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„Ich sehe viele Leute, die sich weit über den eigenen Kreis hinaus engagieren“

Herr Barkmann, wir sind über den Begriff gestolpert. Was muss man sich unter Risikowissenschaft vorstellen?

Risiko ist ein sehr interessanter Begriff, der das Leben und das Nachdenken über bestimmte Formen von Ungewissheit kennzeichnet. Eine gewisse Ungewissheit über die Folgen ihrer Entscheidungen begleitet die meisten Menschen ihr ganze Leben. In der Risikowissenschaft systematisieren und untersuchen wir diese Ungewissheit. Viele Ungewissheiten betreffen die natürliche Umwelt. So weiß ein Landwirt nicht, wie das Wetter im Laufe des Jahres wird, wenn im Frühjahr ausgesät wird. Andere Ungewissheiten betreffen das wirtschaftliche Umfeld. Wie entwickeln sich die Preise für Saatgut oder für Kunstdünger, wie die Verkaufspreise für Milch oder Weizen? Auch wissen wir oft nicht, wie stark wir die Umweltsysteme belasten können. Risikowissenschaft hat aber auch eine wichtige sozialwissenschaftliche Seite. Wie nehmen Menschen Ungewissheiten wahr? Wie handeln sie in Risikosituationen?

Gibt es nicht auch Chancen, wo Risiken sind?

Sicher nicht immer. Aber nehmen wir den neuen Master-Studiengang Risk Assessment and Sustainability Management (RASUM) an der h_da. Wir möchten, dass unsere Studierenden nach den Regeln der Kunst Risiken analysieren und bewältigen lernen. Aber wir möchten auch, dass sie dann in der Lage sind, einen Schritt weiter zu gehen. Kann ich die ganze Risikoinformation nicht auch nutzen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln? Um nicht nur zu tun, was das Gesetz vorschreibt, sondern um mein Unternehmen wirklich voran zu bringen? Wir glauben, dass hier große Potenziele sind.

Welches Ihrer Forschungsprojekte hat am meisten gefruchtet?

Forschungsprojekte haben verschiedene „Früchte“. Ausgebildete Doktorand/innen, abgeschlossene Masterarbeiten, Forschungsveröffentlichungen. Ich habe in den vergangenen Jahren an der Universität in Göttingen viel Grundlagenforschung gemacht. Da ist die Umsetzung oft weit weg. Für eine direkte Anwendung verspreche ich mir am meisten vom neuen Projekt hier in Darmstadt. Wir schauen uns die Wertschöpfungskette der Vanille an – von der Anpflanzung auf Madagaskar bis hin zum Vanilleeis. Das hat sehr wahrscheinlich die größten Ergebnisse, weil wir von Anfang an mit der Industrie und den kleinbäuerliche Haushalten zusammenarbeiten. Gerade dieser Tage feilen wir am ersten Anschlussprojekt mit einem großem Nahrungsmittel-Unternehmen aus der Region. Offiziell heißt das dann „transformative“ Nachhaltigkeitsforschung – und passt perfekt an die Hochschule Darmstadt.

Prof. Dr. Jan Barkmann lehrt Risiko- und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hochschule Darmstadt. Als Leiter des Sozial- und Kulturwissenschaftlichen Begleitstudiums an der h-da setzt er sich dafür ein, Nachhaltige Entwicklung als einen Schwerpunkt in der Lehre zu etablieren. Er forscht v.a. im Bereich der Agrar- und Umweltökonomik zu Problemen einer sozial- und umweltverträglichen, risikoarmen Landnutzung einschließlich der zugehörigen Wertschöpfungsketten und des Verbraucherinnen-Verhaltens. (Quelle: suk.h-da.de)

Was ist Ihr Verständnis von Nachhaltigkeit?

Nachhaltige Entwicklung ist in erster Linie ein sozial motiviertes Konzept. Es geht um die Befriedigung der Grundbedürfnisse dieser und zukünftiger Generationen. Die zweite Facette ist die Gerechtigkeits: eine Welt, alle Generationen. Dafür braucht es eine funktionierende Wirtschaft; unsere Produktion und unser Verbrauch benötigen einigermaßen stabile Umweltsysteme. Das heißt aber: Wirtschaft und Umwelt haben in Bezug auf das Soziale eine dienende Rolle. Das drückt die Brundtland-Definition ganz gut aus.

Technischer ausgedrückt halte ich viel davon, nachhaltige Entwicklung als regulative Idee des Umwelt- und Entwicklungsdiskurses aufzufassen. Niemand hat die eine Blaupause nach der wir Umwelt und Gesellschaft einfach nur umbauen brauchen und schon läuft alles glatt. Wir haben bestimmte Einsichten was funktioniert und was nicht, was ist gefährlich, was ist weniger gefährlich. Und innerhalb dieser Leitplanken versuchen wir uns vorsichtig zu orientieren. Es ist aber immer auch ein kommunkativer Aushandlungsprozess.

Warum lässt sich Nachhaltigkeit der Gesellschaft schwer nahebringen?

Ich glaube gar nicht, dass die Idee der Nachhaltigkeit oder der nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft so schwer nahezubringen ist. Das Prinzip verstehen die Leute: nicht mehr ernten als nachwächst. Vorsichtig mit den Umweltsystemen umgehen – aber die Grundbedürfnisse der Menschen auf der einen Welt dabei nicht vergessen. Unsere Gesellschaft ist nicht von zynischen Egoisten geprägt, die sagen „Nur Ich“ und der Rest interessiert mich nicht. Natürlich gibt es die auch. Aber ich sehe viele Leute, die sich weit über den eigenen Kreis hinaus engagieren. Wer für schmales Geld Übungsleiter im Sportverein ist, trägt zur sozialen Nachhaltigkeit, zum sozialen Zusammenhalt bei. Das ist die Art von Engagement die gebraucht wird. Die findet dann nicht im Umweltbereich oder im globalisierten Kontext statt, sondern hier. Das sind Leute, die bereit sind sich für als richtig erkannte Dinge einzusetzen. Dazu gehört auch das einigermaßen vernünftige Überleben auf diesem Planeten.

 Wie beziehen Sie diese Ansichten in Ihr Leben ein?

Fünfzehn Jahre habe ich recht intensiv Parteipolitik in Richtung nachhaltige Entwicklung gemacht. Ich habe dann aber gemerkt, dass ich wissenschaftlich doch mehr beitragen kann. Vielleicht konnte ich auch Wissenschaft nur besser als Politik (lacht). Privat mache ich heute, was mensch ohne große Schmerzen tun kann. Wir haben kein Auto, wir haben keinen Fernseher, ich habe erst seit kurzem ein Handy und kaufe fast nur gebrauchte Kleidung – wahrscheinlich bin ich einer der größten Oxfam-Kunden in Göttingen. Ich mache auch keine privaten Interkontinentalreisen, darauf kann ich gut verzichten. Andererseits wohne ich gerne in einer etwas größeren Altbauwohnung. Unsere m² pro Person sind vermutlich nur mäßig nachhaltig. Zudem sind Menschen ökologisch Allesesser – ich auch.

Wo braucht es Verbote?

Ein klassischer Bereich ist der Naturschutz. Wenn wir bedrohte Arten oder Ökosystemtypen haben, die nur noch auf kleine Restflächen vorkommen, dann müssen schon Verbote her. Es gibt in ganz Mitteleuropa fast keine unzerstörten Hochmoore mehr. Auf Restflächen wie der Esterweger Dose in Niedersachsen wird noch bis in das kommende Jahrzehnt abgetorft. Es dauert Jahrtausende – wenn überhaupt, bis das Moor wieder aufgewachsen ist. Weniger nachhaltig geht es kaum. Da darf und soll der Amtsnaturschutz seinen schweren Arm auf diese Gebiete legen.

Verbote sind zwar leicht von der Politik zu erlassen. Sie sind aber oft unflexibel, teuer und haben unerwünschte Nebenwirkungen. „Der Markt“ kann aber viele Probleme natürlich auch nicht von allein lösen. Ich glaube insgesamt aber, dass in Deutschland schon mehr marktwirtschaftliche Instrumente eingesetzt werden könnten, auch in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Ausgerechnet der CO2-Emissionshandel in der EU zeigt aber wie es nicht funktioniert.

Wo sehen Sie Nachhaltigkeit an der Hochschule Darmstadt?

Wir haben jetzt eine von der Hochschulleitung unterstütze Initiative Nachhaltige Entwicklung (I:NE), hatten in diesem Semster eine schöne Ringvorlesung und werden zum nächsten Semester zum Beispiel einen Kurs im Sozial- und Kulturwissenschaftlichen Begleistudium (SuK) zum Green Office machen. Es geht da um studentische Beteiligungsmöglichkeiten an einer nachhaltigen Hochschule.

Die Hochschule Darmstadt ist traditionell stark ingenieurwissenschaftlich geprägt. Energie- und Ressourceneffizienz ist standarmäßiger Bestandteil der Ausbildung hier. Aber es geht sicher noch besser. Und als ganze Institution hat sich die h_da noch nicht der nachhaltigen Entwicklung verschrieben. Einfach nur Effizienz zu sagen reicht nicht. Wir müssen darüber nachdenken, was will ich wirklich, was ist wichtig, wo muss ich mich einschränken. Solche Reflexionskompetenzen wollen wir im Begleitstudium vermitteln. Auch in Kursen, die im engsten Sinne nichts mit nachhaltiger Entwicklung zu tun haben.

Was geben Sie Ihren Studenten mit auf den Weg?

Nachhaltige Entwicklung ist keine Blaupause. Probleme müssen von verschiedenen Seiten angeschaut und dabei die Nachhaltigkeit weder auf Soziales, auf Wirtschaft oder auf Umweltaspekte verkürzt werden. Wir haben uns beispielsweise in einem Kurs journalistische Videos zur Kinderarbeit in der Kakaoproduktion der Elfenbeinküste angeschaut und uns gefragt: „Was ist eigentlich wirklich belegt? Was wird suggeriert?“ Dann haben wir für verschiedene Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette gefragt: „Was ist genau deren Verantworting und was sind deren Handlungsmöglichkeiten?“ Die Studierenden sollen genau hinschauen, kritisch auch anscheinend Selbstverständliches hinterfragen lernen. Das ist oft das Schwerste.

Interview: Lisa Brockschmidt und Elisabeth Modjesch

 

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