von Doreen Dormehl
Anmutig wächst es dort am Bachufer. Seine lilafarbenen, schmetterlingsförmigen Blüten wehen etwas zaghaft und verletzlich im Wind, ein bunter Farbtupfer in grüner Einöde. Es scheint so, als hätte es seinen sicheren Platz dort am Wasser gefunden – das Indische oder auch Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera). Doch die Einschätzung trügt: Das Indisches Springkraut ist ein Fremdling, der eigentlich nicht an Deutschlands Bach- und Flussufer gehört. Und so harmlos, wie es scheint, ist es auch nicht. Denn das Kraut wird bis zu drei Meter hoch und schleudert seine Samen explosionsartig bis zu vier Meter weit. Diese wachsen in die Höhe – und lassen dann als ausgewachsenes Springkraut kaum mehr Platz für andere Pflanzen.
Feucht, warm, leichtschattig und reich an Stickstoff muss der Standort für das Springkraut sein. Daher befällt es besonders gerne feuchte Wälder, Auen und überdüngte Flussufer. „Schlangen und Stockenten finden dort keine Brutplätze mehr. Die brauchen dazu nämlich Gehölze“, sagt Ulrike Doyle vom Umweltbundesamt im Gespräch mit Bild der Wissenschaft und unterstreicht damit, wie unerwünscht das Indische Springkraut in Deutschland ist – wie zum Beispiel auch der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Ganze Umweltverbände haben ihm den Kampf erklärt.
Neophyten sind bei Biologen eher unbeliebt
Ursprünglich stammt das Indische Springkraut aus dem Himalaya-Gebiet und der Riesen-Bärenklau aus dem Kaukasus. Beide Arten sind sogenannte Neophyten – also Pflanzen mit Migrationshintergrund. Es sind neu eingebürgerte Pflanzen, die eingewandert und hier neu heimisch geworden sind. Neopphyten sind dementsprechend auch bei vielen Forschern unbeliebt.„Sie kosten Geld, verderben das vertraute Bild und bergen die Gefahr der Ansteckung. Ihrem Vormarsch muss Einhalt geboten werden. Am besten wäre es, sie wieder ganz auszurotten und den alten Zustand, den guten, wiederherzustellen“. So beschreibt der Biologe Josef Reichholf in GEO die aus seiner Sicht gängige Haltung seiner Fachkollegen gegenüber den pflanzlichen Einwanderern. Reichholf, bekannt als kritischer Kopf und Querdenker seines Fachs, lehrte bis 2010 als Professor an beiden Münchner Universitäten zum Thema Naturschutz, Ökologie und Evolutionsbiologie.
Neophyten werden auch als „invasive Arten“ beschrieben. Medien machen daraus schnell dann „Biologische Invasion“ oder „Alienpflanzen“. Was aber bedeute invasiv? Als invasive Arten werden eingeschleppte, gebietsfremde Pflanzen genannt, die unerwünschte Auswirkungen auf andere Arten, Lebensgemeinschaften oder Biotope haben. Oft treten invasive Arten mit einheimischen Arten in Konkurrenz um Lebensraum sowie Ressourcen und verdrängen diese.
Nicht jede Fremde Art richtet Schaden an
Allerdings ist nicht jede gebietsfremde Art gleich invasiv. Von 100 neuen Arten fallen vielleicht zehn auf und nur eine wird problematisch. Viele Arten werden zwar eingeschleppt, verschwinden aber auchbald nach ihrem Auftreten wieder oder fügen sich in das Ökosystem ein. Andere jedoch gefährden die heimische Natur durch Lebensraumveränderungen oder durch Einkreuzen oder Hybridisierungen mit fremdem genetischem Material.
Die Einführung gebietsfremder Pflanzen ist eng mit der menschlichen Kulturgeschichte verbunden. Seit der Entdeckung Amerikas (1492) spricht man von Neophyten. Ob Eroberungszüge, Forschungsreisen oder Handel – so gelangten damals und heute neue Arten nach Europa. „Heutzutage reisen die Samen im Kühlergrill, in LKW-Planen oder am Reifen mit. Als blinde Passagiere fliegen sie auch in Flugzeugen oder reisen im Zug oder auf Schiffen mit“, erklärt der bekannte Botaniker und gelernte Gärtner Jürgen Feder. Auf diesen Wegen wurden über die Zeit insgesamt mehrere tausend gebietsfremde Zier- und Nutzpflanzen beabsichtigt nach Deutschland eingeführt. Davon konnten sich bisher ca. 220 Arten etablieren – dazu zählt etwa die Kartoffel oder die Tomate. Weitere 210 etablierte Neophyten wurden aus Versehen eingeschleppt.
Autobahnen als Artenfundus
Eher zufällig breiteten sich auch die Pflanzenarten entlang von Autobahnen und Bahntrassen aus, sagt Jürgen Feder. Der Diplom-Ingenieur für Landespflege, Flora und Vegetationskunde sucht selbst solch außergewöhnliche Orten nach Pflanzen ab; der „Extrembotaniker“ erfasst jeden Stengel, den er neu entdeckt. „An Autobahnen herrschen besondere Bedingungen: Es ist warm, nährstoffreich und es wird gemäht. An einer Bahnlinie habe ich den vom Aussterben bedrohte Dreifinger-Steinbrech wiederentdeckt. Im Bahnschotter erholt er sich und beginnt zu wandern“, sagt Feder begeistert. Entlang der Bahntrasse zwischen Göttingen und Bremen hat sich der Dreifinger-Steinbrech langsam ausgebreitet.
Bis eine Pflanzenart ausstirbt, müsse viel passieren, sagt Feder. Deshalb hält er von Hiobsbotschaften wie der großen biologischen Invasion nichts: „Es gibt einige Pflanzen, die sich relativ stark ausbreiten. Aber wir Menschen haben ihnen den Lebensraum geschaffen. Die Pflanzen spielen nur eben ihre Stärken aus. Sie finden ihren Platz in Nischen, die wir ihnen geschaffen haben.“
Pflanzen stünden in einem ständigen Konkurrenzkampf – Arten kämen und gingen, das hätten sie schon immer getan. Das sei der normale Rhythmus, sagt Feder. „Die ‚invasiven’ Neophyten haben im Moment einfach noch nicht ihren Gegenspieler gefunden“, beschwichtigt der Botaniker. Man müsse den Pflanzen eben Zeit lassen – und zwar nicht nur zehn Jahre, sondern hundert bis tausend Jahre – so rechne die Pflanzenwelt.
Nicht nur die fremden Arten bedrohen Deutschlands pflanzliche Vielfalt, sondern auch sehr erfolgreichen einheimische Pflanzen, die sich ausbreiten, und die Hochleistungslandwirtschaft, die mit Monokulturen und starkem Düngereinsatz wenige Arten fördert und Vielfalt insgesamt eher zerstört. „Erst der industrielle Ackerbau hat einige wenige fremde Spezies „invasiv“ gemacht, weil er ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Nährboden bereitet hat“, schreibt der Biologe Josef Reichholf in GEO.
Viele heimische vertragen das starke Düngen nicht. Zum Beispiel kommen wilde Ackerwildkräuter, die immer weiter verschwinden, mit der großen Nährstofffracht oft nicht zurecht. Andererseits profitieren dann Arten, die auf nährstoffreiche Verhältnisse angewiesen sind. Das muss aber nicht unbedingt eine gebietsfremde Art sein. „Brennnessel und Löwenzahn gehören auch zu den Gewinnern der Überdüngung“, schreibt Reichholf.
Harsche Medienkritik vom Pflanzenfreund
Panikmache nennt Feder daher die Berichtserstattung über die Biologische Invasion: „Journalisten brauchen etwas, womit sie ihre Sommerlöcher stopfen können. Also greifen sie sich fünf bis sechs Neophyten heraus, die sich aktuell etwas breitmachen. Schreiben dann etwas von Alienpflanzen, die drohen uns zu überwachsen wie der Riesen-Bärklau. Das ist Schwachsinn.“
Eine Meinung, die nicht oft zu hören ist. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Neophyten aktuell hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Allein in der Landwirtschaft kostet ihre Bekämpfung in Deutschland jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag. Und insgesamt nehmen eingeschleppte fremde Pflanzenarten innerhalb der europäischen Flora einen immer größeren Platz ein: Die Zahl der Neophyten hat sich in den letzten 25 Jahren verdreifacht. 5789 Pflanzenarten wurden als gebietsfremd eingestuft, davon stammen 2843 nicht aus Europa. Etwa sechs Neophyten kommen pro Jahr im Durchschnitt dazu. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Rahmen des EU-Projekts DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) durchgeführt wurde. Erstmals haben Forscher aus 15 Nationen Daten aller bekannten Neophyten aus 48 europäischen Ländern und Regionen erfasst und ausgewertet.
Pflanzliche Wanderer haben entscheidende Erfolgsfaktoren
Was macht Neophyten eigentlich so erfolgreich, warum breiten sich gerade sie aus? Zum einen sind sie äußert anpassungsfähig und produzieren reichlich Samen. Schwimm- oder flugfähige sowie lang keimfähige Samen sind bei der Besetzung neuer Territorien besonders von Vorteil. Oft haben Neophyten auch ein enormes Höhen- und Wurzelwachstum, womit sie die anderen Pflanzen buchstäblich in den Schatten stellen und verdrängen. Ein Beispiel dafür ist der oft mannshohe Riesen-Bärenklau.
Neophyten haben besondere Eigenschaften – ob sie eine spezielle Wirkung im Ökosystem entfalten, muss im Einzelfall entschieden werden. Immer wieder schlagen die Emotionen hoch, gerade dann, wenn invasive Arten wie etwa die aus Nordamerika stammende Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) schwere Pollenallergien auslösen und vor allem Astmathiker zusätzlich gefährden.
Der Biologe Mark Davis und 18 weitere international führende Ökologen plädieren in Nature dennoch insgesamt für weniger Emotion und mehr Vernunft im Umgang mit Neophyten: „Beurteilt die Arten nicht nach ihrer Herkunft“. Es herrsche ein wahres Schwarz-Weiß-Denken. Und es gebe keine Befunde darüber, ob eine nahezu unabwendbare Bedrohung der Biodiversität durch eingeführte Spezies ausgehe.
Klare Regeln bei eindeutigen Gefahren
Wo es allerdings begründete Schäden gibt, sind Gegenmaßnahmen durchaus angebracht. So ist im „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ in Artikel 8 (h) festgehalten, „soweit möglich und sofern angebracht, die Einbringung gebietsfremder Arten, welche Ökosysteme, Lebensräume, Arten gefährden, zu verhindern und diese Arten zu kontrollieren oder zu beseitigen“. Damit die genetische Vielfalt innerhalb der Pflanzenwelt weitestgehend gesichert ist, wurde im § 40 des Bundesnaturschutzgesetz festgelegt, dass in der freien Natur Gehölze und Saatgut zunächst vorzugsweisenur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden sollen.
Daher gilt es, die Organismen mit „invasivem“ Potential frühzeitig aufzuspüren, Risikoanalysen zu erstellen und im Ernstfall zu agieren, empfiehlt Ulrike Doyle vom Umweltbundesamt im Gespräch mit Bild der Wissenschaft. Sie ist für eine Verschärfung der gesetzlichen Regelungen zur Einfuhr und Aussetzung fremder Pflanzen. Zudem plädiert sie für eine bessere Aufklärung der Bevölkerung. Dieser Meinung ist auch der Extrembotaniker Jürgen Feder: „Wir brauchen mehr Wissen. Es fehlen die Experten.“
Zudem wüssten viele Privatpersonen kaum noch etwas über die Flora und Fauna, sagt Feder, der auch Exkursionen anbietet. „Medien verbreiten Panik – vor Zecken, vor Riesen-Bärenklau. Sie warnen eigentlich vor allem, was etwas giftig ist oder Allergien auslösen könnte.“ Man müsse vorsichtig sein, wenn man in den Wald gehe, sagt Feder und betont energisch: „Man muss aber überhaupt nicht übertrieben vorsichtig sein.“ Der Waldinteressierte sollte wissen, welchen Pflanzen er sich problemlos nähern kann und welchen nicht. Gäbe es dieses Wissen in der Bevölkerung, empfände sie Natur nicht mehr so oft als etwas Bedrohliches, glaubt der Botaniker.