es ist illegal, wenn ein Steinbruch geschlossen ist, weil zum Beispiel Absturzgefahr besteht. Aber dann hat das nichts mit dem Wert der Steine zu tun. Das ist eben ein Verbot, das ausgesprochen wird, um andere zu schützen.

Können Sie sich in Zukunft auch weiterhin vorstellen, als Heimatforscher tätig zu sein?

Da sage ich einfach mal: Ja. Ich weiß zwar wie alt ich bin, ich bin jetzt 79 und das Alter hinterlässt irgendwo seine Spuren. Andere Leute sind mit 50 oder 60 schon lange gestorben, und ich kann immer noch was tun. Das Schlimmste für einen Menschen ist, wenn er nichts mehr tun kann, wenn er in seinem Leben nicht mehr weiß, was er machen soll. Ich habe seit meinem Ruhestand weiterhin das gemacht, das ich vorher schon gemacht habe. Nur mache ich das jetzt alles selbstbestimmt. Und natürlich weiß ich, dass meine Zeit begrenzt ist. Aber ich habe trotzdem noch Ziele. Das nächste Projekt wäre noch ein weiteres Buch zu schreiben.



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