Herr Altmann, Sie sammeln und erzählen schon lange gute Geschichten. Das Geschichtenerzählen ist ein Trend im Journalismus geworden; jeder spricht von Narrativen und Storytelling. Was verstehen Sie darunter?
Das, was jeder, der schreibt, darunter verstehen sollte: tell a fucking good story. Surpris me, enrich me, tell me something about the world.
Und wie wirkt dieses „Überrachen und Bereichern“, können gute Geschichten Menschen zum Umdenken bewegen?
Manchmal, meist nicht. Zum Umdenken muss außerdem niemand bewegt werden, es würde reichen, sie zum Denken zu bewegen. Aber Denken ist kein Massensport. Helfen könnte etwas Anderes: entschiedene politische Entscheidungen. Die müssen her.
Von selbst schaffen wir es nicht?
Das hat wohl mit unser aller Gier zu tun – und der Lobby, die sich Entscheidungsträgern gegenüber gern erkenntlich zeigen. Viele Leute, die ich über Klimaschutz reden und/oder schreiben höre, stinken vor Bigotterie. Sprich, sie schwatzen, sind aber zu keinen tatsächlichen Abstrichen in ihrem Leben bereit; nur Blabla, um sich sozial herauszuputzen, Blabla ohne Folgen. Zudem leben wir in einem Wirtschaftsmodell, das nur ein Ziel hat: noch mehr Plunder und Schwachsinn zu produzieren. Wer sollte uns aus dieser Sackgasse retten? Wie sagte es Roman Gary? „Die größte Kraft aller Zeiten ist die Dummheit“ – mit einem Riesen-D geschrieben.
Wie wichtig sind Ihnen selbst Natur- und Umweltbezüge beim Schreiben?
In Reportagen sind sie diese Bezüge wichtig, wenn sie Sinn machen. Sonst nicht. Denn ich schreibe nicht mit dem erigierten Zeigefinger, der ununterbrochen vom Untergang der Welt berichtet. Ok, manchmal haue in meinen Büchern auch rein. Dann halte ich die fetten Eber und ihre maßlose Gier nicht mehr aus. Hier mal ein Auszug aus „Gebrauchsanweisung für die Welt“: „Wer hat noch nie die Hunderttausenden gesehen, die ihre ‘schönsten Wochen des Jahres‘ in türkischen oder spanischen oder dominikanischen Hotelbunkern verbringen? Wo auch immer. Ich würde an die Herrschaften beim Einchecken gern Luftaufnahmen verteilen, sagen wir, von der Costa Blanca und von Kreta, je zwei Fotos, einmal vor dreißig Jahren aufgenommen, einmal brandneu. Damit sie den Ruin sehen, den die Massen und der Massentourismus an Mutter Erde zu verantworten haben. Der Beton als Markenzeichen, der Protz als Richtschnur, der gräulichste Geschmack gerade gräulich genug. Hier, so scheint es, wollen sie in Schafsherdengröße durchgeschleust, abgefüttert und gegrillt werden.“
Deutliche Worte!
Mag sein, dass ich beim Schreiben dieses Kapitels zu wüst die Axt geschwungen habe. Über den Köpfen derer, die sich als Stückgut über „Traumstränden“ abwerfen lassen. Damit aus dem Traum ein Albtraum wird. Aber ich fühle, als wäre ich die Erde selbst. Jede Warze Hässlichkeit, jeder Betonklotz, jede Schneise Raffgier in einen Wald, jeder Ruf nach noch mehr Luxus, nach noch mehr Fressen, nach noch mehr Ansprüchen, nach noch mehr „Nie-den-Hals-vollkriegen“ ist ein Schwinger auf mein Herz. Ich verkrafte sie einfach nicht mehr, die Profitganoven, deren Maß aller Dinge einzig ihre Maßlosigkeit ist. Wie sagte es Karl Lagerfeld kürzlich: „Zuviel darf nicht genug sein.“ Aus dem Satz würde ich gern eine knochenharte Papyrusrolle drehen und sie ihm um die Ohren hauen. Alter muss für manche tatsächlich grausam sein. Jeden Tag landet ein neuer Nagel im Hirn. Um es abzudichten.
Suchen Sie also doch bewusst solche Bezüge?
Das klingt mir zu didaktisch, ich habe nur ein Ziel: passabel intelligent zu schreiben. Klar, wenn es passt, dann nehme ich zur Bezug zur Umwelt.
Die Umwelt thematisieren – machen das aus Ihrer Sicht Journalisten heute öfter, gerade die reisenden, die wie Sie viel unterwegs sind?
Weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass seit der ersten Klimakonferenz 1992 in Rio de Janeiro: eine Milliarde Autos gebaut wurden, es knapp zwei Drittel mehr Verkehrsflugzeuge gibt und dass die Weltbevölkerung um die Hälfte gestiegen ist. Wer sollte uns von unserem Irrsinn erlösen? „Grüne“ Journalisten, haha, dass ich nicht lache.
Aber sollten Journalisten, und gerade die mit einer globalen Perspektive, nicht ebendiesen grünen Themen stärker nachgehen angesichts aller ökologischen Krisen?
Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um anderen zu erzählen, was sie tun sollen.
Interview: David Wünschel
Erstveröffentlichung: 4.7.2017