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Krise-to-go, vom Klimaschutz im Supermarkt

Für einige dieser Kriterien gibt es mittlerweile Herstellerversprechen in Form von Labels. Bei der großen Angebotsvielfalt zu suchen, und meistens noch serh in Eile, da fällt es mir doch schwer, den Durchblick zu behalten. Oft bleibt mir nichts anderes übrig, als googlend vor einem Supermarktregal zu stehen, um dann ernüchtert das Produkt wieder zurückzustellen. Ich frage mich: Kann ich überhaupt alles beachten? Und wie wirkt sich das aus auf meine Ausgaben und mein Zeitmanagement aus?

Dafür mache ich einen Testeinkauf: Bio soll es sein, ohne Plastikverpackung und regional hergestellt, mindestens aber in Deutschland. Auf dem Zettel stehen Brot, Backpapier, Obst, Gemüse, Käse, Haferflocken, Eier und Nudelsoße oder Pesto. Mit gestellter Stoppuhr starte ich den Test:

Ich beginne an der Bäckertheke, um beim Brot schonmal die Plastikverpackung zu umgehen. Danach entdecke ich Haferflocken im Bio-Regal und erschrecke über den Preis: 2,19 Euro für ein paar gequetschte Körner, die sonst nicht einmal einen Euro kosten. Weiter zu Obst und Gemüse, hier ist die Auswahl groß. Allerdings ist die Bio-Ernte in Plastik verpackt. Bei den regionalen Produkten scheint es genau andersherum zu sein. Ich entscheide mich für Kartoffeln vom Hofladen und Äpfel vom Obstbau aus der Umgebung. Ganz ohne Plastik, aber auch ohne Biosiegel.

Ein Fertigprodukt, das alle Kriterien erfüllt, wer hätte das gedacht?

Bananen und Mandarinen fallen heute weg, die wachsen in Deutschland nicht. Auch Tomaten haben im Winter eigentlich keine Saison, aber ich finde Pesto, Tomatensoße und sogar Zucchini im Glas. Aus eigenem Anbau, unbehandelt und aus der Region steht auf dem Deckel. Ein Fertigprodukt, das alle Kriterien erfüllt, wer hätte das gedacht? Nebendran schnappe mir eine Schachtel Bio-Eier aus Hessen und gehe zur Käsetheke. Im Kühlregal steckt immer alles in Plastikverpackungen, also versuche ich hier mein Glück. Fehlanzeige, heute gibt es keinen regionalen Käse und nur Biosorten aus dem Ausland. Hier passiert mir mein erstes Missgeschick: Ich entscheide mich für einen Käse aus deutscher Herstellung. Die Verkäuferin packt ihn dann in eine Plastikschale, die sie wiederum in eine Tüte steckt. Krise!

Da aber im Lebensmittelhandel bereits genug Abfall entsteht, wäre zurückgeben und riskieren, dass der Käse samt Verpackung im Müll landet, die noch umweltschädlichere Variante. Also landet die Tüte im Korb. Mein Ziel plastikfrei zu kaufen, ist demnach schonmal gescheitert.
Die nächste Ernüchterung ist das Kaffeeregal, das ich links liegen lassen muss. Denn die Bohnen kommen natürlich nie aus der Region. Grün- oder Schwarztee  auch nicht. Die zugehörigen Filter sind aber FSC-zertifiziert und kompostierbar, genau wie das Backpapier, ob der Baum mal in Deutschland stand, weiß ich natürlich nicht. „Papier aus verantwortungsvollen Quellen“ steht drauf. Beim Bezahlen stelle ich fest, dass ich noch nie so wenig und gleichzeitig so teuer eingekauft habe. Insgesamt 13 Produkte für knapp 36 Euro, plus das separat gekaufte Brot. Eine Menge Zeit hat mich das ganze auch gekostet, knapp zwei Stunden hat meine Stoppuhr dokumentiert. Es fühlt sich nach teurem Verzicht und Zeitverlust an.

Handeln muss belohnt werden

Mit diesem ernüchternden Gefühl bin ich wahrscheinlich nicht alleine. Nachhaltig leben ist eine anstrengende Umstellung, die erst etwas bewirkt, wenn sich viele beteiligen. Aber wer sagt mir, dass mein bewusster Einkauf wirklich dem Klima hilft? Um meinen Fragen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, warum nachhaltiger Konsum so anstrengend scheint, treffe ich mich mit Daniel Hanss, Professor für Umweltpsychologie und Nachhaltigkeit an der Hochschule Darmstadt. „Soll ich einen Beitrag leisten, obwohl mich das mehr kostet oder unbequemer ist und insgesamt erstmal Nachteile bringt? Und dann bleibt noch die Unsicherheit, ob sich die anderen auch entsprechend verhalten“, erklärt er mir die typischen Zweifel eines umweltorientierten Käufers. Hanss glaubt, dass ökologisch motivierte Kunden die Erfolge ihres Handelns regelmäßig sehen müssten, um am Ball zu bleiben.

Das Bewusstsein für Themen der Nachhaltigkeit ist laut Daniel Hanss in der Gesellschaft durchaus vorhanden. „Es geht darum, wie man diese positiven Einstellungen in aktives Handeln überführen kann.“ Der Schlüssel liegt für ihn darin, sichtbare Bezüge herzustellen. Man müsse „eine globale und für viele abstrakte Herausforderung wie den Klimaschutz herunterbrechen auf lokale Ziele und lokale Herausforderungen“, fordert Hanss. So würde es greifbarer.

Nachhaltigkeit verbinden viele vor allem mit Verzicht, einem eher unbeliebten Thema. Und auch mir ging es bei meinem Testeinkauf nicht anders. Es war eine Verzichtserfahrung. Aber liegt das vielleicht am Blickwinkel? „Eine andere Perspektive wäre, sich nach dem eigentlichen Glück im Leben zu Fragen“, sagt Hanss. „Vielleicht kann der Konsum manchmal dem ganzen auch im Wege stehen.“ Und deshalb könnten Verhaltensveränderungen, die vermeintlich zunächst einmal Verzicht bedeuten, unerwartete Gewinne erbringen, erklärt Hanss. „Lebenszeit zum Beispiel.“

Unerwartete Gewinne? Lebenszeit zum Beispiel

Ich könnte also früher ins Bett gehen und morgens denn Kaffee am Frühstückstisch mal ganz in Ruhe ohne die übliche Hast trinken. Damit täte ich mir etwas Gutes und würde der Umwelt den Coffee-to-go-Becher ersparen. Das klingt machbar, ein dauerhafter Perspektivwechsel fällt mir aber dennoch schwer, stelle ich im Laufe der Recherche fest.

Und es dürfte anderen ähnlich gehen. Denn obwohl viele Menschen gerne nachhaltiger leben würden, schaffen sie die Umstellung nicht von sich aus. Sie fühlen sich gewissermaßen alleingelassen und bräuchten andere, die ihnen helfen oder Vorgaben machen „Da gibt es natürlich definitiv Bereiche in denen „Otto-Normalverbraucher“ es ganz gut finden, wenn die Verantwortung nicht komplett bei ihnen liegt, sondern wenn strukturell oder von staatlicher Seite Maßnahmen ergriffen werden“, sagt Hanss. Ein Beispiel seien die Abgaben auf Plastiktüten in Geschäften, die die Kunden seit Juli 2016 zahlen müssen.

Die Gebühren führten in der Tat zu einem deutlich geringeren Kauf der Kunststofftragetaschen in den Läden. Bereits 2016 reduzierte sich der Tütenverbrauch in Deutschland um knapp ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Und auch ich habe beim Testeinkauf meinen Korb dabei. Dennoch bleibe ich etwas skeptisch. Waren es wirklich nur die paar Cent, die eine Verhaltensänderung herbeiführen konnten? Der Psychologe verweist auf die Gruppeneffekte, die solche Abgaben auslösen: „Dass andere mit im Boot sitzen und auch einen Beitrag leisten müssen, kann einen interessanten motivierenden Aspekt haben, sich entsprechend zu verhalten.“

Kleine Teilchen mit großem Problem

Im Supermarkt meines Testeinkaufs gibt es nur noch Kartons und Papiertaschen. Mit meinem mitgebrachten Korb, lassen sich auch die vermeiden. Mit den Einkaufstüten ist es aber nicht getan. Das greifbare Plastikproblem ist in den Hintergrund gerückt und begegnet uns nun als „Mikroplastik“ neu. Forscher entnahmen 2015 dem Rhein Wasserproben um herauszufinden, wie viele kleine Kunststoffpartikel darin zu finden sind. Das Ergebnis: Der Rhein wird extrem belastet. Genau genommen mit insgesamt circa zehn Tonnen pro Jahr, die dann in der Nordsee landen. An den Mikroplastikteilchen können sich Giftstoffe ablagern und dann in den Verdauungstrakt von Fischen gelangen. Der Weg in den eigenen Magen ist dann nicht mehr weit.

Noch streiten Forscher zwar, wie gefährlich die Auswirkungen des Mikroplastiks für den menschlichen Organismus genau sind; aber dass daraus größere Gefahren für unsere Gesundheit entstehen könnten, reicht für mich schon, um gegen die Teilchen vorzugehen. Aufgewachsen im Rhein-Main-Gebiet, hat es mich sehr schockiert, dass gerade der Rhein so stark belastet ist. Da geht es bei mir um den Faktor der Nähe, lerne ich im Gespräch: „Dinge die sich eher auf lokaler Ebene abspielen, wenn sie an die Verschmutzung im Park ihrer Nachbarschaft denken, oder die Luftqualität in Darmstadt, machen das ganze greifbarer. Man hat dann eher das Gefühl durch sein Handeln wirklich etwas bewegen zu können. Und das motiviert stark.“, erklärt Professor Hanss.

Bloß kein Mikroplastik mehr unter der Dusche, denke ich jetzt ständig und schaue beim Einkauf ganz genau, wo überall mögliche Quellen der schädlichen Mikropartikel in den Regalen liegen. Aber so einfach ist das gar nicht: Die kleinen Teilchen finden sich längst nicht mehr nur in Peelings. Auch durch viele andere Produkte, von Shampoo bis Kleidung, gelangt Mikroplastik in die Umwelt. Deshalb verbringe ich bei meinem Testeinkauf viel Zeit damit, die Inhaltsstofflisten zu lesen. Da geht es um Copolymer, Polyacrylat, Polyethylen, Polypropylen, Polyamid, Polymer oder Ethylen. Und das ist nur ein Bruchteil der Begriffe, hinter denen sich Mikroplastik versteckt.

Im Dschungel der Label

Labels sollen in diesem Dschungel der Inhaltstoffe helfen. Davon gibt es nur mittlerweile so viele, dass auch hier ohne aufwendige Recherche die Übersicht fehlt. Wenn mir jeder Hersteller irgendwas verspricht, ohne dass ich es prüfen kann, ist es dann nicht fast egal was ich kaufe? „Vielleicht ist man manchmal einfach an einem Punkt, an dem man sich Dinge schönredet, um auch vor sich selbst besser dazustehen“, erklärt der Umweltpsychologe den inneren Konflikt vieler Verbraucher, der durchaus auch zur Resignation führen könne. „Ich glaube schon, dass es hier ein Problem gibt“, sagt er. Diese Zertifikate sollen eigentlich eine Hilfestellung sein, aber bei so vielen verschiedenen sei dem einzelnen Verbraucher nichtmehr klar, wofür welches genau stehe, erklärt Hanss.

Dazu kämen dann noch Berichte über Skandale und Label-Missbrauch. Um dem Verbraucher das Vertrauen und die Orientierung wiederzugeben, müsste man demnach eine Übersicht schaffen. Daniel Hanss denkt dabei an Metalabels, also übergeordnete Kennzeichnungen, die zum Beispiel ganz einfach darstellen, wie das Produkt auf einer sozialen und auf einer ökologischen Dimension einzuschätzen ist. „Das ist natürlich schwierig, weil man dann Kriterien festlegen müsste, die aussagen, ab wann das Produkt gut und ab wann es nicht mehr gut ist.“

Noch bin ich als Konsumentin aber auf mich gestellt und muss selbst entscheiden, welche Labels und Produkte ich mit Gewissen und Geldbeutel vereinen kann. Ich kaufe letztlich ein veganes Naturkosmetik-Duschgel. Und bin froh, nach all der Lesezeit irgendetwas für meinen Selbstversuch gefunden zu haben. Dass es solche Kosmetikprodukte aber überhaupt gibt, spricht dafür, dass die Nachfrage für diese Nische irgendwo vorhanden sein muss.

Eine große Frage bleibt

Doch eine große Frage bleibt, auch am Schluss: Wie gelangen wir aus der Nische in breitere Schichten der Gesellschaft, von der Bio-Ausnahme zum Öko-Konsum? Daniel Hanss kennt zumindest einen Teil der Antwort: klare Zielsetzungen und motivierende Erfahrungen müssen zusammenkommen. Und das in sinnvollen Abständen. Erfolgreicher nachhaltiger Konsum geschieht für ihn auf der persönlichen Ebene „zunächst in einem überschaubaren Zeitraum. Die Rückmeldung muss dann immer möglichst direkt erfolgen.“ Das heißt: sich eher kleinere, erreichbarere Ziele setzen, die trotzdem eine Herausforderung sind – aber eine solche, die ich zeitlich erreichen und selbst erfahren kann. „So dass man sieht, dass es vorangeht“, schlussfolgert der Professor für Umweltpsychologie.

Mit meinem Selbstversuch kann ich also trotz kleiner Fauxpas zufrieden sein: Er war ein Fortschritt, wenn auch kleiner und vielschichtiger, als ich dachte. Aber die gewonnen Erkenntnisse aus meinem Test, werden mir in Zukunft bei einem nachhaltigeren Konsum helfen. Diese Erfahrung bleibt, mindestens bis zum nächsten umweltbewussten Einkauf. Und darüber hinaus.

Meine bisherigen Ziele und der Versuch sie umzusetzen:

  • Reduzierter Fleischkonsum: Teilzeitvegetarier- kaufen nein, aber an Familienfeiern etc. erlaube ich es mir.
  • Vegan: Ich kaufe nun öfter pflanzliche Produkte, aber so ganz ohne Milch, Käse und Ei schaffe ich es nicht.
  • Verpackungsfrei: sehr schwierig, aber wenigstens reduzieren gelingt mir.
  • Bio: Möglichst alle Lebensmittel. Kompliziert wird es, wenn die Biogurke in Plastik steckt.
  • Palmöl: so gut es geht vermeiden! Ein Leben ohne Nutella gelingt mir schonmal. Wo überall sonst noch Palmöl drin ist, finde ich langsam heraus. Jedenfalls sogar in einer Tütensuppe!
  • Regional: scheitert leider fast jedes Mal an Bananen und Kaffee, aber bei allem wo es eine regionale Alternative gibt, wähle ich sie.
  • Mikroplastik: ich habe mir eine Liste gemacht, welche Bezeichnungen unter Mikroplastik fallen: Copolymer, Polyacryl(at), Polyethylen, Polypropylen, Polyamid, Polymer, Ethylen, Trimethylsiloxysilicate und mehr! Das zu verinnerlichen kann dauern.
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